Künstlerfilme sind en vogue. Allein im Laufe dieses Jahres sind mehrere Dokumentarfilme über aktuelle deutsche Positionen in die Kinos gelangt, darunter Streifen über Daniel Richter, Thomas Schütte und Anselm Kiefer sowie ein Doku-Drama über Albert Oehlen. Auffällig, dass es vorwiegend Maler sind, die sich porträtieren lassen. Und dass Künstlerinnen in diesem Genre, das den Protagonisten Gelegenheit bietet, ihre Kunst und nicht zuletzt sich selbst ins rechte Licht zu rücken, so gut wie nicht vertreten sind.
Es gehört eine Portion Selbstbezogenheit und Eitelkeit dazu, vor der Kamera zu posieren. Männer haben offenbar stärker den Drang, sich auf diese Weise in einem alten, aber offenbar weiterhin den Gegenstand nobilitierenden Medium zu präsentieren und sich damit zu Lebzeiten jenseits von Monografie und Interview ein ebenso beredtes wie bildreiches Denkmal zu setzen. Zwar ist die Gattung des filmischen Künstlerporträts bereits aus den 1920er-Jahren bekannt, auch bereits in der Form der Mitwirkung der behandelten Personen, aber das "Selbstporträt", demnach ein Film nicht nur über, sondern mit zentraler Beteiligung der gewürdigten Hauptfigur ist eine eher jüngere Variante. Auf diese Weise scheint dafür Sorge getragen zu werden, dass die Künstler selbst das letzte Wort haben, das vor Zeiten erst die Nachwelt über sie gesprochen hat.
Aber es gibt auch noch die klassische Hommage: Dokumentarfilme, die sich aus historischer Distanz ihrem Gegenstand nähern und weniger auf Selbstinszenierung und Statements als auf eine Würdigung aus kunstgeschichtlicher Perspektive setzen. Einen solchen Film zeigen in der Reihe "Künstlerporträt" jetzt die Fernsehsender ZDF/ Arte. Marion Kollbach porträtiert darin das Leben, Schaffen und Werk des US-amerikanischen Malers Philip Guston (1913-1980).
Von der historischen Studie zum zeitgenössischen Projekt
Eigentlich hätte aus der Idee, einen bedeutenden, in unseren Breiten noch eher wenig bekannten Künstler vorzustellen, eine klassische Studie werden sollen. Doch die Aktualität hat das Konzept eingeholt und aus dem historischen Gegenstand im Handumdrehen ein zeitgenössisches Projekt werden lassen.
Seitdem vor drei Jahren eine geplante, gründlich vorbereitete internationale Werkschau mit den Stationen Boston, Washington, Houston und London kurzerhand abgesagt und bis zur Klärung neu aufgetretener "Probleme" um zwei Jahre verschoben wurde, diskutiert die Öffentlichkeit über die Gründe und Hintergründe dieser Entscheidung. Ein neuer Fall von "Cancel Culture"? Es hieß in den Verlautbarungen der Museen, man wolle das Konzept der Ausstellung überarbeiten. Denn es könne sein, dass einige der Gemälde Philip Gustons, vor allem die Serie der sogenannten "Klansmen"-Bilder, bei einem Teil des Publikums auf Kopfschütteln und Unverständnis stoßen oder sogar Traumata auslösen könnten.
Vor der Kulisse der wiedererstarkten "Black Lives Matter"-Bewegung, hervorgerufen nicht zuletzt durch den Tod von George Floyd durch Polizeigewalt 2020, sei es angebracht, auf die afroamerikanische Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Und die Akzente der Ausstellung durch eine spezifische Form der Präsentation und Kommentierung anzupassen.
Ein Fall von Bevormundung des Publikums?
Darüber hinaus galt es, Zeit zu gewinnen und den Verlauf der teils heftig geführten Debatte abzuwarten. Dass man die Diskussion durch die besagte Entscheidung, an der ohne Frage auch die Leihgeber in Sorge um mögliche Attacken auf ihre Bilder beteiligt waren, selbst initiiert und befeuert hat, scheint in Kauf genommen worden zu sein. Im Zuge der internen Auseinandersetzungen musste auch Mark Godfrey, Kurator der Tate Modern, seinen Hut nehmen. Er hatte dem Votum der Mehrheit der Trustees, Direktoren und Kollegen widersprochen und darauf hingewiesen, dass man mit dem Entschluss, die Schau zu verschieben, versuche, das Publikum zu bevormunden. Außerdem unterschätze man dessen Kompetenz, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Ein Beispiel im Übrigen dafür, wie ängstlich, eingeschüchtert und wenig souverän im Zeitalter der Trigger-Warnungen hier agiert wurde. In Kollbachs Film kommt Godfrey in Sachen Guston ausführlich zu Wort, doch ohne die Vorgänge um seine Entlassung zu erwähnen.
Richtig ist, und das zeigt auch der Arte-Film, dass Gustons über 20 Gemälde mit Gestalten, die durch ihre weißen Kapuzengewänder als Mitglieder des Ku-Klux-Klan definiert sind, Irritationen auslösen und Fragen nach deren ikonografischem, vor allem auch politischen Status aufwerfen können. Manch einer mag in diesen "Hoods", wie Guston die Serie genannt hat, ein eher harmloses Zitat und Spiel mit Stereotypen sehen, die aus Cartoons Richtung Leinwand entlaufen sind.
Fragen auf der Probebühne
Bedenkt man jedoch das terroristische und rassistische Regime, dass die Ku-Klux-Klan-Sekte über Jahrzehnte gegen die Schwarze Bevölkerung ausgeübt hat, dann wird aus dem Spiel historischer Ernst und bedarf der Erläuterung und Interpretation. Diese aber liefert der Künstler in seinen Gemälden und durch sein übriges Schaffen bereits selbst.
Für aufgeklärte und vernunftbegabte Menschen sollte es einfach sein, sich vom alltäglichen Rassismus ringsum zu distanzieren. Was aber, wenn wir dem eigenen Rassismus nachspüren und uns ähnlich wie der Dichter Georg Büchner in "Dantons Tod" fragen, was es denn sei, "was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?" Guston hat sich und seinem Publikum, beunruhigt durch historische, zeitgenössische und biografische Erfahrungen, diese Fragen in seinen Gemälden wie auf einer Probebühne gestellt.
Das berühmteste Bild aus der "Klansmen"-Folge stellt einen Maler in Ku-Klux-Klan-Robe vor der Staffelei sitzend und an einem Selbstporträt arbeitend dar ("The Studio", 1969). Es handelt sich um ein kaum verhohlenes Rollenbild des Künstlers, in welchem er unter die weiße Kapuze schlüpft und sich in Verkleidung als jemand zu erkennen gibt, dem das Böse nicht fremd ist: "Ich sehe mich selbst unter der Mütze. Ich habe mir beinahe vorgestellt, wie es wäre, mit dem Klan zu leben. Wie wäre es, böse zu sein?", so Guston über sich und seinen Versuch, diese Annäherung als Herausforderung künstlerisch zu erproben.
"Was machen Klansmen danach?"
Dass diese Darstellungen, entstanden in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren provozierende Aspekte enthalten, ist unbestritten. Bereits der Auftritt von cartoonähnlichen Figuren im Gewand klassischer Tafelmalerei ließ sich als Brüskierung verstehen. Zumal die Gemälde aufgrund ihrer vorwiegend rosarot getönten Farbigkeit und der "Naivität" der Zeichnung auf den ersten Blick durchaus eine Portion heiterer Unbekümmertheit aufweisen.
Aber Gustons grundsätzlichere, mit seiner Serie aufgeworfene Frage, lautet: "Was machen [Klansmen] danach [im Anschluss an ihre Verbrechen]? Oder vorher? Rauchen, trinken, in ihren Zimmern sitzen ... durch leere Straßen patrouillieren; stumm, melancholisch, schuldbewusst, ängstlich, reumütig, sich gegenseitig beruhigend?" Der Vergleich mit der Unbekümmertheit der NS-Schergen, die den Holocaust ins Werk gesetzt haben, ein Gegenstand, mit dem sich der Maler ebenfalls wiederholt auseinandergesetzt hat, stellt sich in einem geschichtsbewussten Kopf beinah umgehend ein.
Guston wäre der Letzte, der sich mit diesem Thema fahrlässig auseinandersetzen würde. Den Ku-Klux-Klan hat er bereits als junger Maler um 1930 zum Motiv von Gemälden und Zeichnungen gewählt. Damals allerdings war der Gestus der politischen Anklage explizit. Sein Gemälde "The Conspirators" wurde daher anlässlich seiner ersten Ausstellung von rechtsgerichteten Kreisen kurzerhand zerstört. Nur eine Zeichnung dieses Motivs, das an eine christliche Geißelungsszene erinnert, hat sich erhalten.
Historische wie gegenwärtige Perspektive
Dass der Künstler aus einem jüdischen, aus der Ukraine zunächst nach Kanada, dann in die USA übergesiedelten Elternhaus stammte, wird den Hass auf seine Darstellungen noch zusätzlich geschürt haben. Die Attacken des Ku-Klux-Klan galten neben der Schwarzen Bevölkerung auch Minderheiten wie Juden oder Homosexuellen.
Es ist das große Verdienst des Films von Marion Kollbach, Philip Guston als politischen Künstler aus der historischen wie aus der gegenwärtigen Perspektive vorzustellen. Zu diesem Zweck dienen ihr neben Archivmaterial, in dem auch der Künstler zu Wort kommt, Gespräche, die sie mit seiner Tochter Musa Mayer, ehemaligen Freunden, Kuratoren und Galeristen sowie mit drei zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen geführt hat.
Den Auftakt bilden, die aktuelle Kontroverse im Blick, die Ausführungen des US-Konzeptkünstlers Glenn Ligon, der Guston jedes Recht einräumt, seine Themen frei zu wählen. Aber auch die Museen dürften nicht gegängelt werden, wenn es darum geht, strittige Bilder zu präsentieren. Dass es dennoch gelegentlich nötig sein kann, besonders betroffene, in diesem Fall afroamerikanische Besucher und vor allem auch Kinder, auf bestimmte Bilder vorzubereiten, steht für ihn ebenfalls außer Frage.
Die drei Stufen der künstlerischen Entwicklung
Guston, der als figürlicher Maler in der Tradition des europäischen und mexikanischen Realismus begonnen hat, hat sich 20 Jahre später zunächst dem Abstrakten Expressionismus zugewandt und an der Seite von Jackson Pollock und Mark Rothko seine zweite, sehr erfolgreiche Karriere gestartet, um sich dann Mitte der 1960er-Jahre auf gänzlich neuem Niveau wieder der Figuration zuzuwenden: Ein Kurswechsel, der ihm als Verrat an den Idealen der Moderne ausgelegt wurde und ihn auch manche persönliche Freundschaft gekostet hat.
Diese drei Stufen der künstlerischen Entwicklung dokumentiert der Film anhand von Bildzeugnissen und informativen, klugen und immer unaufgeregten Ausführungen der Gesprächspartner. Langeweile kommt nicht auf, weil der Schnitt jeweils zur rechten Zeit die Szene und das Thema zu wechseln weiß, ohne dass der rote Faden der zentralen Fragestellungen verloren geht: Was charakterisiert den Maler, was zeichnet ihn aus, und welchen Aspekten hat er sich in welcher Form in dem halben Jahrhundert seines Schaffens zugewandt?
Dass er den Erfolg betreffend zu Lebzeiten auch häufiger Rückschläge hinnehmen musste, wird deutlich. Andererseits aber auch, wie groß sein Einfluss auf die aktuelle Kunst ist. Art Spiegelman zum Beispiel, weltbekannter Zeichner und Autor des "Maus"-Comics, sieht in Philip Guston eine Art Seelenverwandten. Nicht nur, weil sie beide auf ihre Art der Kunst des Cartoons huldigen, sondern weil sie beide ihr Schaffen politisch definieren und unbeirrt von Kritik ihren eigenen Weg gehen, beziehungsweise gegangen sind.
Fortdauernde Gegenwartsbezogenheit
Als Zeugin für den Aspekt der Aktualität dient neben Ligon und Spiegelman auch die Malerin Dana Schutz, die vor wenigen Jahren mit einem ihrer Gemälde ("Open Casket", 2016) selbst Mittelpunkt einer heftigen Kontroverse um "Wokeness" und "Cancel Culture" war. Schutz betont die fortdauernde Gegenwartsbezogenheit von Gustons Gemälden: "Die ganze Welt zeigt sich in seinen Bildern. Sie sind das Monster im Raum. Sie zeigen Grausamkeit und Gewalt und wie alltäglich das alles in Amerika ist und wie er sich selbst immer darin verwickelt sieht." Damit bezieht die Künstlerin sich nicht nur auf die "Klansmen"-Bilder, sondern auf das Werk insgesamt. Dass heute der Abstrakte Expressionist Guston weniger im Fokus steht als der Geschichtenerzähler, hat nicht zuletzt mit dem Wiederaufstieg der figürlichen Malerei und ihrem heutigen Rang zu tun.
Die erzählerische Komponente von Gustons Gemälden fügt sich bestens dem Modus des darstellenden Mediums Film ein. Handelnde Figuren im Bild und die "Erzähler" vor der Kamera gehen eine enge Verbindung ein. Dabei belässt der Film den Werkem bei aller Deutung durch Dritte das Recht, bei sich und der eigenen, bisweilen eigenwilligen und meist eigensinnigen Geschichte zu bleiben. Es geht um eine sorgfältige, bedachtsam vielseitige Annäherung, nicht um huldvolle Verklärung.
Marion Kollbachs sehenswerter Dokumentarfilm wird jetzt aus Anlass der kürzlich in der Tate Modern in London eröffneten Retrospektive "Philip Guston" gezeigt. Die Schau ist noch bis zum 25. Februar in London zu sehen, der Dokumentarfilm erstmals am Sonntag, den 8. Oktober um 16.45 Uhr und bis auf Weiteres in der Arte-Mediathek.