Im 19. Jahrhundert gibt es erstmals den Typus des autonomen Künstlers. Meistens bärtig, männlich und selbstbewusst. Weil er weiß, dass er nicht so ist wie die Bürger. Außerdem weiß er, dass die Bürger gerne so wären wie er. Das lässt sich gut an Gustave Courbets Gemälde "La rencontre (Bonjour, Monsieur Courbet)" beobachten. Courbet hat sich selbst ins Bild gesetzt. Auf der Landstraße nach Montpellier trifft er seinen – sehr bürgerlichen Sammler – Alfred Bruyas. Man sieht auf den ersten Blick: Courbet hat den größten Spazierstock. Und den längsten Bart.
Dass männliche Künstler sich nicht in Bescheidenheit üben, ändert sich im Laufe der Moderne nicht. Vor allem nicht bei Avantgardekünstlern wie den italienischen Futuristen. Wo die Futuristen sind, ist immer vorne. Zum Beispiel Luigi Russolos "Automobile in corsa". Technikfetischismus und ein Ego, dem nur Sportwagen, Kampfflugzeuge und der unbedingte Fortschritt genügen können, sind schon Anfang des 20. Jahrhunderts Teil des Machismo.
Der Modefotograf Juergen Teller zeigte sich derweil im Rahmen der Ausstellung "Masculin/Masculin" im Pariser Musée d’Orsay irritiert davon, wie seine Künstlerkollegen Männlichkeit darstellen. Rodin, Robert Mapplethorpe, Francis Bacon, überall Muskelmassen und perfekte Körper, aber niemand wird schwitzend gezeigt. Das Bild des männlichen Testosteron-Sklaven wollte er ironisch brechen. Also ging er, braun gebrannt, mit Goldkettchen um den Hals und seinen kurzen, sehr kurzen Trainingshosen, die sein Markenzeichen sind, ins Fitnessstudio und trainierte mit Gewichten schwitzend für die Kamera. Ironisch nannte er seine Ausstellung "Macho".
Nur leider haben es nicht alle Künstler mit der Ironie, dafür hängen sie offenbar zu sehr an ihrem Macho-Image. Siehe Georg Baselitz, der eine, wie er selbst meint, gute Erklärung dafür parat hat, warum der Kunstmarkt eine Männerdomäne ist. Frauen können nicht so gut malen. Das ist bekannt, weil Baselitz es vor gut zwei Jahren gesagt hat. Und wenn es nach ihm ginge, wäre das eine Tatsache, die man doch bitte akzeptieren solle. Selbst wenn er einige Frauen wie Agnes Martin oder Paula Modersohn-Becker als Ausnahmen gelten lässt, sind sie für ihn trotzdem nicht so bedeutend wie Picasso oder Gauguin. Frauen fehle die notwendige Brutalität, der Wille zur Zerstörung, zur Vernichtung, der Drang besser sein und über die Kunst anderer hinauszuwachsen zu wollen. Männer hätten damit kein Problem, die bräuchten nicht einmal Talent, um als Maler erfolgreich zu sein, das würde nur stören. Aber nicht dass man George Baselitz noch falsch versteht, die Frauen, die liebt er.
Männer wie Picasso brauchen Frauen, das geben sie gern unumwunden zu, im besten Fall sind sie die Musen des Künstlers. Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka hat einmal gesagt, dass er ohne Weiber nichts ist. Und noch etwas anderes hat er verlauten lassen. Dass er rote High Heels mag. Fortan kamen die Damen in roten High Heels zu ihm. Für Picasso haben sich Frauen wie seine – heute würde man "Lebensabschnittsgefährtin" sagen – Geliebte Jacqueline Roque regelrecht geopfert. Picasso konnte und wollte nicht ohne sie, also hat er sie erst zum Arzt gelassen, als sie in seinem Atelier zusammenbrach. Am Gehabe eines Machos muss man sich offenbar nicht stören, ganz im Gegenteil, einige Frauen werden der Männer wegen sogar zu Märtyrerinnen.
Ob man sich nun daran stört oder nicht, Machos haben einen festen Platz im Kunstbetrieb. Deshalb hier eine Liste mit Kunst von Machos, mit Kunst über Machos und mit Künstlern, die man auf den ersten Blick für Machos halten könnte. Inklusive einem Sylvester Stallone, der mit Stroh und Sekundenkleber herumwerkelt.
Der größte Maler der Welt: Markus Lüpertz
Markus Lüpertz kokettiert mit dem Image des Machos. Ein Macho, das ist er eigentlich gar nicht, das wird ihm nur nachgesagt. Aber ist der Ruf erst ruiniert usw. Und da die Welt in ihm nun einmal einen Macho sieht, muss er dieses Image pflegen. Als "alternder Macho" spiele er ironisch damit, erzählte er vor einiger Zeit in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Wie jeder andere Mann, sei er sein Leben lang ein Opfer der Liebe gewesen. Ein Genie ist er sowieso, der größte Maler der Welt, Bewunderung, bitte, aber das ist eine andere Geschichte. Und gut sieht er auch noch aus. In einem filmischen Porträt über sein Leben sagte er: "Solang Brad Pitt nicht mit im Flugzeug sitzt, habe ich die Chance, im Allgemeinen der attraktivste Gast zu sein."
Sein blendendes Aussehen hilft ihm nicht immer weiter. Kuratorinnen würden ihn ablehnen, jammerte er an anderer Stelle, weil sie ihn für einen Macho hielten. Was das nun alles mit seiner Kunst zu tun hat, er weiß es nicht.
Warum liegt hier Stroh: Sylvester Stallone
Dass Sylvester Stallone Kunst liebt, ist schon lange bekannt. Denn der mit "Rambo" den Prototyp des Machos verkörpernde Schauspieler sammelt Kunst. Unter anderem besitzt er ein Bild von Anselm Kiefer. Als von dem Bild in Stallones Wohnzimmer aber Stroh abfällt, denkt er sich: "Scheiße, was liegt da unterm Bild? Stroh", sagt er in einem Interview. Und weil der Schauspieler nicht weniger als 1,7 Millionen Dollar für das Bild bezahlt hat, richtet er es selbst wieder her. Mit Sekundenkleber.
Man merkt schon: Da besteht ein Drang, sich praktisch und künstlerisch zu betätigen. Nach eigenen Angaben hat der "Rocky"-Schauspieler (hier im Monopol-Interview) in den vergangenen vier Jahrzehnten 300 bis 400 Gemälde geschaffen. Das klingt erstmal nach machohafter Prahlerei. Sein künstlerischer Output ließ sich im vergangenen Jahr bei Einzelausstellungen in Nizza und St. Moritz überprüfen.
Ein schöner Ritt: Richard Prince
Richard Prince ist gut darin, andere Menschen zu verärgern. Dazu braucht er nicht viel. Nur ein paar Bilder, die ihm nicht gehören. Urheberrechte an Bildern haben ihn noch nie wirklich interessiert. Früher, in den 80ern griff er auf Werbebilder zurück, wie den Lasso schwingenden Cowboy auf dem Pferderücken aus der Marlboro-Reklame, auf Bilder, die den weißen Machismo verklärten.
Schon immer nimmt er einfach, refotografiert, wie er sagt, eine Galerie stellt aus, verkauft seine Werke im besten Fall teuer und die Urheber sind not amused. Sein Vorgehen nennt sich Appropriation Art. Seit es das Internet und soziale Medien gibt, ist die Aneignung fremder Inhalte noch einfacher geworden.
Prince brauchte für seine "New Portraits", die 2014 in der Londoner Gagosian Gallery gezeigt wurden, nur ein Smartphone, einen Instagram-Account und viel Zeit. Irgendwann tippte er fröhlich drauf los und hinterließ schmierige Kommentare, etwa unter einem Bild der Musikerin Sky Ferreira: "Enjoyed the ride. Let’s do it again some time. Richard." Einige der betroffenen Frauen trugen es mit Fassung, sie kümmerten sich nicht weiter darum, dass Prince ihre Bilder einfach mal so für $ 90.000 verkauft. Andere, wie Selena Mooney besser bekannt als Missy Suicide von den Suicide Girls, fühlten sich unwohl bei dem Gedanken, dass ein älterer weißer Mann Geld mit Bildern verdient, die junge Frauen leicht bekleidet in sexy Posen zeigen. Dabei macht Prince nur, was er am besten kann: Spielchen spielen mit den Symbolen der Macho-Gesellschaft, wobei er regelmäßig die Machismo-Karte ausspielt.
Der kleine Freund: Damien Hirst
Damien Hirst gefällt sich in der Rolle des Rotzlöffels, der mit Flegeleien und Protzerei auf sich aufmerksam macht. Einer seiner liebsten Streiche: Die Vorhaut durch ein Loch in der Hosentasche ziehen, erstaunt quieken, was das denn nun sei, die Umstehenden meinen, es sei Kaugummi und greifen danach. Die Reaktion: Was zum Teufel ...? Irgendwie eklig, Hirst selbst findet es sehr lustig.
Wenn Hirst nicht gerade mit seinem Penis herumalbert, macht er Kunst bevorzugt aus toten Tieren, die sich gut verkauft und die einst darauf angelegt war zu schocken – so wie sein kleiner Freund, der aus der Hosentasche hervorlugt. Manchmal laufen die Dinge mit der Kunst nicht ganz so, wie er sich das eigentlich vorgestellt hat. Der Tigerhai im Glaskasten fängt an zu verwesen. Shit. Fuck. Macht nichts. Fucking brilliant geht zwar anders, aber Tigerhaie gibt es ja genug. Da kann man schon mal einen neuen vor der Küste von Australien töten lassen. Und wenn der auch irgendwann shit ist, wird er wieder ausgetauscht. "Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden", heißt Hirsts bekanntestes Werk, eine der Ikonen der Kunst des 20. Jahrhunderts und zugleich für Kunstsammler konservierte Megalomanie. Größenwahn und Pennälerhumor statt Macho-Charme.
Im Himmel gemacht: Jeff Koons
Dreisten Kitsch macht dieser Jeff Koons. Unverschämt erfolgreich ist er mit seinen megalomanen Skulpturen noch dazu. Und niedlich sind die meisten seiner Werke. In seiner Arbeit trifft kaufmännisches Talent auf eine superglatte Ästhetik irgendwo zwischen Pop, Konzeptkunst und Niedlichkeit.
Eigentlich möchte er unbedingt erfolgreich sein und liebgehabt werden. So wie seine Skulpturen, die ein bisschen an große Kuscheltiere erinnern. Nachdem er während seines Studiums Duchamp und Pop-Art aufgesogen hat, macht Koons 1989 eine Serie von großformatigen Arbeiten, "Made In Heaven". Dort zeigt er sich mit seiner späteren Ehefrau Ilona Staller, Pseudonym: La Cicciolina. Der Inhalt der Bilder? Nun ja, pornografisch. Man könnte also meinen, Koons lebt den Traum vieler männlicher Teenager. Er ist reich und war mit einer Pornodarstellerin (La Cicciolina) verheiratet, verdient sein Geld mit riesigem Spielzeug und ärgert gleichzeitig alle Hüter des guten Geschmacks. Aber um ein richtiger Macho zu sein, ist er wahrscheinlich einfach zu nett.
Im Neonlicht: Bruce Nauman
Die 80er müssen ein gutes Jahrzehnt gewesen sein, um ein Macho zu sein. Lässig rauchend mit offenem Hemd im Neonlicht stehen, wie die Helden von "Miami Vice" oder wie Magnum. Das geht in diesem magischen Jahrzehnt des Machotums endlich auch in Kunstgalerien. Denn damals begann ein Trend, den man auch heute noch auf fast jedem Tumblr beobachten kann: Konzeptkunst mit Neonröhren. Bruce Nauman hatte damit zwar schon in den 60ern angefangen, aber seine bekanntesten Arbeiten sind eben zwanzig Jahre später entstanden. Noch besser sind seine Sujets: Statt der Kalendersprüche, die in den folgenden Jahrzehnten Galeriewände zuhauf zieren, gibt es bei ihm Knarren, Messer, Penisse und Fellatio. Als Umriss mit bunten, flackernden Neonröhren. Aber halt, das ist doch ein bisschen zu ironisch: 1980er hin oder her, Bruce Nauman braucht noch ein bisschen Nachhilfe, um ein echter Macho zu sein.
Altherrenhumor: Anish Kapoor
Anish Kapoor und die Vagina der Königin. Das klingt fast nach einem Titel von Joanne K. Rowling. Nur spielt die Hauptrolle nicht der Zauberlehrling Harry Potter, sondern der indisch-britische Bildhauer. Der hatte vergangenen Sommer im Schlosspark von Versailles wie vor ihm etwa schon Jeff Koons einige monumentale Werke zu einer Ausstellung arrangiert. Darunter eine 60 Meter lange und zehn Meter hohe Skulptur aus Stahl mit einem recht großen Loch in der Mitte, die Kapoor im Interview mit einer französischen Zeitung als "Vagina der Königin, die die Macht ergreift" betitelte. Der Künstler muss provozieren, der Künstler muss Polemiken auslösen. Aber mit der Welle aus Empörung und Hass, die ihm entgegenschlug, hatte er nicht gerechnet. Kapoor gibt denn auch unumwunden zu, dass die Riesenplastik "sehr sexuell" sei. Zuerst wurde sie mit gelber Farbe beschmiert, dann mit antisemitischen Parolen. Als er von der Schändung seines Kunstwerkes erfuhr, soll er nach eigener Aussage geweint haben – das berichteten zumindest die Tageszeitungen. Dieser Gefühlsausbruch spricht ihn trotz seiner Skulptur in Form einer gigantischen Vagina frei von jeglichem Vorwurf in Richtung Macho-Gehabe. Negativ aufgefallen ist er trotzdem mit seinem Altherrenhumor.
Alice Schwarzer und die Überfrauen: Helmut Newton
Keine Frage, Helmut Newton war einer der ganz großen Fotografen und einer der teuersten noch dazu. Wie er Frauen fotografiert hat, leicht bis wenig bekleidet, in aufreizenden Posen, oft ganz so, als müsse ein Mann nur kommen und sich nehmen, was er begehrt, das hat nicht allen gefallen. Vor allem Alice Schwarzer nicht. Die hat ihn 1993 in der "Emma" als sexistisch und rassistisch bezeichnet. Helmut Newton kümmerte nicht weiter, dass eine Frauenrechtlerin ihn für frauenverachtend hält und antwortete im Spiegel: "Wer meine Bilder versteht, erkennt, dass ich die Frauen liebe, sonst würde ich sie nicht so darstellen, wie ich es tue. Selbstbewusst, stark und nie als Opfer." Pumps, Schamhaare, viel Bein und viel Leder, verrucht, kalt und herrschsüchtig, das ist die Frau bei Helmut Newton – eine Überfrau. Alice Schwarzer konnte in ihm nur einen schnöden Macho erkennen. Und irgendwie hat sie ja Recht. Natürlich ist es lustiger, einem anderen Modefotografen, nämlich Juergen Teller dabei zuzusehen, wie er vor Charlotte Rampling nackt auf einem Piano herumkullert.
Homo- und Heteromachos: Tom of Finland
Als sich der Finne Touko Laaksonen 1973 zur Ruhe setzte, hatte er endlich Zeit für das, was er bisher nur nachts machen konnte. Tagsüber arbeitete er in einer Werbeagentur, nachts zeichnete er Männer unter dem Pseudonym Tom of Finland. Damit erfand Tom fast im Alleingang einen Typus des selbstbewussten, homosexuellen Machos. Immer muskulös, in Jeans oder in Lederhosen, mit oder ohne T-Shirt, als Polizist oder als Bauarbeiter verkleidet, entsprechen die homosexuellen Männer nicht mehr dem Klischee vom effeminierten Mann. Dass andererseits viele heterosexuelle Männer sich daran ein Vorbild für ihr eigenes Machotum nahmen, war in den 70ern ein Missverständnis. Wobei, die Übergänge sind ja fließend. Schließlich hat Andy Warhol auch Arnold Schwarzenegger fotografiert. Und das war vielleicht auch ein kleines bisschen queer.
Ein unmoralisches Angebot: Andrea Fraser
Dass der Kunstbetrieb an sich männerdominiert ist, überrascht nicht. Es sind vor allem Männer, die malen, sammeln und kuratieren. Das will zumindest der Röntgenblick der intitutionskritischen Konzeptkunst zeigen. Andrea Frasers Videoarbeit "Untitled" von 2003 erinnert an den Film "Ein unmoralisches Angebot". Nur dass bei Fraser weder Robert Redford, noch Demi Moore mitspielen. Stattdessen in den Hauptrollen: Fraser selbst und ein anonymer Sammler, der für die Nacht mit der Künstlerin gezahlt hat. Der Film ist ohne Ton, und sieht ein bisschen aus wie die Sextapes von B-Prominenten. Trotzdem finden amerikanische Museen das Werk "too shocking", um es dem Publikum in einer Retrospektive zumuten zu wollen.
Die Aufnahme von der Nacht im Hotelzimmer ist auf fünf Exemplare limitiert, eins davon besitzt der Sammler. Man kann es sich schon denken, hier wird irgendeine Parallele zwischen Kunst und Prostitution gezogen. Ein wenig klingt das nach Baudelaires Überzeugung, Kunst sei immer auch Prostitution. Immerhin zeigt "Untitled", dass Machokunst nicht unbedingt von Männern gemacht sein muss.