Skurrile Bilder von Staatsoberhäuptern

Der einäugige Olaf

Auf den ersten Blick wirkt das Bild von Olaf Scholz mit Augenklappe wie von einer KI generiert. Doch das Foto des Bundeskanzlers mit Jogging-Blessuren ist Teil eines Trends: Politiker inszenieren ihre eigene Schwäche, um sie für sich zu nutzen

Da sage nochmal einer, Olaf Scholz wäre langweilig. Das Bundeskanzler-Bild mit Augenklappe hat am heutigen Montag vermutlich den ein oder anderen Schrecken beim Scrollen durch Social Media ausgelöst. Nicht nur, weil die Blutergüsse und Schrammen nach einem Sturz beim Joggen tatsächlich ziemlich übel aussehen. Wohl eher, weil es so unfassbar gephotoshopped wirkt. Ist das diese alternative Realität mit KI-erzeugten Bildern?

Doch nein, es ist wahr: Olaf Scholz selbst hatte das Foto auf seinem Instagram-Account gepostet, aufgenommen von einem Fotografen der Bundesregierung. Unter dem Bild steht die vorausschauende Mitteilung, er sei "gespannt auf die Memes".

Ja, Augenklappen-Scholz hat Meme-Potential. Doch der Kanzler instrumentalisiert nun seine eigene Tollpatschigkeit, bevor es andere tun. Damit ist er nicht der erste Politiker. Zuletzt ging Donald Trumps "Mugshot" aus einer Polizeistation in Georgia um die Welt. Und das nicht nur zum Nachteil des Angeklagren: Der Ex-US-Präsident postete es kurze Zeit später auf X (ehemals Twitter) und nutzte es, um für sich selbst Wahlkampf zu betreiben. Ist das ein neuer Trend? Politiker, die ihre Fehler bewusst inszenieren und damit Werbung für sich machen?

Es ist alles gut, es ist alles gewohnt langweilig

Zumindest ist Olaf Scholz‘ versehrtes Porträt perfekt inszeniert. Der Fotograf scheint alles dafür getan zu haben, dass es die altbekannte Kanzler-Ruhe ausstrahlt: Ein sauberes Querformat, das knapp über dem beinahe haarlosen Kopf abschließt und dabei rechts und links Platz für den hellen Hintergrund lässt. Die Hände des Kanzlers sind staatsmännisch verschränkt, der Ehering glänzt in schlichtem Silber. Der eine Arm ist aufgelegt, der dunkelblaue Anzug und das am Hals aufgeknöpfte Hemd werfen perfekte Stofffalten. Das Bild soll sagen: Es ist alles gut. Es ist alles (gewohnt) langweilig. Wäre da nicht sein Gesicht.

Eine schwarze Augenklappe verdeckt das rechte Auge samt Augenbraue des Kanzlers. Darunter quellen dunkle Blutergüsse und Kratzer hervor. Die Kombination ist bizarr. Man möchte lachen, aber gleichzeitig verunsichert dieses neue Accessoire. Fragen drängen sich unweigerlich auf: Was verbirgt sich darunter? Ist das Auge des Kanzlers so unansehnlich, dass es für die Öffentlichkeit unzumutbar ist?

Das Ganze hat etwas ungewollt Metaphorisches. Ausgerechnet das Auge, das Organ, dem die Wahrheitserkenntnis nachgesagt wird! Zumindest einige Vertreter der Opposition würden sich sicherlich über eine symbolische Zuschreibung freuen.

Zwischen Justitia und "Fluch der Karibik"

Auch in der Kunstgeschichte stößt man immer wieder auf Augen und Blicke. Am berühmtesten ist wohl die Figur der Medusa, deren Blick töten kann. Das Gegenstück dazu ist Justitia, die römische Göttin der Gerechtigkeit, die meist mit verbundenen Augen auftritt.

Olaf Scholz ist vermutlich nicht in diese ikonografische Reihe einzuordnen. (Seine Augenklappe passt eher zu "Fluch der Karibik"). Aber sein Bild ist Teil eines neuen Phänomens, das tatsächlich irgendwann in die Bildgeschichte eingehen kann: Staatsmänner, die ihre Schwächen mithilfe von Bildern instrumentalisieren.

Durch gekonnte Inszenierung erheben sie ihre Fehltritte zu Trägern von Botschaften. Die Message von Scholz und Trump: Seht her, meine Blessuren machen mich nur stärker!

Über eine Wurzel gestolpert und Bildgeschichte geschrieben

Das klingt etwas einfach, aber es wirkt. So richtig Lust, ein Meme aus dem Kanzler zu machen, hätte man erst, wenn das Augenklappen-Bild irgendwo zufällig aufgetaucht wäre. So hat Scholz es sich bereits zueigen gemacht. Ähnlich ist es bei Trump und seinem "Mugshot", der für einen Ex-Präsidenten eigentlich ein Skandal sein müsste. Weil das Bild aber auf dem X-Account genau dieses Ex-Präsidenten aufgetaucht ist, ist die Botschaft längst gekapert und Kritik nur langweilig.

Man könnte also sagen: Olaf Scholz stolperte beim Joggen über eine Wurzel und hat mit dem Ergebnis Bildgeschichte erschaffen. So absurd es klingt (und das ist es auch), davon wird es bald mehr geben: Staatsmänner, die fallen und Bilder dazu nutzen, um ihr Aufstehen zu inszenieren.