Es ist das Bild, das alles zusammenfasst: Trauer und Entsetzen über den katastrophalen Brand in der Kathedrale Notre Dame in Paris – aber gleichzeitig auch ein wenig Erleichterung, dass der Großteil der Bausubstanz der größten frühgotischen Kirche Frankreichs gerettet scheint. Dem Fotografen Philippe Wojazer ist ein Schuss in den Innenraum der beschädigten Kirche gelungen. Zwischen Rauchschwaden und herabgestürzten verkohlten Holzbalken leuchtet dem Betrachter das riesige, massive Goldkreuz auf dem Altar entgegen. Auch die Skulpturen rund um den Altar in der Apsis sehen rußig, aber im Großen und Ganzen intakt aus.
Nachdem die ikonische Architektur mit den gotischen Türmen in ihrer Grundstruktur erhalten geblieben ist, stellt sich die Frage nach dem Schicksal der Kunstwerke von unschätzbarem Wert. Einige sind gerettet, bei anderen ist der Zustand noch unklar. Wir wagen eine kleine Bestandsaufnahme der Kunst in Notre Dame.
Die Reliquien
In Notre Dame lagert seit der französischen Revolution im späten 18. Jahrhundert eine der wertvollsten Reliquien der christlichen Welt: eine Dornenkrone, die Jesus bei seiner Kreuzigung getragen haben soll. Sie wird in einem Gefäß aus Kristall und Gold mit anderen kostbaren Kruzifixen, Kelchen und Gewändern im Kirchenschatz in einem Anbau der Kathedrale aufbewahrt. Laut den französischen Behörden, wurde die Krone im Pariser Rathaus in Sicherheit gebracht. Ob auch die anderen Reliquien, wie beispielsweise ein Nagel und Holzsplitter vom Kreuz Jesu gerettet wurden, ist bisher nicht bekannt.
Die Gemälde
Zu den bekanntesten Gemälden in der Kathedrale gehören die sogenannten "Mays", eine Serie von meist religiösen Bildern, die von 1630 bis 1707 von der Gilde der Pariser Goldschmiede gestiftet wurden. Einige davon befinden sich inzwischen in Museen, andere sind seit Langem zerstört oder verschollen. Zu den bedeutendsten Gemälden, die noch heute in der Kathedrale zu sehen sind, gehören "Die Ankunft des heiligen Geistes" von Jaques Blanchard und mehrere Heiligenbilder von Laurent de La Hyre und Aubin Vouet. In der Kapelle Saint Guillaume hängt außerdem das großformatige Marienbild "La Visitation" (1716) von Jean Jouvenet. Über den Zustand der Gemälde nach dem Feuer wurde bisher nichts bekannt.
Die Skulpturen
Der Brand vom 15. April 2019 ist nicht die erste Zäsur in der Geschichte der Kathedrale. Immer wieder wurden Teile umgebaut, schon während der französischen Revolution wurden zahlreiche Kunstwerke zerstört, darunter eine Galerie mit Skulpturen von französischen Königen und mehrere Glocken.
Zu den bedeutendsten Skulpturen in der Kathedrale gehören eine Jungfrau mit betendem Kind, die als "Notre Dame" bekannt ist und aus dem 14. Jahrhundert stammt. Sie markiert den Ort, wo schon im 12. Jahrhundert ein Altar für die Mutter Gottes gestanden haben soll. Fotos legen nahe, dass die Statue das Feuer überstanden hat.
Ungeklärt ist bisher der Zustand des "Engel der Auferstehung", der auf dem Dach der Kathedrale stand. An der Fassade befinden sich außerdem eine Darstellung von Jean D’arc des Bildhauers Charles Desvergnes und eine Figurengruppe mit Madonna und Kind in der Fensterrosette in der Westfassade. Diese Skulpturen scheinen nach den neuesten Bildern intakt zu sein. Während in einem kleineren Rosettenfenstern das bunte Glas zersprungen ist, gibt es noch keine gesicherten Informationen über den Zustand der größeren Rosetten an der Süd- und Westfassade. Man befürchtet, dass die große Hitze die Bleirahmen der Scheiben beschädigt hat.
Die Wasserspeier ("Gargoyles"), die an den Wänden und auf den Gesimsen hocken - und die unter anderem durch Victor Hugos Roman "Der Glöckner von Notre Dame" berühmt wurden-, sind übrigens zum größten Teil Nachbildungen aus Beton. Im 18. Jahrhundert begannen die Originale zu bröckeln und stürzten auf die Straßen.
Von Glück im Unglück muss man bei den Statuen der zwölf Apostel sprechen, die um den eingestürzten Mittelturm standen: Sie wurden vor dem Feuer wegen der Renovierungsarbeiten von der Fassade entfernt.