Wenn man 2019 der weltweiten Bauhaus-Beweihräucherung entkommen will, muss man entweder den Planeten verlassen oder der "Allgemeinverdudelung", wie es die Berliner Volksbühne auf ihrer Website nennt, etwas entgegen setzen. Als der Regisseur und Sänger der Goldenen Zitronen Schorsch Kamerun gefragt wurde, ob er Lust hat, auf der Bühne das Bauhaus zu beerdigen, war er zunächst skeptisch. Was ihn dann doch am 100-Jahre-Bauhaus-Jubiläum interessiert hat und ob es die Option auf Wiederauferstehung gibt, erzählt er im Interview.
Schorsch Kamerun, das Bauhaus-Jubiläumsjahr ist jetzt gut sechs Monate alt. War es bisher schlimmer oder weniger schlimm als gedacht?
Ambivalent. Auf der einen Seite finde ich es interessant und richtig, sich nach 100 Jahren um das Bauhaus zu kümmern. Andererseits werden die gefeierten Phänomene dadurch zu verschnürten Markenartikeln und es geht vor allem um eine Eventisierung, wenn ich dieses schlimme Wort jetzt mal benutzen darf. Man spürt einfach, dass das Bauhaus zum Kanon geworden ist und die interessanteren Ideen sich darin versenden. Auch stehen sich Geschichtsklitterung und massive Angriffe so widersprüchlich gegenüber, das weiteres Draufpacken eigentlich überflüssig ist. Es reiten einfach zu viele dieses edle Label. Und wir ja jetzt auch noch...
Sie veranstalten ab Donnerstag eine "konzertante Beerdigung" des Bauhaus in der Berliner Volksbühne. Was kann man sich darunter vorstellen?
Der Untertitel ist "Rettendes Requiem". Ich wünsche mir, dass wir es schaffen das widersprüchliche zum Thema so offen wie möglich zu zeigen. Dass wir deshalb erstmal alles beiseite legen wollen, um frisch auf das Bauhaus zu schauen, scheint mir unerlässlich. Eine weitere Jubelfeier oder die nächste Totalvernichtung wären nur schnarchig. Vielleicht könnte eine Rettung so aussehen, dass man noch einmal auf die Grundideen schaut, die aus einem besonderen Urmoment in der Geschichte kommen. Solche Zeiten, in denen eine musische Zusammenkunft mitüberlegt, wie neu zusammengelebt gelebt werden kann, sind immer interessant. In dem Fall ist es die Umgebung des völligen Scheiterns der gesamten Welt nach dem Krieg. "Die Welt neu denken" ist für mich dann auch der zentrale Satz. Diese Superfrage zieht sich deshalb durch unsere gesamte Aufführung.
Also eine Beerdigung mit Option der Wiederauferstehung?
Das hoffe ich. Wir versuchen den gleichzeitigen Ausdruck von Gegensätzen , was natürlich schwierig ist. Aber das erlebe ich oft als spannendsten Moment in der Kunst: wenn etwas überschrieben oder in falsche Zusammenhänge gestellt wird- ich bin großer Fan der Künstlergruppe Cobra. Wenn ich also etwas Requiem nenne und trage dann wirklich einen Sarg über die Bühne, wäre das nur Kunsthandwerkscheiß. Doch Glück haben wir mehrere Sinne! Bei unserem Versuch mixen wir die Möglichkeiten von Musik und Performance und stellen Assoziatives dem Zufall und einigen ungewohnten Zusammenkünften gegenüber. Dann kann man die bekannten Möbel und die geraden Wände erstmal weglassen und sich vielleicht auf was völlig Anderes setzen, was trotzdem mit schöner Erfindung zu tun hat. Dabei ist unser Ansatz genau wie im Bauhaus ein streng kollektiver. Wir haben neben etlichen erwartbarem Top-Personal eine Tanzgruppe, eine Klasse der Berliner Universität der Künste und das P-14 Ensemble der jungen Volksbühne dabei. Alle überprüfen ihre heutigen Zugänge zu den radikalen Absätzen von damals.
Bei allem sozialen Experiment war das Bauhaus doch auch eine ziemlich hierarchische Institution. Passt das zum heutigen Kulturbetrieb, wo das Freie und Neue oft in einen engen Rahmen gezwängt wird?
Das ist sicher so. Aber ich habe nicht so richtig Lust, die historisch fortgesetzten Beweisführungen des Bauhauses auseinanderzunehmen. Dafür kenne ich mich auch zu wenig aus. Mich interessiert der Urknall in seiner Notwendigkeit in einer Umgebung der existenziellen Bedrohung. Wir wollen versuchen, eine Art Trance durchzuspielen, in der Berührung sein muss, wenn es nicht mehr anders geht. Auch als die Goldenen Zitronen spüren wir ständig den Widerspruch: Wenn wir gegen den scheißautoritären G20-Gipfel auf der "Welcome-To-Hell"-Demo spielen, wissen wir auch, dass wir und alle anderen dabei über bestimmte Stöckchen springen und ein Framing liefern, auf das alle warten. Auch gibt es in der Popkultur weiter noch dasselbe öde Männergebalze. Hier schenkt es dem Bauhaus rein gar nichts.
Sie haben eine "kritische Inventur" der Bauhaus-Ideen angekündigt. Welche haben denn standgehalten und welche nicht?
Man muss zugeben, dass wir alle eine Art Bauhaus-Gefühl entwickelt haben, das eine kollektive Wiedererkennbarkeit erzählt. Meist werden die immer selben Möbel und Bauwerke angeführt. Das ist auch ok, aber viel zu schwächlich wird die besondere Haltung, das Denken gefeiert, eigentlich gut übernehmbare Strategien und Gestaltungstriumpfe aus der Moderne, gespielt mit allen Künsten. Gegen Normiertheiten und für das konsequente Ausprobieren. Vielleicht steht diese tolle Komplexität der formalen Strenge des Bauhaus gegenüber. Trotzdem ein cooler Widerspruch. Viele der Ideen werden heute zu bequem und zu eingetütet wiedergegeben, weil besser zu verwerten.
Weil jede Widerständigkeit des Bauhauses im allgemeinen Jubiläumsjubel ertränkt wird?
Ja. Wir benutzen in unserem Stück eine Abschrift aus einer Bundestagsdebatte, in dem alle, wirklich alle Fraktionen bei der Planung des Jubiläums das Bauhaus voll super finden. Da merkt man schon, dass etwas nicht stimmen kann. Das Bauhaus war auch politisch differenziert. Das kommt gerade wenig vor in den Denkmal-Partys. In einer Zeit, wo neue und alte Grenzziehungen Comebacks feiern, brauchen wir umso dringender Ideen, wie wir Gesellschaft gestalten. Warum nicht Überkomplexes gegen Simplifizierung und Populismus? Nehmen wir Bauhaus mal als kritischen Moment des Andersmachens, der dann aber wieder hervorragend im Museum funktioniert. Solche Momente erleben wir alle die ganze Zeit.
Inwiefern?
Bei der Gentrifizierung wird es ganz deutlich. Wenn man in einem Stadtteil lebt, der anders und kritisch sein will gegen urbane Verwertung, wird der zur teuersten Gegend. Rauheit verkauft sich, "arm, aber sexy" war der beste Slogan, um Touristen nach Berlin zu locken. Als jemand, der versucht, konsequent ausprobierende Kunst ins Theater zu bringen, weiß ich natürlich, dass ich gleichzeitig zu einer Markenbildung derselben beitrage. Deshalb beziehe ich mich gern auf den Situationismus, der diese Gleichzeitigkeit der Spektakel-Gesellschaft verstanden hat. Wenn ich "Anarchie" brülle, muss ich wissen, dass das der beste Werbeslogan der Welt ist. Auch unsere eigene Biografie trägt Züge davon: Wir kriegen den Schlüssel für den Goldenen Pudel in Hamburg in die Hand, weil ihn keiner haben will, aber die Gegend wird, auch mit unserem Dazutun, eine der teuersten.
Wie kommen Sie mit dem Label "deutsch" zurecht, das dem Bauhaus trotz seiner Internationalität überall aufgedrückt wird?
Das spielt wieder in eine Leitkulturdebatte hinein. Es ist eine Selbstvergewisserung, man erschwindelt sich die Orden für den zivilisatorisch emanzipatorischen Ansatz und heftet sich Glückwünsche ans Revers. Das finde ich scheußlich. Anscheinend braucht man solche Anker, das hört ja selbst bei Kraftwerk nicht auf. "Das hier ist größer als wir, aber es kommt von uns!" Es ist eine Überhöhung, die ich gruselig finde.
Um beim Bau zu bleiben: ein Bulldozer für jegliche Komplexität …
Genau. Ich hoffe wirklich, dass man da mit Kultur und Ästhetik gegensteuern kann. In dem Text aus dem Bundestag gibt es mehrfach den Einwand, dass es bei Abgeordneten zu Hause im Dorf auch Bauhaus gibt. Das ist wirklich köstlich. Man nimmt die Heimat mit hinein und will ausdrücken: "Hey, unsere eigenen, kleinen Plätzchen sind so weltoffen und bedeutend." Mich interessiert mehr der Blick nach vorn.
Heißt dieser verklärte Blick zurück, dass man eben nicht nach vorn schauen muss?
Ich würde sagen, das stimmt. Es reicht nicht zu sagen, dass das Bauhaus spitze ist. Es ist längst über-anerkannt, als "endlich mal was Positives aus oft unserer schwierigen Nation". So etwas wie die Welt neu zu denken, wird zwar behauptet, aber eigentlich will man sagen: Das haben wir doch längst schon bewiesen. So braucht es auch nichts mehr Utopisches, es steht doch schon hier im neuen Museumsklotz.
Welches Jubiläum fürchten Sie als nächstes?
Wir betreiben natürlich in unserer Inszenierung bereits heftig Marketing für die Highlights des parallelen, unendlich bedeutenderen Großereignisses: "Fontane.200". Weil, 200 sind 100 mehr als 100.