Noch immer sind die Folgen des pandemiegeprägten Alltags deutlich spürbar: Schulen sind überfordert und testen Museen als ausgelagerte Klassenräume, Künstlerinnen und Selbstständige bangen um ihre Existenz und öffentliche Kulturinstitutionen werden auch noch im Dezember geschlossen bleiben. In all dem von Einschränkungen geprägten Durcheinander zeichnet sich jedoch ein neuer Trend ab, der immerhin in Bezug auf die Kunstwelt eine vielversprechende Perspektive eröffnet: Die Lehre der Kunst wird öffentlicher.
Universitäten und Akademien mussten schnell ihre Lern- und Lehrkonzepte den neuen Umständen anpassen. Anders als im primären und sekundären Bildungssektor gilt hier nicht das Mantra: "Die Schulen bleiben offen." Besonders betroffen sind von dieser unklaren Lage diejenigen Institutionen, die Kunst und kunstassoziiertes Wissen vermitteln, beziehungsweise Künstlerinnen und Künstler ausbilden. Die Abschlusspräsentationen der Absolventenjahrgänge verlaufen im Sande und die Lehre darf nicht wie gehabt in den Räumlichkeiten der altehrwürdigen Kunstakademien abgehalten werden. Dabei zehren die Studierenden gerade von dem kollektiven Miteinander und dem traditionell gewachsenen Austausch. Durch die Pandemie gelangen nun Formate des digitalen Kontakts zu einer neuen Wichtigkeit.
"Das Kollektive ist entscheidend"
An der Kunstakademie Düsseldorf haben Studierende bereits 2015 eine Plattform ins Leben gerufen, die seitdem regelmäßig von Zweierteams weitergeführt und -gegeben wird: Sparta. Im Raum 216, dem sogenannten Sparta-Raum, werden Screenings, Workshops, Seminare und eine wöchentlich stattfindende Vortragsreihe organisiert. Letztere ist seit Semesterbeginn auch öffentlich zugänglich. "Das Besondere an Sparta ist, dass es ein klassenübergreifendes Projekt mit vom sonstigen Lehrbetrieb unabhängigen Programm ist", erklären Till Bödeker und Swinda Oelke, das derzeitige Organisationsduo hinter Sparta, gegenüber Monopol.
Neben Kunstschaffenden wie Simon Denny, Forensic Architecture oder Katharina Wulff referieren hier auch Persönlichkeiten aus dem Kunstbetrieb, wie beispielsweise Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter. Denn auch die Streams des vergangenen Semesters finden sich auf dem öffentlichen YouTube-Kanal der Plattform; damals noch "ein Experiment, das innerhalb der Akademie gut aufgenommen wurde." Wer bei den Mittwochabend-Vorträgen einschaltet, kann sich im Anschluss auch in die "Question-and-Answer-Sessions" per Zoom-Call einbringen. Prominente Unterstützung erhält das Programm auch von der ehemaligen Akademie-Rektorin Rita McBride. Als regelmäßige Besucherin des Sparta-Programms empfindet sie "das kollektive Teilen von Informationen, den Austausch und die Konversation" für die Entwicklung von Ideen als "entscheidend".
Doch nicht nur im Rheinland weiß man um das Potential digitaler Partizipation. Für einzelne Veranstaltungen ist auch die Anmeldung an der Städelschule in Frankfurt für die Öffentlichkeit freigeschaltet. Über den Kalender der universitätseigenen Website lässt sich hier die Anmeldung für interaktive Vorträge mit Willem de Rooij, Simone Fattal oder Abraham Cruzvillegas erwirken. Anschließende Fragerunde garantiert.
Quer durch Deutschland und die Disziplinen zieht sich der Trend der digitalen Öffnung: Im Fachbereich Kunstgeschichte an der TU Dresden werden die (internen) Diskurse ebenfalls einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Im Rahmen der Ringvorlesung "Bildkulturen des Digitalen" ist die "Teilnahme von Externen […] möglich und ausdrücklich erwünscht"; vorhergehende Anmeldung per Mail aber vorausgesetzt. Die Veranstalterin, Prof. Dr. Kerstin Schankweiler, ist überrascht und erfreut, dass es deutschlandweit Interesse an der Vorlesungsreihe gibt. Etwa 350 Anmeldungen insgesamt, circa 170 bei jeder Sitzung. "In Präsenz hätten wir sicher nicht so viele Teilnehmerinnen gehabt", lenkt die Professorin für Bildwissenschaften im globalen Kontext ein. Über den namensverwandten YouTube-Kanal "Digitale Bildkulturen" sind einige der Vorträge anmeldungsunabhängig dokumentiert. Dieser wiederum ergänzt die gleichnamige Buchreihe, die seit 2019 von Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich im Verlag Klaus Wagenbach herausgegeben wird.
Analog zu der beschriebenen Trendwende formuliert Ullrich während seines Vortrags im Kontext der Ringvorlesung, dass "das Sprechen über Selfies im Jahr 2020 ein ganz anderes als im Jahr 2019" ist. Obschon die Maskenpflicht im physischen, öffentlichen Raum zu überhitzten Debatten führt und eine Zurschaustellung des Gesichts verpönt, legt die neue Alltagsansicht in Videokonferenzen einen neuen Schwerpunkt auf die Erscheinung des individuellen Auftritts. In dieser neuen, digitalen Öffentlichkeit warten neue Hindernisse und Möglichkeiten, die die Widersprüchlichkeiten der Gegenwart sichtbar machen.
Der Schritt, mit den digitalen Formaten eine größere Teilhabe zu ermöglichen, kann für die Kunstwelt aber nur bereichernd sein. "Nicht zuletzt, weil die Akademie oft als ein exklusiver Ort wahrgenommen wird", wie das Düsseldorfer Sparta-Duo Bödeker und Oelke kritisch anmerkt. Dasselbe ambivalente Verhältnis, das der Bedeutung des Gesichtes zukommt, prägt auch den Zugang zu den Bildungsinstitutionen. Gezwungenermaßen müssen die Universitäten und Akademien ihre analogen Räume schließen, haben dadurch aber die Möglichkeiten, ihre digitalen Räume einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und so langfristig die Rolle von und Auseinandersetzung mit Kunst in der Gesellschaft zu verändern.