Es ist sicher Zufall, dass "Bonjour Trieste" von La Stampa gerade erscheint, wenn die Zeitschriften "Groove" und "Spex" eingestellt werden. Pop hat sich verändert, Popkritik auch. Subkulturen sind am Ende, behaupten viele, vielleicht ist das Internet schuld daran, behaupten einige. Niemand muss mehr kleingedruckte Rezensionen lesen, dann in den Plattenladen gehen, Kennertum vortäuschen, um dazuzugehören. Oder anders gesagt: Kanonbildung im Pop funktioniert nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, über die alten Gatekeeper. Streamingdienste machen Pop aus allen Regionen der Welt und aus allen Zeiten verfügbar: Beyoncé genauso wie die Demos norwegischer Black-Metal-Bands aus den frühen 90ern. Pop heißt jetzt, dass die alten Coolness-Codes eingeebnet sind.
Der Kunskritiker und -wissenschaftler Jörg Heiser, Thomas Hug, Direktor der Kunstmesse Art Genève, Günter Reznicek, Künstler und Musiker, Jan Verwoert, Kritiker und Autor, und Jons Vukorep, Filmemacher, Angi Harrer-Vukorep, Regisseurin stehen dem Kunstbetrieb nahe, und sie sind wahrscheinlich eher Popmusik-Fans als Profis, eher am Diskurs interessiert als an der Chart-Karriere. Allein schon deswegen kann man dem Album mit dem Titel "Bonjour Trieste" ein wenig Ironie unterstellen. Vielleicht geht "Bonjour Trieste" auch als Hommage oder als Zitat durch - als Zitat von Françoise Sagans Roman "Bonjour Tristesse", oder als Hommage an den italienischen modernistischen Schriftsteller Italo Svevo, der in Triest geboren wurde. Die Stadt übrigens ist nicht gerade ein Sehnsuchtsort, sondern in der Tat eher trist. Aber Trieste, gerade noch zu Italien gehörend, gleich an der slowenischen Grenze, einst Teil von Österreich-Ungarn, liegt mitten im alten Europa am Nordzipfel der Adria.
Es gibt in dieser polyglotten Sammlung einer deutschen Band mit italienischen Namen Texte auf Französisch, auf Spanisch, natürlich auf Englisch, dazu spielt die Band noch eine Coverversion des 2018 erschienenen kroatischen Chansons "Šta Da Radi Insan" von Elvis J. Kurtovic, der im Original schon so klingt, als würde er schon seit Jahrzehnten in Autoradios entlang der Adria laufen. Mit Piano, Kinderkeyboards und einer langsamen Drum-Machine machen La Stampa daraus einen wehmütigen Elektropop-Song im Dreiviertel-Takt.
Überhaupt, das ist Zitatpop, der nicht nach 2018 klingt. Eigentlich klingen die Lieder nach überhaupt keinem Jahr, sondern nach Popfans, die vor dem Plattenschrank sitzen, in dem alles gleichwertig und gleichzeitig existieren kann und darf. Wehmütig vielleicht, weil auch das im Pop vereinte Europa, von dem diese Lieder träumen, nicht mehr existiert.