Die Industrialisierung hat nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen rund um Fabriken und Kohlegruben geprägt, sondern auch die Landschaften und das Selbstverständnis der dort lebenden Menschen. In der Ausstellung "Vom Leben in Industrielandschaften - eine fotografische Bestandsaufnahme" werfen zahlreiche Aufnahmen, angefangen bei Fotografien aus den 1920er- und 30er-Jahren bis hin zu zeitgenössischen Positionen, einen Blick auf die Lebensräume und Erfahrungen von Menschen inmitten von Produktion.
Ausgangsmotiv der Ausstellung stellt das für die Sammlung des Leopold-Hoesch-Museums ikonische Werk "Das Lendersdorfer Walzwerk" von Carl Schütz von 1838 dar: ein typischer Ausdruck des ausgeprägten Selbstbewusstseins von Industriellenfamilien. Denn die Industrialisierung sorgte für wirtschaftlich-technischen Fortschritt, für ausreichend Arbeitsplätze, für Wohlstand. Das Fabrikgelände als alltäglicher Lebensraum wird in dem Gemälde als etwas Gutes präsentiert: ein friedlicher Ort, an dem in Ruhe und Gemeinschaft gearbeitet wird.
Am Horizont drohen die Schornsteine
Und gleichzeitig zeigt das Gemälde die Wechselwirkungen zwischen Fabrikgebäude und Landschaft auf. Die grünen Weiden verblassen hinter den alles überragenden Schornsteinen mit den grauen, undurchsichtigen Rauchwolken. Albert Renger-Patzschs Aufnahmen aus den 20er-Jahren zeigen ebenfalls diesen Kontrast: Die Fabrik wächst übermächtig und bedrohlich hinter den bäuerlichen Fachwerkhäusern hervor. Joachim Brohm zeigt den Gegensatz von der anderen Seite: Er verbannt die Stadt in den Hintergrund und fokussiert sich auf die Offenheit der Landschaft gegenüber der Dichte des urbanen Raums.
Die Künstler werfen mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen verschiedene Blickwinkel auf die Industrialisierung - mal verdrängt sie die reine schöne Natur, mal werden ihre positiven Auswirkungen auf das menschliche Alltagsleben beleuchtet. Die Bilder zeigen jedoch auch, wie sich die Menschen mit den veränderten Gegebenheiten ihrer Umwelt arrangierten und sich so das Verständnis von "Natur" wandelte und gewissermaßen immer künstlicher wurde: der Baggersee als vom Menschen gemachter Naturraum zum Beispiel. Der ist heute wieder Naherholungsgebiet, in dem man mal "frische Luft tanken" und der Stadt entkommen kann. Auf ehemaligen Industriebrachen wird "im Grünen" gepicknickt.
Industrie ist überall
Einige Fotografien spielen mit dem Faktor Zeit, um die Veränderungen, die die Industrialisierung auf den Landschaften auch langfristig hinterlässt, zu veranschaulichen. Aglaia Konrad beobachtete mit einer laufenden Kamera über längere Zeit die italienische Stadt Carrara, wo die Steinbrüche wegen des teuren und seltenen Carrara-Marmors ausgebeutet werden. Susanne Kriemann hat auf einem ehemaligen Unternehmensgelände in Sachsen Pflanzen gesammelt, in deren Wurzeln sich Schwermetalle und Radioaktivität finden, und zeigt in ihren Werken die andauernde Verschmutzung der Umwelt. Mit den Farbstoffen, die aus diesen Wurzeln gewonnen wurden, fertigte sie Drucke derselben Pflanzen an.
Die dokumentarischen Fotografien, Drucke und Videos der Ausstellung sprechen im Kontext der globalen Klimaproteste von "Fridays for Future“ oder "Extinction Rebellion" ganz aktuelle Themen an: Der Mensch und sein eigennütziges Handeln beeinflusst Geologie und Klima seit der Industriellen Revolution maßgeblich mit und drohen damit, unseren Lebensraum zu zerstören.
Die Ausbeutung von Ressourcen und der Ausstoß von Treibhausgasen sind ebenso Folgen der industriellen Produktion wie die topographischen und städtebaulichen Veränderungen der Landschaften - die Industrialisierung hat ihren Fußabdruck auf dem Planeten hinterlassen - und der hat eben nicht nur die Form von Fabrikgebäuden, Eisenbahngleisen und Bergwerken.