Der Banksy der Kunstkritik. Zugegeben, das ist ein wenig übertrieben, vielleicht sogar sehr. Aber man wird ja wohl noch überschwänglich sein dürfen. So gut, wie ein Werk nach erfolgreicher Versteigerung bei Sotheby‘s noch an Ort und Stelle durch den Schredder zu jagen, ist die Idee allemal. Der überdrehte Vergleich zu Banksy beruht auf einer anderen Parallele, keine Sorge, dazu später.
Worum geht es eigentlich? Um @theworstoftheworstoftheworst oder auch The Worst of the Worst, wie es in der Profilbeschreibung auf Instagram heißt, um die "Worst Wave of Art Criticism". Alles schlimm also. Die Kunst, die Kunstkritik, das Schlimmste von allem. Und jetzt die gute Nachricht: So schlimm ist das alles gar nicht, ganz im Gegenteil, der Account ist höchst unterhaltsam, weil er nach dem Prinzip funktioniert: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Gesagt wird nur überhaupt nichts, sondern gezeigt, nämlich Reaktionen auf Kunst in Form von Stockfotos. Die "Rose Paintings" von Yngve Holen in der Galerie Neu, zum Gähnen langweilig.
Da kann man sich nur an den Kopf fassen, so der anonyme Kunstkritiker.
Einschläfernd, zum Kotzen, ermüdend, das denkt man sich sonst maximal im Stillen oder flüstert es der Begleitung bei einem Opening hinter vorgehaltener Hand ins Ohr. The Worst of the Worst zelebriert krasse Emotionen, denen Kritiker in den Medien selten so drastisch freien Lauf lassen. Als "gefühllose, brutale Pornografie", als Dusche des Hasses, beschrieb der Kritik Jonathan Jones im "Guardian" die Ausstellung "Parasites"von Martin Eder in Damien Hirsts Newport Street Gallery in London. The Worst of the Worst zog mit und reagierte auf Vulgäres vulgär und derb mit einem Arschgesicht.
Im Interview mit Monopol (11/2018) sagt Martin Eder zum "Guardian"-Verriss: "Diese Kritik ist aber schon unter der Gürtellinie. Meine Bilder sind genau für diese Art von Menschen gemacht, die so was schreiben, die künstliche Idyllen wollen und einen blocken, wenn man die stört." Nun ja, jede einzelne der Reaktionen von The Worst of the Worst ist unter der Gürtellinie. 35 Postings gibt es bisher, seit Ende April ist der Account aktiv und hat 315 Follower. Das ist nicht viel, da kann sogar meine Mutter mithalten, die ab und an einen selbstgebackenen Kuchen postet. Für welche Art von Menschen ist The Worst of the Worst gemacht? Oder anders gefragt: Warum überhaupt dieser Account?
Die Kunstkritik steckt in der Krise, das kann man in regelmäßigen Abständen mit gutem Gewissen behaupten. Aktuell ist die Behauptung nicht ganz ungerechtfertigt, denn der Journalismus steckt in der Krise. Das "Art"-Magazin hat sein Online-Magazin eingestellt, "Neon" und "Intro" gibt es nicht mehr, die "Spex" hat ihr Ende verkündet. Museen haben heute ihre eigenen Online-Magazine und Blogs, sie sind selbst Publisher und sie produzieren oft aufwändige Trailer zu Ausstellungen. Wer etwas über eine Ausstellung erfahren möchte, muss nicht mehr die Zeitung oder ein Kunstmagazin aufschlagen, um eine Einschätzung zu bekommen. Wenige Klicks auf einer Website oder in den sozialen Medien reichen. Felix Stalder schreibt in seinem Essay "Kultur der Digitalität", dass "die Funktion des Kritikers, der über das Interpretationsmonopol verfügt, um ein Bild für alle verbindlich zu bewerten, kaum noch von Bedeutung ist. Die Qualität eines Bildes wird stattdessen primär danach beurteilt, ob 'andere es mögen', also danach, wie es im kontinuierlichen Popularitätswettbewerb innerhalb einer bestimmten Nische abschneidet."
The Worst of the Worst mischt sich in der Kunstnische in den Popularitätswettbewerb mit einer vermeintlich populären Meinung ein, nämlich der des Missfallens.
Kurz denke ich mir, dass es interessant wäre zu wissen, wer sich da als anonymer Kunstkritiker betätigt. Dann denke ich mir, dass es interessanter ist, es nicht zu wissen. Als anonymer Kunstkritiker sollte man schließlich eins unbedingt sein: anonym. Der zweite Gedanke kam mir leider zu spät, in der Zwischenzeit hatte ich schon bei drei Leuten nachgefragt, ob sie wissen, wer den Account betreibt.
Der ehemalige Kunstblogger, jetzt Kunststudent Matthias Planitzer antwortet: "Haha nein, aber sieht witzig aus."
Medienkünstler Aram Bartholl weiß es auch nicht, "sieht aber ganz lustig aus", sagt der Künstler, der selbst sehr genau weiß, wie man trollt und hackt. Einst ist er aufgesprungen und einem der Google Street View Autos in Berlin wild gestikulierend hinterhergelaufen. Später hat er USB-Sticks zum Datenaustausch in Wände eingemauert, die Aktion ging on- und offline viral.
Der Künstler Christian Hoosen weiß es auch nicht, bietet aber sogleich seine Hilfe bei der Recherche an. Ich nehme das Angebot dankend an.
Andy Kassier weiß es leider ebenfalls nicht, auch er: "Ist mega witzig." Auch er möchte mir bei der Recherche assistieren. Ich nehme sein Angebot an und wünsche viel Erfolg.
Der Galerie Eigen + Art ist nicht entgangen, dass nicht ganz Berlin ihren Künstler Martin Eder feiert. "Leider gar keine Idee", wer sie so hartnäckig kritisiert. Man meldet sich, sollte es neue Erkenntnisse geben. Ich wünsche einen schönen Tag.
Keine Antwort von Carl Jakob Haupt von "Dandy Diary".
Höchste Zeit, ein paar Tage Recherchepause einzulegen, denke ich mir. Irgendwann kommt mir in den Sinn, dass ich den Text abgeben muss, also frage ich bei Rechercheassistent 1 nach, wie es läuft und melde, dass ich keine neuen Erkenntnisse habe. Christian Hoosen antwortet sofort: "Auch noch nichts. Aber ich war auch ein bisschen raus wegen meiner Oberschenkelhalsfraktur. Also aus Berlin ist es auf jeden Fall." Hoosen, das weiß ich aus seinen Instagram-Stories, hatte einen Fahrradunfall. Ich wünsche eine schnelle Genesung.
Rechercheassistent 2, der Künstler Andy Kassier, ist als erfolgreicher Künstler jetzt doch zu beschäftigt, um als Rechercheassistent 2 tätig zu werden. Ich wünsche gutes Gelingen.
Rechercheassistent 3 und zugleich die Person, die mich auf The Worst of the Worst aufmerksam gemacht hat, Gilles Neiens, Monopol-Kollege und Kurator bei insitu_collective, hat herausgefunden, dass er nichts herausgefunden hat. Er hat bei Kuratorin Maria Nitulescu nachgefragt, sie antwortete: "No idea. Hmm."
Ich versende weiter Direktnachrichten auf Instagram und Twitter, während ich durch die sehr angenehm spätsommerlich warmen Straßen von Athen laufe und mir allergrößte Mühe gebe, nicht über eines der vielen Löcher im Bordstein zu stolpern. Da, endlich, die erlösende Nachricht. Der Unternehmer Rafael Horzon meldet sich. Ich öffne seine Nachricht und finally, ein Bekennerschreiben.
"Hmmm.
Ja!!!
Woher weißt Du das?"
Ich tendiere dazu, ihm nicht zu glauben. Auf die Frage, ob er Bundeskanzler ist, würde der erfolgreichste Möbeldesigner der Torstraße wohl mit denselben Worten reagieren. Genial schlechter Kunstkritiker ist er sicherlich so wenig wie Influencer für Tütensuppen und Zigaretten mit Erdbeer-Geschmack.
Rechercheassistent 3 meldet sich, er habe eine Idee, sie müsse es sein, eine Freundin, die zwischen Leipzig und Berlin pendelt, anders könne es nicht sein. Ich werde leicht nervös, schließlich soll der anonyme Kunstkritiker vielleicht doch besser anonym bleiben. Zwei Minuten später gibt Rechercheassistent 3 die Antwort besagter Freundin durch:
"Nein."
Ich antworte ebenso kurz: "Puh."
Rechercheassistent 1, Christian Hoosen gibt durch, dass er jetzt sechs bis zehn Wochen Zeit für Recherche habe. Ich entscheide, meinen Text schnell abzugeben, der Banksy der Kunstkritik soll vorerst, also zumindest in diesem Text, nicht enttarnt werden.
Kurz nachdem der Banksy durch den Schredder raschelte, schrieb Frédéric Schwilden einen blitzgescheiten und äußerst amüsanten Text für "Die Welt", die Überschrift lautete: "Warum Banksy ein grottenschlechter Künstler ist". Gründe nennt Schwilden viele, unter anderem: "Man entdeckt in diesen Bildern nichts Neues. Man kann sich in Banksys Arbeiten nicht verlieren. Hat man den einen Gedanken in einem Banksy-Bild innerhalb der ersten Hundertstelsekunde der Betrachtung verstanden, geht das Werk in Rauch auf, weil da nichts mehr ist. Seine Arbeiten sind immer der am nächsten liegende Kommentar zu gesellschaftlichen Themen. (...) Kein einziger Gedanke von Banksy ist originell, er ist weder neu noch besonders elegant. Banksy ist kein Originalgenie, das aus sich schöpft, er reagiert bloß auf seine, von ihm als bedrohlich empfundene Umwelt. Er ist der mies gelaunte Kolumnist der Kunstwelt."
Jetzt könnte man darlegen, warum The Worst of the Worst ein grottenschlechter Kunstkritiker ist, der mies gelaunteste und schlechteste Kunstkritiker auf Instagram. Die Kritik, wenn man sie überhaupt so nennen kann, ist simpel, die Aussage natürlich immer gleich: schlecht, ermüdend, zum Kotzen. Mehr ist da nicht. Die elitäre Kunstwelt wird The Worst of the Worst so wenig mögen, wie sie Banksy mag, weil auch hier der Kommentar zu scharf und gleichzeitig zu simpel formuliert ist. The Worst of the Worst ist Kunstkritik für Millennials mit einer Aufmerksamkeitsspanne von der Länge einer Instagram-Story.