Die Ausstellung „Our Future“ im Pekinger Ullens Center for Contemporary Art erinnert an ein chinesisches Menü: Am Schluss ist man satt, weiß aber nicht genau wovon.

Die junge Frau, die wie ein Topmodel aussieht, aber für den chinesischen Rundfunk arbeitet, schüttelt ungläubig den Kopf: „Sie sind nur wegen der Ausstellungseröffnung hergeflogen? Von Berlin nach Peking? Warum hat der Westen nur so ein großes Interesse an chinesischer Kunst?“
 

Es ist der Eröffnungsabend der Schau „Our Future“ im Ullens Center for Contemporary Art (UCCA), in der Guy Ullens, belgischer Multimillionär und Gründer des Hauses, erstmals rund 100 Werke aus seiner Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst präsentiert. Ein Großereignis, pünktlich zum Beginn der Olympischen Spiele. Im Saal drängen sich Dutzende Chinesen, die auffallend jung sind und gut gekleidet, und mindestens ebenso viele europäische und amerikanische Journalisten, die sich auffallend investigativ geben, man ist ja nicht irgendwo. Dabei stellen sich die Chinesen die kritischen Fragen schon selbst: „Glauben Sie denn, dass die chinesische Kunst gut ist?“ will die Radiojournalistin wissen. „Geht das nicht alles viel zu schnell?“ Wahrscheinlich ja. Nachdem das UCCA in seiner Eröffnungsschau vergangenen November Künstler der „Generation 85“ zeigte und auf die vergangenen 20 Jahre zurückblickte, soll „Our Future“ das Morgen ausloten – als hätte man zwischenzeitlich die Gegenwart vergessen. Ganz metaphergerecht gelangt man in die Ausstellung über Wang Dus „Space-Time Tunnel“, darin laufen auf Bildschirmen Sendungen von BBC, CNN, MTV. Eine Kritik an der globalen Informationsflut soll diese Arbeit sein, aber dann muss der Künstler entweder auf den westlichen Kunstmarkt geschielt haben oder ein große Zyniker sein. Am Ende des Tunnels gibt es eine Rutsche, ähnlich der von Carsten Höller in der Tate Modern, man landet unsanft auf dem Hosenboden und möchte sofort zurück in den Tunnel kriechen.
 

Denn von der Wand grinsen auf Yue Minjuns Ölgemälde „Happiness“ genau jene Chinesen, die einem schon in den vergangenen Jahren auf jeder größeren Kunstmesse schlechte Laune machten. Und so geht es weiter: Da ist Sui Jianguos „Clothes Wrinkle Study, Right Arm“. Da sind die Graugesichter auf den Familienporträts von Zhang Xiaogang. Zweifellos entstehen in Pekings brodelnder Kunstszene spannende, frische Werke – doch „Our Future“ setzt auf sanktionierte big names wie Ai Weiwei, Qiu Zhijie, Fang Lijun oder Wang Guangyi: bisschen Kommunismuskitsch, bisschen Exotik, bisschen bekannt das alles für eine Ausstellung, die nach der Zukunft fragt. Die wenigen Arbeiten, die man nicht kennt, versteht man auch nicht – was dann fast schon wieder angenehmer ist. Dennoch würde man gern wissen, was die inhaltliche Klammer dieser Schau ist, ob vielleicht einzelne Werkgruppen in Dialog zueinander treten, wie man so sagt, und ob sie wohl chinesisch miteinander sprechen. Stattdessen erklärt Jérôme Sans, der Kurator der Ausstellung, recht schwammig, es gehe um Verständigung und Austausch zwischen China und dem Westen, darum, zu verstehen, was in der chinesischen Gegenwartskunst gerade los sei. Wenn der Franzose „contemporary“ sagt, klingt das ein wenig wie Potpourri. Tatsächlich erinnert „Our Future“ mit ihren Videos, Installationen, Performances, Gemälden, Skulpturen an ein chinesisches Menü: Bevor man aufgegessen hat, kommt schon der nächste Gang, am Schluss ist man satt, weiß aber nicht genau wovon. Dann sagt jemand, das Essen sei ja nicht authentisch genug gewesen. Und dann sagt jemand, echte chinesische Küche sei für den Westler ja gar nicht zu genießen.
 

Das ist das Grunddilemma chinesischer Gegenwartskunst: Ständig wird daran erinnert, dass sich die Künstler erst am Westen orientieren mussten, weil es im eigenen Land einfach nichts gab. Dann seien westliche Sammler eingestiegen, die etwas ganz Eigenes ausmachten (der Kunstmarkt giert nach Fremdem), daraufhin hieß es, die Chinesen betrieben Selbst-Exotisierung. Die Argumente kreisen wie das Essen auf der Tischplatte. Vielleicht sollten alle den Mund halten und sich auch mal mit dem Nichtverstehen zufriedengeben. Ein echter Kenner ist meist eh nicht dabei. Da ist die radikale Subjektivität, mit der Guy Ullens seinen Kunstgeschmack begründet („Ich bin Bauchsammler“), fast sympathisch. Der heute 73-Jährige kam in den frühen achtziger Jahren als Geschäftsmann nach China. Er verbrachte seine Freizeit mit jungen Künstlern, lange bevor es eine Szene oder einen Markt für Gegenwartskunst gab, kaufte, was ihm gefiel, und baute so nach und nach eine Sammlung auf, die heute über 1500 Werke umfasst. Ähnlich umfangreich dürfte nur die Kollektion desSchweizers Uli Sigg sein, des anderen europäischen Großsammlers chinesischer Kunst.
 

Das UCCA ist das erste private Kunstmuseum Chinas, ein beindruckender Bau von 8000 Quadratmeter Größe, der nicht nur Ausstellungsort ist, sondern auch Recherche, Fortbildung und Dis - kussionen ermöglichen soll. Gleich am Eingang haben sich Guy und seine Frau Myriam Ullens im Stil der Medici auf einem Ölgemälde verewigen lassen. Man mag das als angeberisch empfinden, anmaßend ist es nicht.
An diesem Porträt liefen innerhalb der ersten drei Tage der „Our Future“-Schau 2300 Besucher vorbei; man kann es Guy Ullens gar nicht hoch genug anrechnen, dass er mit dem UCCA zur Etablierung einer chinesischen Kunstöffentlichkeit beiträgt. Genau dies war indes in Frage gestellt worden, als Ullens Anfang des Jahres Jérôme Sans zum Kurator berief.
Sans löste den Chinesen Fei Dawei ab, in europäischen Medien war von einer „kolonialen Geste“, von einem „Westruck“ die Rede, zumal Fei Dawei als Garant für skeptische Positionen galt: Als Kokurator hatte Dawei im Februar 1989 die berühmte Ausstellung der „85er Bewegung“ organisiert; nach dem Tiananmen-Massaker im Juni desselben Jahres musste er das Land verlassen, seitdem ist sein Hauptwohnsitz Paris. Man weiß nicht, inwieweit die chinesischen Behörden Ullens zum Kuratorenwechsel gedrängt haben. Sicher ist, dass auch der belgische Baron sich jede Schau genehmigen lassen muss (just am ersten Tag von „Our Future“ wird bekannt, dass eine geplante Warhol-Ausstellung in der Pekinger Faurschou-Galerie vom Kulturministerium verboten wurde) und es sich mit den Machthabern nicht verscherzen sollte. Schließlich will er in sieben Jahren seinen Mietvertrag für das Areal verlängern. Die Aufgabe des smarten Popstar-Kurators Jérôme Sans scheint derweil klar: Er soll das UCCA auf der Kunstweltkarte gleich neben Institutionen wie dem Palais de Tokyo setzen, wo er zuletzt arbeitete.
 

Schaut man sich in Peking um, weiß man ohnehin nicht, ob die Politik oder der Markt die größere Bedrohung für die chinesische Kunst ist. „Die Behörden kümmern sich nicht ernsthaft um Kunst“, erzählt eine Mitarbeiterin der benachbarten Long March Gallery, einer der wenigen nicht kommerziellen Institutionen der Stadt. „Warum sollten sie auch? Ein Bild sieht sowieso kaum jemand, das meiste, was hier produziert wird, verschwindet gleich in den Westen.“ Ein Mäzen wie Guy Ullens scheint da fast wie ein Relikt, Profitstreben kann man ihm, der kaum eines seiner Werke verkauft, nicht unterstellen. Im Gegenteil: Es heißt, Ullens musste Werke, die er für Schauen kommissioniert hatte, übereilt und überteuert einkaufen – die Künstler hatten noch während der Ausstellungszeit horrende Angebote von anderen Galeristen bekommen. „Paris is dead, London is dead, New York is dead. China is happening“, verkündete Jérôme Sans am Eröffnungsabend in der dichtgefüllten Bar des UCCA. Als er seine Rede beendet hatte, gab er ein Signal, ein riesiger Kronleuchter – eine Arbeit von Ai Weiwei – erstrahlte, und Sans rief: „Voilà!“ Ein Countdown für ein neues Kunstzeitalter? Die junge Frau, die wie ein Topmodel aussieht, aber für den chinesischen Rundfunk arbeitet, schüttelte ungläubig den Kopf.


„Our Future“, The Guy & Myriam Ullens Collection,

Ullens Center for Contemporary Art, Peking, bis 12. Oktober