Über 120 Werke umfasst die Retrospektive, mit der die Videokunst-Pionierin Ulrike Rosenbach zum 80. Geburtstags im ZKM Karlsruhe geehrt wird. Man kommt also besser mit ausreichend Zeit und viel Platz im Kopf, um die zahlreichen Exponate auf sich wirken zu lassen.
Die Schau führt durch mehr als fünf Jahrzehnte intensiver, experimenteller und multimedialer Auseinandersetzung mit der weiblichen Identität, mit Rollenzuschreibungen und mit der ganzheitlichen Beziehung zwischen Mensch und Natur. Die noch vom kürzlich verstorbenen Ex-Direktor Peter Weibel initiierte und von Philipp Ziegler und Hanna Jurisch kuratierte Ausstellung "Heute ist morgen" ist Teil des fortlaufenden Projekts "Female Perspectives", mit dem das ZKM herausragende Medienkünstlerinnen präsentiert, die zur ersten Generation der elektronischen Experimentierfreudigkeit zählen und Neuland im Bereich der Video- und Klangkunst betraten.
Frühe Werke Rosenbachs, mit denen sich die Ausstellung auf den Weg durch ihr künstlerisches Schaffen begibt, sind beispielsweise die noch während ihres Studiums der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf (bei K. Bobeck, Norbert Kricke und vor allem Joseph Beuys) entstandenen Hauben- und Kragenobjekte. Die in diesen sonderbaren Kleidungsstücken thematisierte gesellschaftliche Einengung von Frauen findet sich auch in den frühen Live-Video-Aktionen, die in der Ausstellung als Gruppe mehrerer Ein-Kanal-Projektionen gezeigt werden.
Das Werk ist an den Körper gebunden
Zu sehen sind hier unter anderem "Einwicklung mit Julia" (1971), "Bindenmaske" (1972) sowie "Mon petit Chou" (1973), und schon in diesen frühen Arbeiten, die ohne Publikum vor einer feststehenden Kamera in ihrem Studio entstanden sind, wird deutlich, wie eng ihr Werk an den eigenen Körper gebunden ist. Dabei geht es niemals um ein voyeuristisches Zuschaustellen.
Der Körper wird vielmehr zum Material, das bearbeitet und mit anderen Materialien kombiniert wird und das in Beziehung zu den Möglichkeiten des neuen Mediums steht.1973 zeigt sie während des Kunstmarkts Köln, dem Vorgänger der heutigen Art Cologne, die Aktion "Videokonzert –Improvisation". Zu den Synthesizer- und Orgelklängen des Musikers Conrad Schnitzler filmt sie ihren Körper ab. Die so entstehenden Bilder, mal ihr Gesicht als Totale, mal abstrakt wirkende Schwarz-Weiß-Flächen, sind simultan zum tatsächlichen Geschehen auf einem dem Publikum zugewandten Monitor zu sehen.
Rosenbach setzt sich von Anfang an selbst ins Bild, ohne jemals die Kontrolle abzugeben. Vielmehr - das wird in mehreren Arbeiten der Ausstellung deutlich - spielt sie mit der Beziehung zwischen ihrem Körper, der medialen Wiedergabe und der Rolle der Betrachtenden. In ihren Live-Performances wie "Videokonzert –Improvisation", in denen ihre Handlungen durch das Closed-Circuit-Verfahren sofort auf einem Bildschirm erscheinen, schafft sie neuartige Rezeptionssituationen, in denen sie als Regisseurin des Seherlebnisses der Betrachtenden auftritt.
Keine Heilige, keine Amazone
Man könnte sagen: Eine feministische Replik auf die traditionsreiche Objektivierung der Frau in der westlichen Kunstgeschichte. Denn sie bestimmt, ob, und wenn ja, aus welcher Perspektive sie zu sehen ist: Während sie in "Keine Madame Pompadour" (1980) für das Publikum unsichtbar und nur hörbar ist, wird sie in "Isolation ist transparent" (1973/1974/2010) nur von oben wie in einem Netz eingefangen. In anderen Arbeiten ist die Kamera an ihrem Körper befestigt, sodass die filmischen Bilder ihre Bewegungen wiedergeben. Ihr Körper wird somit zum wesentlichen Element, das darüber entscheidet, was als filmisches Bild entsteht.
Das noch junge Medium Video, von keinerlei (männlicher) Tradition überladen, dient Rosenbach als Mittel der Reflexion – zunächst ihrer Rolle als Künstlerin, als Frau, als Mutter, später auch allgemeiner, indem sie sich weiblichen Rollenbildern und -klischees und deren kultureller Überlieferung zuwendet. Immer wieder bedient sie sich dabei bei Frauen-Darstellungen der westlichen Kunstgeschichte. So beispielsweise in der vielleicht bekanntesten Videoperformance "Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin" (1975), in der sie sich mit dem historischen Kulturbild der Frau als Mutter, Hausfrau, Heilige, Prostituierte oder Kriegerin auseinandersetzt.
In dieser Zeit reist Rosenbach mehrmals in die USA, wo sie in regem Kontakt zu den künstlerischen Avantgarde-Szenen in New York und Los Angeles steht und am dortigen California Institute of the Arts (CalArts) Feministische Kunst, Performance und Video unterrichtet. 1976 gründet sie in Köln die Schule für kreativen Feminismus, die bis 1982 bestehen wird. 1977 nimmt sie erstmals an der Documenta teil, ein zweites Mal in Kassel folgt 1987.
Entwicklung von Mensch und Medium
Rosenbachs Werk, das zeigt die Ausstellung anschaulich, macht auch die Entwicklung des Mediums Video nachvollziehbar. So enthalten ihre Werke ab den 1980er-Jahren computergenerierte Bildmontagen und -überblendungen. Digital bearbeitete Fragmente werden zu grafischen Elementen, Bilder unterschiedlicher Herkunft werden zu dichten, nicht immer linearen Narrativen montiert.
Thematisch führt ihre Auseinandersetzung mit Schamanismus, Hexenkultur und antiken Mythen zu einer Verschiebung in Richtung Koexistenz von Mensch und Natur. Gegen Ende der 1980er-Jahre entstehen komplexe Medienskulpturen, die teilweise Videos vorangegangener Aktionen beinhalten, diese jedoch zu eigenständigen Werken weiterentwickeln.
Das Aufgreifen von Bildern und Inhalten älterer Arbeiten bezeichnet Rosenbach in einem eingangs zu sehenden Film-Interview als "musikalischen Ansatz": "Ich muss nicht etwas komplett anderes machen, sondern kann die Werke weiterentwickeln und Material aus früheren Performances wieder aufnehmen. Ich habe also nicht in einem Jahrzehnt dies und im nächsten etwas völlig anderes gemacht, sondern verändere die Komposition der performistischen Arbeit durch den Umgestaltungsprozess mit Zitaten und dem Wideraufgreifen von bereits Vorhandenem."
Feministische Kampfkraft hat überdauert
Hinzu kommt eine starke Auseinandersetzung mit dem Medium Zeichnung und mit der Figur des Engels. Die Arbeiten jüngeren Datums – 2006, 2012 oder auch 2019 entstanden - machen deutlich, dass die feministische Kampfkraft der Rosenbach auch im höheren Alter nicht abgeschwächt ist. Der letzte Raum der Ausstellung lässt sich als mehrteiliges filmisches Essay deuten, der sich mit gesellschaftlichen Zu- und Festschreibungen sowie mit emanzipatorischen Akten beschäftigt.
Der Ausstellungsrundgang führt entlang zahlreicher Videoarbeiten – natürlich -, doch auch Dokumentationsmaterial wie Skizzen und Fotografien sowie Materialien, die Rosenbach für ihre Performances nutze, sind zu sehen. Vielleicht ist es diese Abwechslung, die es möglich macht, dass die Ausstellung trotz des Umfangs nicht überfordert. Ist man mit dem Künstlerinnen-Werk vertraut, begeistert die Retrospektive mit zahlreichen Highlights und hält viele wunderbare Momente bereit, die entstehen, wenn ein Werk, das zuvor nur als Abbild und Text rezipiert wurde, endlich "live" zu sehen ist.
Ist einem die Kunst noch nicht unbedingt bekannt, wäre hier und da etwas mehr Kontextualisierung hilfreich. Allerdings geriete die Schau mit umfangreichen Wandtexten oder seitenlangen Booklets wahrscheinlich zu einem Museumsbesuch epischen Ausmaßes. Es ist daher auf jedem Fall zu empfehlen, vor oder nach – oder vor und nach – dem Ausstellungsrundgang das Interview anzusehen, das in überschaubarer Zeit viel inhaltliche Informationen bietet: Aus dem Mund der Grande Dame der deutschen Videokunst höchstpersönlich.