Frau Richter, kürzlich eröffnete die Ausstellung "Worin unsere Stärke besteht. 50 Künstlerinnen aus der DDR". Sind Ausstellungen, deren kuratorische Klammer eine soziologische ist, in diesem Fall Geschlecht und Herkunft, ein sinnvoller Weg, um Künstlerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen? Oder nehmen sie den Kunstwerken ihre Kraft?
Ich teile diese Ambivalenz. Aber solange strukturell bedingte Diskriminierung und Ausgrenzung stattfinden, aufgrund von Geschlecht oder Herkunft oder auch anderen Kategorien, sind diese soziologischen Rahmensetzungen notwendig.
Und wie finden Sie die Ausstellung?
Ich kann sie nur empfehlen! Es ist eine ganz kraftvolle großartige Ausstellung von Gegenwartskunst. Und vielmehr will sie auch nicht sein. Sie braucht kein wahnsinnig durchgearbeitetes kuratorisches Konzept. Das Konzept besteht eher darin, eben darauf zu verzichten und die Werke der Künstlerinnen sprechen zu lassen. Es macht Spaß durch die Räume zu gehen. Auch ich habe da diverse Arbeiten neu entdeckt.
Bereits im Jahr 2009 haben Sie die Ausstellung "und jetzt. Künstlerinnen aus der DDR" kuratiert. Was war damals Ihre Motivation?
Es waren tatsächlich ähnliche Beweggründe wie jetzt für die von Andrea Pichl kuratierte Ausstellung "Worin unsere Stärke besteht". Es ging um Sichtbarmachung. Bereits 2007 hatte mich die Kuratorin Bojana Pejić eingeladen, die Recherche für Kunst aus der DDR für ihre Ausstellung "Gender Check. Femininity and Masculiniy in the Art of Eastern Europe" zu leiten. Diese umfassende Ausstellung fand 2009 am Mumok in Wien statt. Bojana Pejić hatte 24 Wissenschaftler:innen eingeladen, zu einzelnen Ländern zu recherchieren. Das war der Beginn meiner Auseinandersetzung mit der Thematik, die 2009 in der Parallelausstellung "und jetzt. Künstlerinnen aus der DDR" resultierte, die ich mit Bettina Knaup und Beatrice E. Stammer kuratiert habe.
Was haben Ihre Recherchen ergeben?
Ich habe in der Rezeption der Kunstgeschichte der DDR eklatante Lücken festgestellt, vor allem, was die Generation der in den 1950er- und 1960er-Jahren geborenen Künstlerinnen betraf, die schon in der DDR praktiziert haben. Nach 1989 haben sie in repräsentativen Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen mehr oder weniger keine Präsenz mehr erfahren. Kurz nach 1989/90 gab es noch einige Ausstellungen mit Künstlerinnen aus der DDR wie "Außerhalb von mittendrin", kuratiert von Beatrice E. Stammer oder im Frauenmuseum Bonn. Danach folgte eine große Leere, obwohl es sehr repräsentative Ausstellungen wie "Deutschlandbilder. Kunst aus einem geteilten Land" am Martin Gropius Bau gab. Aus diesem wahnsinnigen Ungleichgewicht ergab sich für mich die feministische Fragestellung, was aus diesen Künstlerinnen geworden ist. Das Jahr 2009 bot 20 Jahre nach dem Mauersturz den Anlass, diese Frage in der breiteren Öffentlichkeit zu stellen.
Was war der Ansatz Ihrer Ausstellung?
Es war uns wichtig, zu zeigen, dass diese Künstlerinnen nach wie vor aktiv sind. Wir haben den Bogen von historischen zu aktuellen Arbeiten gespannt. Besonders interessiert haben mich Künstlerinnen, die schon in der DDR den herkömmlichen Bild-Begriff hinter sich gelassen und angefangen haben, interdisziplinärer beziehungsweise mit anderen Kunstformen wie Aktionskunst, Film oder Musik zu arbeiten. Damit sind auch eine große experimentelle Offenheit und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper verbunden. Das fand ich sehr spannend, weil sich dort ganz viele widerständige Praktiken niedergeschlagen haben. Es gab viele Künstlerinnen und Künstler, die offiziell gar nicht ausstellen durften und sich dann eben genau in diesen Medien bewegt haben. Dazu gehören auch Super-8-Filme, Auftritte mit Bands und Veröffentlichungen jenseits der offiziellen Kanäle. Diese Differenzierung, die aufgrund kulturpolitischer Reglementierung stattgefunden hat, hat mich sehr interessiert.
Sie haben schließlich über Genderkritik, Performance Art und die zweite Öffentlichkeit in der späten DDR promoviert .
Die Promotion war eher ein Schlussstrich. Ich habe in den 2000er-Jahren angefangen, mich intensiver mit dem Thema zu befassen und bestimmte Recherchen zu leisten. Außerdem stehe ich seitdem kontinuierlichen Austausch mit Künstlerinnen. Ich habe in der Folge viele Ausstellungen und Publikationen zu diesem Thema gemacht, etwa auch einen Teil in der Ausstellung "Puzzle" in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig kuratiert. Nach einer gewissen Zeit hatte ich eine entsprechend große Sammlung von Material, das ich gern noch einmal umfassender kommunizieren wollte. Im Rahmen meiner Promotion habe ich mir angeschaut, inwieweit sich Machtverhältnisse in der Kunst gespiegelt haben, welche Widerstandpotenziale, aber auch welche Lustpotenziale es gab und den Blick auch auf Lebens- und Produktionsbedingungen gerichtet.
Sprechen wir über einige Aspekte dieser umfangreichen Untersuchung. Eine Folge der Wiedervereinigung Deutschlands war die verstärkte Marginaliserung von Künstlerinnen aus der DDR. Womit begründet sich dieser Ausschluss?
Grundlegend muss man sagen, dass es eine Entwertung der Kultur des Ostens gab. Der Westen musste nicht im Osten ankommen. Ab 1990 diente der Westen als dominantes Referenzsystem, als Referenzgesellschaft. Dazu gibt es ganz hervorragende Arbeiten von diversen Soziologen wie zum Beispiel von Steffen Mau. Die fehlende Wirkungsmacht der Ostdeutschen nach 1990 betrifft Netzwerke, die institutionelle Anbindung und Aufstiegschancen. Fehlendes soziales und ökonomisches Kapital spielen eine entscheidende Rolle. Auch kulturelles Kapital, also Bildung, erfuhr eher eine Abwertung, als dass wir damit hätten punkten können. Im Gegenteil, wir mussten unser Abitur anerkennen lassen, um an einer deutschen Universität studieren zu dürfen. Steffen Mau hat auch zum Eliten-Transfer geforscht. In manchen Bereichen hat in den 90er-Jahren ein kompletter Austausch stattgefunden, mit Konsequenzen bis heute. Von aktuell 300 Spitzenpositionen im Wissenschaftsbereich in Deutschland sind gerade mal zwei von Personen aus dem Osten besetzt. Das sagt alles. Unsere Regierung in Berlin hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass es mehr Wissenschaftler:innen aus Ostdeutschland braucht, um deren Erfahrungswerte für methodische Zugänge ins Wissenschaftssystem aufzunehmen. Im Kunstbereich gibt es darüber hinaus ein fehlendes Verständnis für bestimmte künstlerische Ausprägung. Hinzukommt die intersektionale Perspektive, also neben der Herkunft aus dem Osten, auch noch Frau zu sein, Künstlerinnen zu sein, gegebenenfalls auch noch Künstlerin der zweiten Öffentlichkeit zu sein, die sich dann auch noch feministisch positioniert. Das sind mehrere Kriterien, die zu einem Ausschluss führen. Entscheidend für die Dynamiken, die es nach 1990 gegeben hat, war, dass es auch in der DDR für Frauen schwierigerer war, einen Zugang zu bestimmten Strukturen und Netzwerken zu erhalten.
Welche Position hatten Künstlerinnen im Kunstsystem der DDR? Inwieweit wurde diese staatlicherseits gefördert?
Die DDR hat nur eine relativ kurze Zeitspanne existiert. Dass die jahrhundertelange Diskriminierung von Frauen binnen weniger Jahrzehnte abgeschafft wird, wäre viel verlangt. Auch die heutige Bundesregierung scheitert noch im großen Stil am Gender Pay Gap und an anderen maßgeblichen Gleichberechtigungszielen für Frauen. Gerade in den 1950er-Jahren gab es an den Kunsthochschulen in der DDR auch noch Professoren, die Frauen bei der Aufnahmeprüfung auf ihre Wirkungsstätte am Kochtopf verwiesen haben. Es gab in der DDR das Recht und die Pflicht zu arbeiten. Das ging mit einer gewissen ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einher. Künstlerinnen waren in der DDR grundsätzlich anerkannt, sie konnten an einer Hochschule studieren und durch die Mitgliedschaft im Verband bildender Künstler war gewährleitstet, dass sie quasi vollbeschäftigt und anders als Kolleginnen im Westen durch regelmäßige Aufträge ökonomisch relativ unabhängig waren. Vielen wurde aber auch die Mitgliedschaft im Verband verwehrt. Gerade für die Künstlerinnen der zweiten Öffentlichkeit war es ungleich schwerer, weil für etliche ein indirektes Berufsverbot bestand. Das traf genauso Künstler. In den Verbandsstrukturen und künstlerischen Institutionen, gerade in Hinblick auf Führungspositionen, gab es natürlich eine ausgeprägte Geschlechterhierachie. Zugänge zu bestimmten Positionen waren für Frauen einfach nicht gegeben. An den Kunsthochschulen gab es kaum Professorinnen, und wenn, dann waren diese oft die Partnerinnen von renommierten Professoren.
Gab es in der DDR ein Bewusstsein dafür?
Es gab durchaus progressive Kunst- und Kulturschaffenden, die diese Verhältnisse kritisiert haben. Es gab einige Wissenschaftlerinnen wie Irene Dölling, die schon 1982 über die Geschlechterbeziehung in der Gesellschaft geschrieben hat. Aber diese Kritik war nicht erwünscht. Gleichberechtigung wurde in den 70er-Jahren in der DDR politisch verordnet. Sie galt als erreicht und man sah keinen Bedarf, nachzujustieren. Viele Frauen haben verkannt, dass das System, in dem sie leben und arbeiten, ein patriarchales war. Dieses Verkennen war für mich beim Schreiben des Buches ein spannender Moment. Auch in der bildenen Kunst gab es nur wenige Solidaritätsbekundungen unter den Künstlerinnen. Die Mitglieder der Erfurter Künstlerinnengruppe wurden etwa nicht nur von Männern, sondern auch von anderen Frauen belächelt und teilweise als vermeintliche Kampflesben herabgesetzt.
Wie war das Geschlechterverhältnis in den Ausstellungen in der DDR?
Der Beginn feministischer Ausstellungen in Deutschland wird gern an der Ausstellung "Künstlerinnen international 1877 – 1977" festgemacht, die 1977 in Westberlin stattfand. Es gab aber schon 1975, im von der UNO ausgerufenen Internationalen Jahr der Frau, die Ausstellung "Deutsche bildende Künstlerinnen von der Goethezeit bis zur Gegenwart" in der Nationalgalerie in Ost-Berlin, die in der Aufzählung der feministischen Kunstausstellungen oft ausgeblendet wird. Das muss eine ganz großartige Ausstellung gewesen sein. Leider gibt es nur ein dünnes Begleitheft und keinen substanziellen Katalog dazu, was sicher die fehlende Wahrnehmung neben den westdeutsch geprägten Narrativen feministischer Kunst erklärt. Bei den zehn Großen Kunstaustellungen, die in der DDR von 1946 bis 1988 staatsoffiziell aller drei bis fünf Jahre stattfanden, waren maximal 30 Prozent Künstlerinnen vertreten. Als in den 80er-Jahren die Fotografie zugelassen wurde, war das für Künstlerinnen wie Gundula Schulze, Christiane Eisler oder Karin Wieckhorst ein Booster. In der zweiten Öffentlichkeit ist mir nur eine einzige Ausstellung von Künstlerinnen bekannt. Diese Szene, die ja gern als Boheme bezeichnet wird, war nicht nur sehr konservativ, was die Geschlechterverhältnisse betrifft, sondern mitunter auch recht reaktionär. Auch dort wurden Künstlerinnen verstärkt diskreditiert, etwa mit Vorurteilen wie dem, dass Frauen keine Gedichte schreiben könnten. Nicht vergessen dürfen wir die Ausreisewellen der 80er-Jahre, durch die viele relevante Positionen, wie etwa Cornelia Schleime, nicht mehr im Land waren. Dieser Brain-Drain von Ost nach West war für die bildende Kunst in der DDR eine absolute Katastrophe.
Insbesondere in den Performances in der DDR wurden Vorstellungen von Geschlecht thematisiert und kritisiert. Nach 1990 wurden diese im internationalen Kontext teilweise missverstanden.
Kunst sollte sehr offen sein und verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Die Rezeption von Kunst ist abhängig vom Kontext und Wissen der Betrachtenden. Dass bestimmte Arbeiten ganz anders gelesen wurden als intendiert, passiert allen Künstlerinnen. Heike Stephan hat 1989 mit einer Delegation eine Reise nach New York unternommen. Das war höchst ungewöhnlich. Sie hat dort eine Performance zur Selbstbestimmung der Frauen in der DDR gemacht und dafür unter anderem Kleiderbügel für ein bühnenartiges Setting verwendet. In den USA, wo Abtreibung damals im Unterschied zur DDR illegal war, wurden diese Kleiderbügel als Hinweis auf Abtreibungen gelesen, die oft mit Kleiderbügeln vorgenommen wurden. Angela Hampel, die in den 80er-Jahren in Zeichnungen und Bildern starke Frauenfiguren, widerständige Punkerinnen dargestellt hat, wurde im Westen als feministische Künstlerin rezipiert. Für sie war das höchst problematisch, weil das in der DDR wiederum bedeutete, ins Abseits gedrängt zu werden. Begriff und Idee des Feminismus waren in der DDR extrem negativ besetzt.
Gab und gibt es von Westseite Berührungsängste mit Kunst aus der DDR?
Ein so großes grundlegendes Interesse von westdeutscher Seite ist mir gar nicht bekannt. Ich denke, sobald man sich intensiver mit den Arbeiten und den Künstlerinnen befasst, sieht man die großartigen Potenziale, die diese Kunst hat. Mit Pauschalurteilen kommt man nicht weiter. Es gab diverse Vergleichsausstellungen zwischen Ost und West, die durchaus versucht haben, die Kunst in einem produktiven Sinne gegenüberzustellen und wo deutlich wurde, dass die Kunst aus der DDR international anschlussfähig und relevant ist. Man muss sie nur sehen und verstehen wollen und bestimmte Kontexte bereitstellen, um diese Potenziale zu heben. Die Dominanz der Figürlichkeit der Malerei hat in den 90er-Jahren dazu geführt, dass diese von Westseite oft anachronistisch bewertet wurde. Die Kraft, die in der figürlichen Malerei liegen kann, ist einfach verkannt wurden. Es gab ja auch realistische Malerei in der BRD. Aber das Label "DDR" hing dran und das war keine günstige Voraussetzung, um offener gelesen zu werden. Es fehlten auch Förderstrukturen, die diesen wahnsinnig einschneidenden Transformationsprozess unterstützend begleitet hätten. Wenn man dann wie ich noch Kinder hat, kann einem der Zugang zum Kunstfeld auch komplett wegbrechen. Und da haben wir noch nicht über Klasse und Altersarmut gesprochen. Auch das ist ein großes Thema, gerade unter Kulturschaffenden. Viele Künstlerinnen identifizieren das fälschlicherweise als persönliches Problem, dabei ist es ein grundlegendes strukturelles gesellschaftliches und politisches Phänomen.
Sprechen wir über Sie: Sie wurden 1971 in Dresden geboren, waren 18 Jahre alt, als sich die Grenze öffnete. Wann wurde Ihr Interesse für Kunst aus der DDR geweckt? Schon als Jugendliche?
Ich bin in Dresden Blasewitz groß geworden, wo die Dichte an Kulturschaffenden damals sehr groß war. Das gesamte Umfeld in Dresden, auch mit den Alten Meistern und der Kunsthochschule, war damals sehr inspirierend. Ich hatte auch erste Berührungspunkte mit der zweiten Öffentlichkeit, bin für Ausstellungen extra nach Berlin gefahren, und war sehr oft in der von Künstler:innen besetzten Villa Marie am Blauen Wunder. Da habe ich ganz viel aufgesogen, an Inspiration und an Visionen zur Frage, wie alternative Lebensstile aussehen können. Dass Kunst in dieser sehr tristen Agonie des Staates Zukunftsvisionen und Kraft bieten kann, das habe ich in der Zeit mitgenommen.
Was war vor der Maueröffnung Ihre Zukunftsvision für das Leben in der DDR?
Ich habe tatsächlich lange gezögert, ob ich Medizin oder Kunstgeschichte studieren möchte und mich dann für Kunstgeschichte entschieden. Ich hatte auch schon ein erstes Gespräch bei einem Professor an der Universität Leipzig, mit dem ich über Botticelli plauderte.
Wie ging es nach der Maueröffnung für Sie weiter? Haben Sie sich bewusst entschieden, in den neuen Bundesländern tätig zu werden?
Wir waren der letzte Abiturjahrgang der DDR. Ich bin dann erst einmal nach London und Paris gegangen. Das war ein wahnsinniges Glück, einfach aufbrechen zu können und mir auch definitiv ein Bedürfnis. Ich habe da einen klaren Cut gemacht. Zunächst habe ich mein Studium in Tübingen begonnen, was daran lag, dass meine Bewerbungsunterlagen aus Paris in Berlin nicht angekommen waren. Ich bin dann schnell nach Berlin an die Freie Universität gewechselt. Und obwohl ich die Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität super spannend fand, konnte ich da nicht studieren. Der Ort war mir zu besetzt. Ich habe mich in den ersten zehn Jahren nach 1989 emotional am Osten abgearbeitet und den Abstand gebraucht. Es gab dann noch eine Zwischenstation in Liverpool bevor ich mich entschieden habe, nach Halle in den tiefsten Osten zurück zu kommen, um der ganzen Geschichte und der gegenwärtigen Situation und den Strukturen mit einem analytischen und professionellen Blick zu begegnen und Entwicklungsmöglichkeiten gerade für die zeitgenössische Kunst mitzugestalten.
Manche Künstlerinnen und Künstler haben ihre DDR-Spuren verwischt, weil sie meinen, dass sie geschäftsschädigend sind. Sie trainierten sich den Dialekt ab und geben nicht an, wo sie geboren sind. Wie war das bei Ihnen in den 90er-Jahren? Sind Sie offensiv mit Ihrer Ost-Biografie umgangen?
Ich habe das in den 90ern kaum thematisiert. Das war gar keine bewusste Entscheidung, bei meinen Kommiliton:innen und im Freundeskreis spielte das einfach keine Rolle. Zudem habe ich oft die Zuschreibung erfahren, westdeutsch zu sein. Manche dachten auch, ich käme aus Österreich oder der Schweiz. Ich habe nie sächsisch gesprochen. Das war aber keine sprachliche Verleugnung meiner Herkunft, denn schon in der DDR sprachen wir zu Hause hochdeutsch. In beruflichen Situationen habe ich später durchaus erlebt, dass abfällige Bemerkungen über Ostdeutsche gemacht wurden, weil man dachte, man sei unter seinesgleichen. Das ging zum Teil extrem unter die Gürtellinie. Ich war entsetzt. Bis ich in solchen Situationen meine Stimme erhoben und mich zu erkennen gegeben habe, hat es aber einige Zeit gebraucht.
War es dann, als Sie die Entscheidung getroffen hatten, bewusst im Osten zu arbeiten, wiederum ein Vorteil, Ostdeutsche zu sein?
Ja, ich hatte dadurch Zugänge zu bestimmten Kreisen, die westdeutsche Kunstwissenschaftler:innen nicht gehabt hätten. Ich konnte mich mit meiner Herkunft legitimieren. Dadurch gab es bei vielen eine Gesprächsbereitschaft, sicher auch, weil ich einer anderen Generation angehört habe. Da gab es ein Grundvertrauen. Gerade in den 90er-Jahren gab es ja zum Teil heftige Verwerfungen und schmerzhafte Erfahrungen mit Akteur:innen aus dem Westen, die zum Abbruch von Gesprächen geführt haben. Ich konnte Stimmen hören, die sich ansonsten nicht geäußert hätten.
Seit Juli 2021 sind Sie Rektorin der Weißensee Kunsthochschule und somit die erste Frau mit Ost-Biografie an der Spitze einer deutschen Kunsthochschule. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Eine Kunsthochschule ist einfach ein ganz toller Ort. Ich sehe meine große Aufgabe darin, diesen ganzen kreativen und klugen Köpfen die besten Rahmenbedingungen zu geben, damit sie ein qualitativ hochwertiges Studium absolvieren können. Sie sollten zu künstlerischem Können und zu Professionalität befähigt werden, um dann in der beruflichen Praxis zu bestehen. Gerade junge Menschen stehen derzeit vor extremen Herausforderungen, Stichwort Kriege, Corona-Pandemie, Preissteigerungen, Digitalisierung, ökologische Transformation und Nachhaltigkeit. Das sind die Themen, mit denen genau die Menschen, die wir demnächst aus der Hochschule entlassen werden, massiv konfrontiert sind und für die wir als ältere Generation die Verantwortung tragen. Da gilt es leidenschaftlich, unerschrocken und risikobereit zu sein. Sie müssen Resilienz-Strategien entwickeln, um zukunftsfähig bleiben zu können. Für mich stellt sich auch grundsätzlich die Frage, was eine Kunsthochschule Anfang des 21. Jahrhunderts leisten kann. Die Kunsthochschulen sind maßgebliche Akteure, um Standards in Kunst und Design zu setzen, um Diskurse mitzugestalten, um auch forschend tätig zu sein, aber genauso auch Schutz und Freiraum für Experimente zu bieten, obwohl die Spiel- und Handlungsräume aufgrund der finanziellen und personellen Situation immer enger werden.
Steht auch das Stärken der Strukturen für Künstlerinnen auf Ihrer Agenda?
In Weißensee haben wir tatsächlich in mehr oder weniger allen Bereichen Geschlechterparität. Das hat mit dem politischen Selbstverständnis dieser Hochschule zu tun. Es gilt, das Erreichte zu erhalten und weiterzuentwickeln. Im Bereich Anti-Diskriminierung gibt es nach wie vor Handlungsbedarf. Es braucht ein Bewusstsein für die Strukturen und Machtverhältnisse an der Hochschule, auch was Chancengleichheit etwa von Studierenden mit Behinderungen betrifft. Für die Umsetzung sind wir auf Mittel angewiesen. Wir versuchen, Strukturen aufzubauen, um Künstlerinnen und Gestalterinnen verstärkt in die berufliche Praxis zu begleiten und unterstützend tätig zu sein.
Was können Akteure wie Museen und Galerien aber auch die Medien tun, um den Ausschluss von Künstlerinnen abzubauen?
Es gilt wie für uns als Hochschule eine selbstreflexive Position einzunehmen und die Strukturen, in denen man arbeitet, kritisch zu beleuchten. Und eben die Defizite, die es gibt, zu benennen und sichtbar zu machen, die verschiedensten Ausprägungen von Ausschlüssen zu hinterfragen. Gerade aus einer privilegierten Position heraus, wie die meinige einer Rektorin. Ich habe die Chance, aber natürlich auch zugleich die Verantwortung, Probleme sichtbar zu machen und zu thematisieren und Künstlerinnen zu stärken und zu unterstützen. In meiner Funktion kann ich strukturelle Fragen stellen, auch was Wissensproduktion betrifft, kann den Kanon hinterfragen. Wir müssen Gespräche, Debatten und Diskurse zulassen und eben nicht zensieren oder tabuisieren. Das auszuhalten, bedeutet eine große Kraftanstrengung und eine Bereitschaft zur Veränderung.
Die Künstlerin Henrike Naumann arbeitet unter anderem zur Nachwendezeit im Osten und geht offensiv mit ihrer Ost-Biografie um, vermerkt auf ihrer Homepage, dass sie 1984 in "Zwickau (DDR)" geboren wurde. Bei der aktuellen Ausstellung "Worin unsere Stärke besteht" hatten die Beteiligten offenbar kein Problem damit, sich als "Künstlerin aus der DDR" zu bezeichnen. Gibt es ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit der ostdeutschen Herkunft?
Ich habe durchaus auch kritische Stimmen zum Titel gehört. Manchen fehlte da eine gewisse Doppelbödigkeit. Gerade die ältere Generation empfindet die Zuschreibung als ostdeutsche Künstlerin oder Künstlerin aus der DDR eher negativ, eben aufgrund der Ausgrenzungserfahrung. Es gibt die, die die DDR bewusst verlassen haben und für die es vor diesem Hintergrund sehr problematisch ist, sich unter dem Label "Kunst aus der DDR" subsumieren zu lassen. Es gibt wiederum Künstlerinnen aus der DDR, die sich sehr explizit mit ihrer Biografie und mit Phänomenen aus der DDR befasst haben, wie Cornelia Schleime, die in ihrer großartigen Arbeit "Bis auf weitere gute Zusammenarbeit" ihre Verfolgung durch die Staatssicherheit aufgreift und künstlerisch zuspitzt hat. Es gibt auch viele Fotografinnen wie Helga Paris oder Tina Bara, die Lebensrealität aus ihrer subjektiven Perspektive gezeigt und erlebbar gemacht haben. Oder Else Gabriel, die sich als Mitglied der Autoperforationsartisten ganz vehement kritisch mit der Situation in der DDR beschäftigt hat und das in ihrem Werk als einen Bestandteil weiterträgt. Gabriele Stötzer, die in der DDR sehr präsent war, sowohl in den künstlerischen als auch in den literarischen Szenen, ist damals auf extreme Widerstände gestoßen. Sie erfährt jetzt höchste Anerkennung, sowohl in der kommerziellen Galerienszene als auch durch Ausstellungen und Ankäufe für Sammlungen. 2019 habe ich eine Ausstellung gemacht mit dem Titel "Die wir nie gewesen sind". In dieser habe ich Künstlerinnen ostdeutscher Herkunft, die in den 70er- und 80er-Jahren geboren sind, gezeigt, die die Geschichte der DDR und die Folgen der Wiedervereinigung künstlerisch verarbeiten, etwa Margret Hoppe, Wiebke Loeper, Sven Johne und Mario Pfeifer. Sie erzählen DDR anders. Ihre Werke verhandeln das Thema zum Teil sehr offensiv und kritisch, auch mit ironischen Brechungen, spielerisch, verdichtet. Sie haben keine Berührungsängste, sich mit dieser kontaminierten Geschichte der DDR zu befassen.