Zur Begrüßung ein Küsschen, natürlich. Die Griechin nimmt ihre Gäste aus Deutschland herzlich in Empfang, was bleibt ihr auch anderes übrig. Seit etwas über zwei Wochen darf sie, Danae Stratou, wieder mit der Presse sprechen. Das Abenteuer ihres Mannes Yanis Varoufakis ist erst einmal überstanden. Alles, was sie nun sagt, kann nicht mehr gegen die Regierungspartei verwendet werden. Er ist nicht mehr Finanzminister. Er ist jetzt wieder Interviewpartner.
Sie ist mit dem Motorrad zum Hotel gefahren, in dem die deutsche Presse übernachtet, die sie treffen und kennenlernen will. Einmal geht es nicht um ihren Mann, sondern um sie: Danae Stratou, die Künstlerin. Sie kann das immer noch nicht glauben. Sie trägt enge, weiße Jeans und bronzenen Lidschatten, ihre Haare sind zu einer lustigen Welle aufgestellt, und sie ist viel kleiner als sie auf den Fotos wirkt, die wie aus Versehen von ihr in den vergangenen Monaten veröffentlicht wurden. Der Auftritt, den sie dabei hinlegte, gereichte ihr leider nicht immer zum Vorteil.
Bei manchen Auftritten trägt sie schwarz
Irre war natürlich die Abfahrt vom Parlament: Yanis Varoufakis legt sein Amt als Finanzminister nieder, läuft zu seinem Motorrad, wo seine Frau auf ihn wartet. Die Presse, so erzählt sie das, stürzt sich wie Hyänen auf ihn, reißt sogar seine Bodyguards mit sich. Ein, zwei, nein: drei Motorräder stürzen, nur sie erwischt gerade eben noch das Bike ihres Mannes und springt auf. Klick. Ein Bild für die Ewigkeit entsteht: Ein mit Helm maskierter Mann und seine blonde Frau retten sich vor den Lügen der Politik und brausen davon.
Yanis Varoufakis erreicht im Anschluss seinen vorläufigen Karrierehöhepunkt, sein Gesicht ist überall, es werden sogar Witze unter Journalisten gerissen über den Overkill an Varoufakis. Seine Frau aber bleibt die rätselhafte Nebenfigur.
Sie muss für das französische Magazin "Paris Match" als schöne Gattin herhalten. Sie bringt den Journalisten Kaffee und Plätzchen (Spiegel 31/2015) oder füllt die Abwesenheit ihres geschäftigen Mannes mit ein paar Anekdoten. Jan Böhmermann beschreibt sie als "Playmate from the 80s". Manchmal wird aus der blonden Muse mit den großen blauen Augen, die die britische Popband Pulp zu einem Song inspiriert haben soll, auch eine Amazone, die sich schützend vor ihren Mann stellt, wenn er von vermummten Anarchos auf der Straße angegriffen wird. Bei solchen Auftritten trägt sie Schwarz und die schönen Augen verschwinden hinter blau getönten Sonnenbrillengläsern. Diese schützen vor Blicken. Die Bilder aber florieren, ohne dass sie, die Künstlerin und Bildexpertin, Einfluss darauf hat. Wie merkwürdig muss das sein.
Die künstlerische Laufbahn führte sie nach Venedig
Der eigene Berufsweg führte sie, damals gerade Anfang 30, nach Venedig. 1999 gehörte sie, geboren 1964, zur Auswahl der Künstler, die ihr Land auf der wichtigsten Biennale repräsentierten durften. Endlich sollten einmal junge Frauen dabei sein, erzählt sie, und nicht nur alte Männer. Sie betitelte Magazine. Sie führte Interviews. Zwar gibt sie zu, dass sie aus heutiger Sicht lieber etwas Bedeutenderes ausgestellt hätte als diese Hommage an die Land-Art, das Wasser und die Architektur. Aber sie war jung und ihr politisches Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Das habe erst ihr Mann geschafft und die Gespräche über Politik, die sie verfolgte. Als Kind sei sie viel im Meer gewesen, auf den Inseln, sie sei auf Pferden geritten und mit 16 Jahren habe sie Tai-Chi entdeckt.
Ein Tai-Chi-Kämpfer taucht in einem ihrer Videos auf. Sie hat es 2005 vor dem Olympiastadion in Berlin gedreht. Zwar wirkt dieser tanzende Mönch vor dem Nazi-Bau irgendwie unbeholfen, aber die Auseinandersetzung mit der faschistischen Architektur muss ihr ein Anliegen gewesen sein, der Propaganda-Apparat der Nationalsozialisten, die Ästhetisierung von Politik, da ist man gleich beim Thema. Danae Stratou aber wollte mit dieser Arbeit an eine antike Weisheit erinnern: Heute habe Sport so viel mit Medizin zu tun, sagt sie. "Früher wusste man: Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper." Viel mehr sagt sie nicht darüber.
Paparazzi machen ihr das Leben schwer
Es ist fast eine knappe Stunde vergangen, das Aufnahmegerät läuft, und gleich soll das Kamerateam einer Kultursendung kommen, trotzdem hat man den Eindruck, als wäre keine der Fragen vernünftig ‒ oder wenigstens "interessant"? ‒ beantwortet worden. Der Einstieg, "Wie erging es Ihnen, als die Banken schlossen?", führt sofort in ihr Privatleben: Sie habe sich um Kinder auf einer Insel kümmern müssen und sei einkaufen gegangen in einem Supermarkt. 200 Euro sollten die Lebensmittel kosten, und die Verkäuferin habe nur gelacht, als sie zum Automaten gehen wollte. Sie habe Angst bekommen, schließlich könne man auf den Inseln nur selten mit Kreditkarte zahlen. Und auch eine Frage zum Referendum beantwortet sie mit einem Verweis auf ihre Familie: "Ich habe mit Nein gestimmt. Ich bin mir nur nicht sicher, ob meine Kinder dasselbe gewählt haben." Danae Stratou ist nervös, das sieht man ihr an. Sie möchte, dass es um ihre Kunst geht und nicht um ihren Mann. Man möchte ihr diese Angst nehmen. Fast tut sie einem leid.
Sie erzählt von Paparazzi-Angriffen, ihre Familie wurde bis zu ihrem Haus auf der Insel verfolgt, es habe sogar Klagen gegeben, zugleich aber weiß sie, dass die Aufmerksamkeit ihr auch hilft. Gerade ist sie aus Portugal zurückgekehrt. Sie wurde von einer Biennale eingeladen, zwei ihrer Arbeiten zu zeigen. Auf der Eröffnung habe man sie mit großem Applaus empfangen, obwohl noch niemand ihre Werke gesehen habe. "Ich glaube", sagt sie, "die Portugiesen können sich mit der Lage in Griechenland identifizieren und respektieren uns für unseren Mut, Widerstand zu leisten." Es gab sogar Menschen, die mir ihr Selfies machen wollten, als sei mit ihr auch der Geist ihres Mannes Yanis Varoufakis anwesend.
Grenzpostenbesuche mit Yanis Varoufakis
Für die Arbeit "Globalizing Wall", 2012, die auf der Biennale gezeigt wird, sind Danae Stratou und Yanis Varoufakis auf Reisen gegangen. In einem leidenschaftlichen Text erklärt der Akademiker, wie die Abenteurer-Künstlerin ihn aus seiner Theorieblase befreit habe. Endlich habe er Grenzen nicht nur geistig gedacht, sondern real erlebt. Sie waren im Kosovo, in Kaschmir, in Palästina, Nordirland, Afrika. Sie schoss die Fotos. Er habe diesen künstlerischen Prozess mit Faszination verfolgt: Die Intuition, die ihm fremd war. Sein Text wurde Teil der Arbeit und hängt nun in Portugal neben ihrer Installation. Auch für andere Werke schlüpfte er in die Übersetzerrolle, schrieb was das Zeug hält, immer persönlich und politisch zugleich. Gemeinsam gründeten sie die Plattform Vitalspace.org, "aus dem Glauben heraus, dass die Kraft der Kunst die Welt verändern kann". An diesem Glauben hält Danae Stratou fest.
Sie verhält sich als sei man ihre Freundin, die für dieselbe Sache kämpft wie sie. Sie erzählt vom politischen Alltag ihres Mannes, von Interna, die niemals in der Zeitung standen. Sie fragt um Rat, was sie vor der Kamera für die Kultursendung tragen soll, und ob sie über diese "Paris Match"-Geschichte, diese fürchterlichen Bilder, reden solle. Bevor man antworten könnte, plaudert sie los wie ein junges Mädchen, dem ein Sturm das Haus kaputt gemacht hat: Sie sei sehr skeptisch gewesen, als die Anfrage aus Frankreich kam, habe aber ihren Mann unterstützen wollen. Schließlich sollte der Artikel den Verkauf eines seiner Bücher antreiben. Die Journalisten seien in die Wohnung gekommen und hätten sie überredet, Kleidung zu tragen, die sie nie trägt, und Meeresfrüchtesalate zu essen, die sie so nie isst.
Das Abendessen auf der Straße
Wie um das zu demonstrieren, bittet sie die Gäste am Vorabend des Interviews zum informellen Abendessen mit ihrem Mann in ein bescheidenes Restaurant. Auf Plastikstühlen nimmt man auf der Straße neben ihm und einem anderen Herren Platz und schaut einem Theater zu, dessen Handlung für jeden Geschlechterordnungsexperten zu schön ist, um wahr zu sein. Ein Aufnahmegerät läuft, der Herr ist Journalist und macht die ganze Zeit Notizen. Danae Stratou lächelt entschuldigend und flüstert ihrem Kulturgast zu, er sei auf ihrer ideologischen Seite, aber irgendwann ist Varoufakis genervt. Dann schnappt er ihm den Stift aus der Hand. Es werden wilde Theorien aufgestellt, zum Beispiel über Amerika, Putin und Russland, wo er im September auf der 5. Moskau-Biennale einen Vortrag halten soll. Danae Stratou schweigt.
Es gibt ein Gerücht, dass sich seit Jahrzehnten hält, und das lautet: Kunst ist etwas für höhere Töchter und reiche Väter, von Kunst kann man sich nichts kaufen; was am Ende des Tages zählt, ist das Geld in der Tasche und das Essen auf dem Teller. Ein frustrierter Künstler drückte es einmal so aus: "Kunst handelt nicht und funktioniert nicht. Die Kunst begnügt sich mit der Präsentation von Ideen, die niemand umzusetzen gedenkt. Alles, was der Kunst heute noch bleibt, ist inszeniertes Spektakel, in dem soziale und politische Probleme verhandelt werden ‒ ohne jeglichen Einfluss auf die Realität." Das schrieb Artur Żmijewski anlässlich der 7. Berlin Biennale. Konfrontiert man Danae Stratou mit solchen hübschen Provokationen weiß man nicht, ob sie noch nie davon gehört hat oder sich dafür entscheidet, sie zu ignorieren.
Kunst als Heilung
Als sich die Finanzkrise in Griechenland zum ersten Mal manifestierte, veränderte der traurige Abschiedsbrief eines Apothekers ihr Leben. Wie immer mehr Griechen, hatte er sich das Leben genommen und erklärt, die Situation habe ihm die Würde geraubt. Daraufhin startete sie einen Aufruf, in dem sie ihre Landsleute bat, ihr mit einem Wort eine von zwei Fragen zu beantworten: Was bedroht Sie am meisten? Und: Was möchten Sie beschützen? Die Reaktionen haben sie überwältigt: Knapp 1000 Menschen hätten ihr Begriffe wie Würde, Hoffnung, Liebe, Zuhause geschickt. Diese ließ sie als Schriftzug in kleinen Kästen aufleuchten und nannte die Installation "It’s time to open the black box", 2012. Im Interview sagt sie darüber, Blackboxes, also Flugschreiber, könnten den Flugzeugabsturz aufklären. Indem man sie vor dem Unfall öffnet, könne man ihn wohlmöglich verhindern. Kunst bedeute auch überleben. Es gebe ja nicht nur die Ratio, Menschen in Griechenland könnten arm sein, aber "wir können rausgehen und singen und tanzen und das gibt uns wiederum Stärke, den nächsten Tag zu bewältigen. Kunst macht uns zu Menschen." Dann ist es für eine Weile ganz furchtbar still.
Wie sie die Berichterstattung über ihren Mann aufgenommen habe, fragt man sie später, immerhin konnten sich viele Journalisten nicht im Zaum halten und ihn als unzuverlässigen Macho aus dem Süden stilisieren; er könne gar als "wilder Reiter" in die Geschichtsbücher eingehen, dem das Hemd über "einen ganz offensichtlich nach amerikanischen Vorbildern gestärkten Körper mit einem Bizeps" über die Hose schlappe. Da gibt sie zu, dass sie das verletzt habe, und dass sie Jan Böhmermann für einen Helden halte. Einen Komiker-Künstler, der mit dieser Mittelfingernummer richtig umgegangen sei. Sie erwähnt aber auch ihr ausgeprägtes Liebes- und Sexualleben. Aber so genau wollte man das nun auch wieder nicht wissen. Schließlich ist man hier, um über Kunst zu sprechen.
Die deutsche Documenta soll griechische Künstler unterstützten
Mitglieder des Documenta-Teams sind seit Monaten in der Stadt und bereiten die Großausstellung vor, die 2017 nicht nur in Kassel, sondern auch in Athen stattfinden soll. "Von Athen lernen" lautet der Arbeitstitel. Aber darüber muss Danae Stratou sich erst noch informieren, sie hoffe jedenfalls, dass ihre Stadt nicht ausgestellt werde wie im Zoo. Außerdem würde sie begrüßen, dass griechische Künstler ihre Stimme erheben können und Geld bekommen für die Produktion von Arbeiten.
Ihr fehlt dieses Geld selbst. Seit einigen Jahren lebt sie vom Professorengehalt ihres Mannes, konnte kaum Kunst verkaufen. Über die griechischen Sammler Dakis Joannou und Dimitris Daskalopoulos zum Beispiel, die die größten Unternehmen des Landes führen, möchte sie lieber nicht sprechen, sagt nur, ihre Sammlungen würden nicht die griechische Kunstszene widerspiegeln. Die interessante Kunst komme von der Straße, wo die Künstler für ihre Sachen kämpften. Ihre frühere Projekte ‒ die Reise nach Ägypten 1997 für eine Installation in der Wüste nach ihren Vorbildern Robert Smithson, Walter De Maria oder James Turrell etwa ‒ seien nicht immer ganz billig gewesen. Aber es sei ihre Pflicht als Künstlerin, Ideen zu entwickeln, die den jetzigen Verhältnissen Stand halten. Stolz erzählt sie von einer Einladung der Stiftung von Benetton. Der Kleidungshersteller habe Künstlern auf der ganzen Welt gerahmte Leinwände zur Verfügung gestellt. Sie habe diese abgerissen und das ganze "Athens stripped" genannt. Bedeutung könne auch ohne Geld geschaffen werden, sagt sie über den nackten Rahmen.
Das Studio von Danae Stratou liegt in Psirri, einem Athener Stadtteil, der bis heute auf Internetforen als "pretty dodgy" eingestuft wird. Hier leben viele Immigranten, es gibt Straßenmärkte und schrabbelige Läden. Der Taxifahrer fragt auf dem Weg, wen die Deutschen hier bitte schön treffen wollen: "Einen Gangster?" Während der Dreharbeiten für die Kultursendung tritt ein Verkäufer aus einem Kiosk, der direkt neben dem Aufgang zu ihrem Atelier liegt, und fragt: "Ist das ein Model?" Auf dem Weg zum Mittagessen läuft Danae Stratou einen Freund in die Arme, der englisch spricht. Er stellt ihr seine Begleitung vor. Diese kümmert sich um Flüchtlingskinder und möchte Theater- und Kunstprojekte starten. Sie fragt, ob Danae Stratou das unterstützen würde. Sie strahlt und sagt: "That sounds great".