Das wird schon

Die zerhackte Frau

Foto: Wikimedia Commons/Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig
Foto: Wikimedia Commons/Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig
"Von meiner Werdung zu einem Höllen-Pony-Terminator haben ja alle was, von so einem Frankenstein-Ross mit Glitzerschweif, direkt aus dem Hades", findet Anna Gien. Albrecht Dürer, "Die Entführung auf dem Einhorn", eine Radierung von 1516

Wenn man schon anfängt, seine Körperteile auszutauschen, warum soll man das nicht auch als Kunst denken? Monopol-Kolumnistin Anna Gien stellt Überlegungen zu zerstückelten Frauen an

Ich habe ein Problem mit meiner Nase. Der Rest meines Gesichts ist, bis auf die kleinen hutzeligen Fältchen, die sich langsam auf meiner Stirn abzeichnen, dem leichten Ansatz von Pausbäckchen und meinen Ohren, von denen ich in letzter Zeit meine, sie würden an den Rändern langsam wellig werden, eigentlich okay, ja, fast schon ein Ponyhof von einem Gesicht könnte man sagen, zumindest hat das mal ein Mann zu mir gesagt, als ich ein Teenager war: Mit so einem hübschen Gesicht sei die Welt ein Ponyhof. 

Ich glaube, er hat nicht daran gedacht, dass so ein Ponyhof auch die Hölle sein kann. Eine, in der man zwar umsonst Leckerli in die Pausbacken gestopft bekommt und alle einem den Schweif tätscheln wollen, man aber schon mit voller Kraft den Kopf gegen die Box donnern und ordentlich Schaum vorm Mund haben muss, damit einem überhaupt mal jemand zuhört. Weil alle nur damit beschäftigt sind, das Ponyhofgesicht anzuglotzen oder ihre Karotten in das Ponyhofgesicht stecken wollen oder die anderen Ponys aggressiv werden, weil vor ihrem Gesicht nicht so exzessiv mit Karotten gewedelt wird oder sie so ein Ponyhofgesicht ganz grundsätzlich für eine Provokation halten, so dass sie dann anfangen, einem in den Po zu beißen. 

Ponyhof hin oder her, meine Nase ist eben auf eine merkwürdige Art deformiert, driftet, vor allem wenn man von links unten schaut, eine Perspektive, die ich selbst nur einnehmen kann, wenn ich ein Foto von meinem Bauchnabel aus mache, was ich sowieso grundsätzlich vermeide, weil man ja durch die ganze Point-of-View-Sache und die Selfie-Tutorials gelernt hat, dass man die Fotos immer von oben machen soll, weil man sonst automatisch aussieht wie die Jabba-the-Hutt-Version seiner selbst, ein kleines bisschen nach oben rechts ab. Wenn man aber doch eben aus diesem ungünstigen Winkel schaut, sieht es so aus, als würde meine Nase versuchen, vor ihrer eigenen Deformierung zu fliehen, nach rechts oben, in einen ungelenk niedlichen Schlenker hinein, was die ganze Sache aussehen lässt wie eine merkwürdig verwachsene Kreuzung aus Rambo und Kim Kardashian. 

An den meisten Tagen stört mich meine Nase nicht so wahnsinnig, ja, meistens denke ich sogar gar nicht darüber nach, dass ich überhaupt eine Nase habe. Dass mir meine Nase in letzter Zeit besonders auffällt, mag daran liegen, dass ich die letzten Wochen hier in Beirut herumgelaufen bin, wo man den Eindruck bekommen könnte, die hätten das hier irgendwie besser verstanden mit den Nasen. Zumindest haben fast alle Frauen dieser Stadt ganz gerade Nasen. Nasen wie Skischanzen so formschön mit einer kleinen zum Himmel gewandten Spitze. Was vielleicht daran liegt, dass die Nasen, die ihnen mit den Jahren gewachsen sind, mindestens einmal durch eine andere Nase ersetzt wurden. Ich glaube, hier bekommen alle die gleiche Nase, wenn sie sie austauschen lassen, was ich am Anfang kurz merkwürdig fand. Aber dann dachte ich, vielleicht war die Nase einfach im Angebot, oder sie haben das auch erst viel zu spät bemerkt, dass ihnen die Nase drangemacht wurde, die alle schon haben, und vielleicht ist es dann eben auch nicht so einfach, die Nase nochmal neu auszutauschen, weil es ja immer Kollateralschaden gibt und am Ende von der Nase gar nicht mehr so viel übrig bliebe. 

Es gibt hier, direkt gegenüber von meiner Wohnung, einen Arzt, Dr. Toni heißt der, und über seiner Praxis hängt ein Schild auf dem steht "The Art of Beauty". Das schaut mir jeden morgen ins Gesicht, dieses Plakat, und je länger ich drüber nachdenke, desto mehr finde ich, dass Dr. Toni recht hat mit seiner Kampagne. Denn wenn man schon anfängt, seine Körperteile auszutauschen, wieso es dann nicht als Kunst denken, heutzutage, wo sich fast alles als Kunst denken lässt, wenn man sich nur genug Mühe gibt. Dann ergibt das mit den Nasen hier auch gleich viel mehr Sinn. Wenn nämlich alle ausgetauschte Nasen haben, dann werden die neuen, zugeschnittenen Nasen sozusagen zur zweiten Natur und Dr. Toni macht in diesem Sinne das, was mal als die höchste aller Künste galt, nämlich Mimesis. Kunst ist Nase und Nase ist Kunst, und wenn ich jetzt über mein Nasenproblem nachdenke, dann habe ich auf einmal Gänsehaut und ein großes, joviales Gefühl, ja, einen Geistesblitz: Wenn Dr. Toni und ich das Nasengeschnipsel zur Kunst erklären, wäre eine getauschte Nase in meinem Gesicht der erste Schritt zu einem kunstgewordenen Körper, und das wiederum der erste Schritt zu einem kunstgewordenen Leben! Und dann werde ich ganz hibbelig und kann gar nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken, welche Nase für mich in Frage käme, vielleicht eine ernstzunehmendere Nase, eine Houellebecq-Nase oder eine Pollock-Nase oder eben gleich eine Nase wie ein Gemälde, nein, eine Skulptur, ja ein Rauschenberg von einer Nase, bei der niemand auch nur auf die Idee käme, irgendetwas auch nur in ihrer Nähe reinstecken zu wollen, sondern alle nur aus der Distanz schauen und grübeln, was so eine Nase denn wohl zu bedeuten habe. Vielleicht ist es aber auch egal, welche Nase ich mir aussuchte, weil der Rest des Gesichts dem neuen Leben vielleicht dennoch in die Quere käme, also brauche ich vielleicht einfach eine Nase, die so groß ist, dass sie das ganze Ponyhofgesicht unter sich begräbt. Eine brutalistische Nasenarchitektur eben, oder, was vielleicht sogar noch besser wäre, ich lasse den ganzen blöden Laden gleich generalüberholen und frage Dr. Toni, ob er nicht alles erst einmal abschneidet und die Einzelteile dann in Ruhe zu einem neuen Ganzen zusammensteckt. 

Dann wäre ich selbst ein Kunstwerk und ein Kunstwerk wollte ich ja eigentlich immer schon sein, vor allem, wenn ich gleichzeitig auch noch Künstlerin sein kann, naja, in Co-Autorschaft mit Dr. Toni zumindest. Zerschnippelungstechnisch gibt es gerade in der Kunst ja eine lange Tradition, da wurden Frauen auf allen Ebenen, verbal und bildlich, zerhackt was das Zeug hält. In dem Roman "Madame Bovary" zum Beispiel, da wird die auf dem Sterbebett liegende Emma von dem Priester während der letzten Salbung performativ kurz und klein gehackt, und zwar systematisch von oben nach unten, zuerst "die Augen, die es nach allem Herrlichen auf Erden so heiß gelüstet", dann die Nasenflügel, "die so gern die lauen Lüfte und die Düfte der Liebe eingesogen" und so weiter bis zu den Fußsohlen, "die einst so flink waren, wenn sie zur Stillung von Begierden liefen, und die jetzt keinen Schritt mehr tun sollten." Der Surrealist André Breton hat seine Nadja in eine Art fetischisiertes Ersatzteillager verwandelt, das nur als Augen und Zähne und Handschuh vorkommt, solange, bis die transzendente, junge Frau sein ideales Kunstwerk wurde, und er den Restmüll im Irrenhaus entsorgen konnte. Bis heute wird fröhlich weiter gehackt, Hans-Peter Feldmann zum Beispiel hackt für sein Leben gerne und präsentiert die Ergebnisse seiner Schnippel- und Sammelwut in Form seines künstlerischen Frauenkabinetts. Und als wäre das nicht genug, gab es ja auch ein paar Beispiele von Real-Life-Zerhackung, wie der Fall von Elizabeth Short, die als "Black Dahlia" bekannt wurde und deren massakrierter Körper ein paar Leute ja wirklich hochgradig inspirierend fanden. Breton hätte daran bestimmt auch seine Freude gehabt, Cadavre Exquis, und so weiter, ohje. Und auch wenn sich ein paar Künstlerinnen gegen die fremdbestimmte Zerhackung gewehrt haben, in dem sie die Eigenzerhackung ausgerufen haben, wie Yoko Ono zum Beispiel mit ihrer Performance Cut-One-Piece, wird noch immer halbiert und geviertelt und geachtelt, sogar die Kanzlerin wird, wenn auch nur verbal und im Feuilleton, parzelliert in ihre Helmfrisur und ihre Backen und ihre Schulterpolster. 

Es sieht also irgendwie so aus, als hätte die Kunst und das Leben die Frauen am liebsten in kleinen mundgerechten Portionen, die alle, nach Lust und Laune zusammenstecken können, wie sie wollen, so dass am Ende jede Frau sich selbst und jeder Mann jede Frau zusammenbauen kann. Ich habe genug "Bravo Girl" gelesen, als ich noch dachte, man müsste ein Gesicht haben wie ein Ponyhof, um zu wissen, dass es in einem Frauenleben eben vor allem darauf ankommt, dass alle ihren Spaß mit einem haben. Also muss ich nur noch Inspiration suchen, bevor ich bei Dr. Toni auf der Matte stehe, und dann kann meine Zukunft als lebensechter Frau-Baukasten endlich beginnen. 

 

Abbildung: Screenshot von Amazon

Wenn man im Internet nach "Frau" und "zusammenstecken" sucht, dann findet man ein paar herausragende Ideen für so einen Kunst-Hack-Körper, vor allem in Form von kleinen Silikonmodellen auf Amazon. Manche von denen sind so erfindungsreich, dass sie fast schon erhaben daherkommen, und sie sind noch dazu praktisch, weil da die wichtigsten Versatzstücke alle auf engstem Raum zusammengeschreddert wurden. Eines der schönsten Modelle ist der "SHEQU® Pussy Mund Masturbator und 3D Brüste Realistische Silikon 3 in 1 Vagina Anal Puppe für männliche Masturbation (24cm*23cm*14cm)". Hier sind Brüste und Muschi und Mund und Nase alles in einem, so nah beieinander, dass dazwischen auch kein Ponyhofgesicht mehr Platz hätte. Oder der "ZEMALIA 2 in 1 Realistischer Masturbator mann 3D Masturbatoren männer Vagina masturbieren mann mit extra eng Vagina und Mund Muschi Sexspielzeug für männer", da wurden noch mehr überflüssige Einzelteile ausgemistet, so dass am Ende nur noch ein Schlauch mit dem Mund auf der einen und der Muschi auf anderen Seite rauskommt, mit "super lebensechter innerer Struktur", die noch dazu "weich, ungiftig, geruchlos und sicher zu verwenden" ist, also ziemlich genau das, was die "Bravo Girl" in ihren zweiwöchigen Back-to-School-Peeling-Marathons propagiert.  

 

Abbildung: Screenshot von Amazon

Was wäre das für ein Leben, in dem man nicht einmal mehr eine Nase braucht, nur eine gute Kontraktion und einen ungiftigen Innenausbau, dann würde sich auch niemand mehr beschweren über das Ponyhofgesicht. Nein, da käme man niemandem mehr in die Quere. Und jetzt bin ich sicher, scheiß auf die Nase, ich werde mich ganz zerstückeln lassen! Was vorher oben war kommt unten hin und was überflüssig ist, wird abgehackt, und dann sage ich Dr. Toni, ich will eine ganze Reihe Einheitsnasen hinten an die Ferse, wie Bordüren und einen weichen Ponyhofkopf mit Brüsten an den Ohren, so dass ich wiederkomme als Silikon-Wolpertinger, abwaschbar und aus hundertprozent BPA-freiem Plastik. Dafür muss man ein bisschen Geld in die Hand nehmen, aber vielleicht kann ich die crowdfunden lassen. Von meiner Werdung zu einem Höllen-Pony-Terminator haben ja alles was, von so einem Frankenstein-Ross mit Glitzerschweif, direkt aus dem Hades. Dann werde ich zurück nach Berlin galoppieren, Black Dahlias Melodic Death Metal dröhnt aus meinen Nüstern und mitten im Gesicht habe ich eine Muschi mit lebensechter Kontraktion, die die Karotten in Fetzen schreddert, die mir in den Mund gesteckt werden.