Andrea Büttner in Düsseldorf

Die Codes der Ausgrenzung

Die Künstlerin Andrea Büttner ist einzigartig darin, den historischen Kontext von Bildern zu analysieren und damit das Jetzt zu beschreiben. Auch von Trends zu Achtsamkeit und Wellness lässt sie sich nicht einwickeln, wie im K21 in Düsseldorf zu sehen ist

Den Rücken beugen, den Kopf tief sinken lassen, um nicht auf Augenhöhe zu erscheinen, nur die Hände sind ausgestreckt in einer flehenden Geste. Die Künstlerin Andrea Büttner untersucht sie seit Langem, die Bilder des Bettelns und der Scham. In ihrer Serie "Beggars" hat sie sie zu Holzschnitten destilliert, begleitet von einer kunsthistorischen Recherche im Archiv des Warburg Institute, die die Kunstgeschichte des Topos auffächert. 

Sie richtet den Blick auf die strengen visuellen Codes, die gesellschaftliche Ausgrenzung markieren. Wer Hilfe braucht, muss sich erniedrigen, mit Körperhaltungen, die fast so eindeutig definiert erscheinen wie die hingestreckte blanke Kehle als Unterwerfungsgeste bei kämpfenden Säugetieren.

Die 1972 geborene Künstlerin, so zeigt ihre Ausstellung im Düsseldorfer K21, ist einzigartig darin, mit scharfen Analysen den Bildern einen gesellschaftlichen und historischen Kontext zu geben – und sie lässt sich nicht einwickeln von Achtsamkeit, Wellness und ähnlichen Trends. Gerne wäre man bei dem in der Ausstellung erwähnten Workshop "Against Healing" gewesen, den Büttner 2022 im Berliner Gropius Bau organisiert hat und wo unter anderem verschiedene Verbindungen von Rechtsradikalismus und Ökologiebewegung Thema waren – in Düsseldorf sind nun Büttners Fotografien der Beetfundamente der Plantage und des "Kräutergartens" zu sehen, die von der SS im Konzentrationslager Dachau für biologisch-dynamische Agrarforschung genutzt wurden.

Social Media ist der Pranger der Gegenwart

Die Ambivalenzen zu zeigen ist Büttners Ziel, bis in die verwendeten Materialien und Techniken hinein: Traditionelle Mittel wie Holzschnitte oder auch Schnitzarbeiten werden von ihr gleichzeitig ausgiebig genutzt wie durch ihren konzeptuellen Ansatz infrage gestellt. So stapeln sich zum Erstaunen der Betrachterin in einer Vitrine virtuos geschnitzte Spargelstangen aus Holz und stellen in ihrer detaillierten Unterschiedlichkeit die Frage nach Wiederholung und Differenz, erinnern aber gleichzeitig auch daran, wer eigentlich in Deutschland die Spargel sticht, wessen Hände dadurch rau werden und wessen Rücken sich beugen muss. 

Mit dem Thema Scham, repräsentiert durch eine Wand voller blass eingefärbter Bilder von öffentlichen Beschämungsszenen, greift Büttner schließlich genauso weit in die Geschichte aus wie in die Gegenwart: Die sozialen Medien sind die Pranger des 21. Jahrhunderts. In einer Soundinstallation kann man dazu allen Szenen aus den Tagebüchern des Künstlers Dieter Roth zuhören, bei denen es um Scham geht – elende Selbstentblößungen eines alternden Alkoholikers, illusionslos, präzise und zutiefst menschlich wie alles in dieser Schau.