Herr Diez, was ist am Fahrrad als Designobjekt besonders?
Fahrräder sind vielleicht eines der besten Objekte, um über Design überhaupt zu sprechen. Fahrräder und Stühle sind Objekte, auf die wir Phantasien projizieren. Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München zeigt gerade eine Ausstellung mit bald 150 Jahren Fahrradgeschichte. Da wird einem klar, was für ein wunderbares Objekt das ist.
In der Ausstellung findet sich beispielsweise ein Modell Ihres Mentors Richard Sapper, ein ultraleichtes Faltrad aus Aluminium von 1998.
Es ist ein Hybrid zwischen einem Roller und einem Fahrrad. Wahrscheinlich war es schon immer das Schicksal vieler Fahrraddesignerinnen und -designer, dass sie der Zeit voraus waren. Heute wäre das wahrscheinlich ein ultraerfolgreiches Produkt. Zur Jahrtausendwende war man mit der Mobilität noch nicht so weit. Sapper hat schon in den 1980er-Jahren alle möglichen Ideen entwickelt, wie sich Leute in Zukunft vorwärts bewegen. Heute benutzen wir zum Beispiel Fahrräder als Ergänzung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den letzten Kilometern. Das war damals noch für zu wenig Leute relevant. Jetzt explodiert die Elektro-Bike-Branche ja förmlich. Die Zeiten haben sich in 20 Jahren enorm geändert.
Ihr Schwerpunkt liegt bisher im Bereich Wohnen. Ihre Stehlampe Rope Trick für Hey wurde sogar vom MoMA in die ständige Sammlung von Design Objekten aufgenommen. Einen Namen gemacht haben sie sich ansonsten vor allem auch mit Sitzmöbeln. Unter anderem haben sie Stühle für Thonet e15 und Brunner entworfen. Was reizt Sie speziell am Fahrrad?
Mich interessiert dass wir in in einer Zeit leben, in der die Mobilität einem Wandel unterliegt. Das sieht man an den Elektrorollern, den Elektrofahrrädern. Fahrräder werden eine zentrale Rolle bei der Mobilitätswende spielen. Das Besondere an diesem Projekt für die Firma Möve ist außerdem, dass das Unternehmen einerseits eine lange Geschichte hat, aber andererseits in Bezug auf Elektromobilität ein unbeschriebenes Blatt ist. Deshalb können wir uns in der Konzeption jetzt grundsätzliche Fragen erlauben. Wir können radikal denken, und das tun wir sehr gerne.
Stühle sind ja ein Lieblingsthema von Design. Aber auch beim Sattel geht es um Sitzkomfort.
Bei beiden Objekten steht der Mensch im Mittelpunkt des Objekts. Und jeder Stuhldesigner weiß, wie schwierig es ist, das Ding stabil zu kriegen. Ähnlich ist es beim Fahrrad der Fall.
Die Aufgabe ist eigentlich immer die gleiche, so wie die Anatomie des sitzenden Menschen sich ja nicht ändert.
Wobei sich der Rahmen beim Fahrrad tatsächlich sehr weiterentwickelt hat, vom Holzrahmen zum Stahlrahmen, zum Aluminium und dann zum Carbon. Natürlich können wir heute ein Carbonrad machen, und das wäre dann toll und ultraleicht – und ganz bestimmt in Taiwan hergestellt. Aber bei Möve haben wir die Möglichkeit, das Thema Produktion in Europa ins Zentrum unserer Überlegungen zu stellen. Nicht, dass ich der Meinung wäre, dass man in Europa grundsätzlich die besten Fahrräder baut. Aber auf jeden Fall wird man unsere Produkte in Zukunft sehr viel länger benutzen, und es muss bessere Möglichkeiten geben, diese vom Hersteller langfristig warten zu lassen. In den letzten 25 Jahren, die durch die Globalisierung geprägt waren, sind im Industriedesign oft alte Ideen einfach nur weitergeführt worden, weil man sie immer irgendwo noch billiger hat herstellen können. Jetzt müssen wir den Neustart hinlegen. Dazu muss man eine Idee auf den Tisch legen, die so gut ist, dass sie das Billige hinter sich lässt.
Wie konkret sieht Ihr Prozess gerade aus?
Wie bei fast jedem Projekt muss man den dritten Schritt wissen, um den ersten machen zu können. Im Augenblick helfen wir Möve, mit ihrer aktuellen Technik und mit den aktuellen Herstellern die Abläufe zu optimieren. In den nächsten Jahren werden wir uns zusehends damit beschäftigen, wie man die Komponenten eines Fahrrads besser integrieren kann. Heutigen Fahrrädern sieht man ja förmlich an, dass sie zusammengeschraubt sind. Dinge, die man sinnvoll verbinden kann, sollte man verbinden. Und die Dinge, die man austauschen muss, weil sie eventuell kaputtgehen können, sollte man möglichst leicht zugänglich machen. Dabei geht es auch darum, die Lesbarkeit des Objekts zu verbessern und den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Zukünftig werden wir durch digitale Kontrolle in der Produktion sehr stark auf den einzelnen Benutzer eingehen können, auf seine Größe, seine Physiognomie.
Sie haben einen Leitfaden für gutes Design in der Kreislaufwirtschaft mit zehn Punkten formuliert.
Der erste lautet, dass ein gutes Produkt möglichst lange nützlich sein soll. In der Zukunft wird ein Fahrrad nicht so schnell komplett ersetzt, sondern es wird sehr viel stärker repariert und generalüberholt werden, so wie wir es zum Beispiel vom Auto her kennen. Wenn wir ein Auto kaufen, gehen wir selbstverständlich davon ausgehen, dass man es bei Bedarf in die Werkstatt bringt.
Von Ihnen stammt auch die Definition des Designers als Übersetzer. Welche Übersetzungsanforderungen sehen Sie beim E-Bike?
Man muss die Produktsprache verständlich machen. Es soll greifbar werden, was die Leute bei einem Fahrrad ins Träumen kommen lässt.
Welche Rolle wird das Fahrrad in der Mobilität der Zukunft spielen?
Ein wichtiger Schritt wird sein, dass die Autos aus der Stadt verbannt werden. Damit wird es den Menschen leichter gemacht, in die öffentlichen Verkehrsmittel einzusteigen. Bei allem, was einen Umkreis von fünf Kilometern hat, wird das Fahrrad dann eine entscheidende Rolle spielen – mit E-Antrieb kann das schon bis 15 oder 20 Kilometer gehen.
Elektroautos hat die Politik ja bereits auf dem Schirm, subventioniert die Sparte und treibt den Ausbau von Ladestationen voran. Verkehrsminister Wissing hat in diesem Sommer die Mittel für die Radwegebauoffensive des Bundes bis ins Jahr 2028 gesichert. Was wünschen Sie sich noch seitens der Politik?
Man muss jetzt endlich mal aufhören, das Auto zu subventionieren. Es ist gar nicht nötig, dass man jedes gekaufte Fahrrad mit einem Geschenk belohnt. Ich glaube, andersherum wird ein Schuh draus. Die fossilen Energien dürfen nicht mehr bezuschusst werden. Und dann kommen dahin, wo wir hinmüssen. 80 Prozent des Platzes in den Städten wird vom Auto benutzt. Das entspricht nicht mehr den Erwartungen an die Zukunft.