Berlinale-Sieger steht fest

Der Bär ruft ein Taxi aus Teheran

Wieder ein Berlinale-Triumph für das iranische Kino. Der Film „Taxi“ von Jafar Panahi wurde mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. 2011 hatte die Jury den Hauptpreis seinem Landsmann und Regie-Kollegen Asghar Farhadi zuerkannt. Die iranische Führung dürfte sich über einen Preis für den offen regimekritischen Panahi allerdings besonders ärgern, wie auch schon über seinen Silbernen Bären von 2013 (ein Drehbuchpreis für den heimlich gedrehten Film „Geschlossener Vorhang“).

Panahi setzte sich auch in seinem neuen Film über das Berufsverbot hinweg, drehte mit drei fest installierten Kleinkameras in einem Taxi, an dessen Steuer er selbst saß. Der Regisseur als sein eigener Hauptdarsteller kutschierte in diesem mobilen Filmstudio verschiedene Leute durch Teheran. Das Ergebnis: ein improvisiertes, heiter grundiertes Porträt der iranischen Gesellschaft, die sich nicht unterkriegen lässt und Klartext redet. Panahis zehnjährige Nichte spielt eine weitere Hauptrolle. Das vorwitzig schnatternde Kind des Films bekam im Berlinale-Palast am Sonntag kein Wort heraus. In Tränen aufgelöst nahm sie die Trophäe für ihren Onkel entgegen, der immer noch nicht reisen darf.

Mit Tom Courtenay und Charlotte Rampling wurden beide Hauptdarsteller des stillen Ehedramas „45 Years“ ausgezeichnet. Eine weise Jury-Entscheidung für große Ensemblekunst. Auf dem roten Teppich hatte Rampling deutlich mehr Publicity als Courtenay („Doktor Schiwago“), der allerdings auf eine ebenso lange Karriere im britischen Kino zurückblickt. Das Paar steigerte sich gegenseitig. Dieter Kosslicks Losung, „starke Frauen“ würden das Festival prägen, blieb reine Rhetorik. Die tiefenscharf-bewegenden Männerfiguren (Frederick Lau in „Victoria“, Christian Friedels „Elser“-Titelfigur, Ian McKellen als „Mr. Holmes“, die vietnamesischen Jungs aus „Unsere sonnigen Tage“) waren mindestens ebenbürtig. Immerhin sind die Regisseurinnen auf dem Vormarsch: Laura Bispuri, Isabel Coixet, Malgorzata Szumowska, das wären schon mal drei.

„45 Years“ – ein Hochzeitstag, private Nöte, innere Zerreißproben. Fast die einzige Ausnahme auf dem Siegerpodest. Die Berlinale fördert und fordert eigentlich das politische Kino. So war es keine Überraschung, dass der Große Preis der Jury „El Club“ zugesprochen wurde. Dem chilenischen Regisseur Pablo Larraín gelang das Meisterstück eines Dramas über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche, ohne die Verbrechen direkt zeigen zu müssen. In einem Haus an der Küste Chiles sieht sich eine handvoll Männer, die ihr Priesteramt nicht mehr ausüben dürfen, von einem Fremden mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Ein Film, der (auch visuell) in ein Schattenreich eintaucht.

Erstmals präsentierte sich Guatemala als Filmland im Wettbewerb und wurde gleich mit einer Silbertrophäe für „Ixcanul“ belohnt, das Drama einer Kaffeepflückerin, der das illegitime Kind weggenommen wird. Die vorzügliche Fotografie verbindet „Ixcanul“ mit den beiden Regie-Bären: Der Rumäne Radu Jude drehte den im Osteuropa der 1830er siedelnden „Aferim!“ in Schwarzweiß und Cinemascope, seinen Silbernen Bären teilt er sich mit Malgorzata Szumowska („Body“ aus Polen), die dem Thema Magersucht ungewohnt komische Facetten entlockte und dazu wunderleicht mit Dekors, Mustern, Farben spielte.

Die farblich entsättigte Optik war definitiv das stärkste Argument für den eher schwerfällig-geschwätzigen Episodenfilm „Unter elektrischen Wolken“. Dass auch dieser „Silberne Bär für eine Herausragenden Künstlerische Leistung“ ex aequo an das russische Kamera-Duo sowie den Norweger Sturla Brandth Grøvlen ging, sieht nach Jury-Kompromiss aus. Grøvlen gelang die Rekordleistung, dem Ensemble von „Victoria“ 140 Minuten lang durch die Berliner Nacht auf den Fersen zu bleiben, ohne die Kamera abzusetzen. Doch was unter der Regie des Hannoveraners Sebastian Schipper so fulminant ohne einen einzigen Schnitt gelang, hätte noch einen weiteren Preis verdient. „Victoria“ stärkt den Glauben an das (deutsche) Kino. Experimenteller, packender, bewegender geht es wohl kaum.

Die beste Nachricht: Richtig schwache Filme waren in diesem Wettbewerb überhaupt nicht zu finden. Doch ausgerechnet einige Regiegrößen lieferten nicht die allerstärksten Beiträge. Die Jury hat das bei Andreas Dresen, Werner Herzog, Peter Greenaway und Terrence Malick offenbar ähnlich gesehen. Da ihre Filme aber so oder so ihr Publikum finden werden, war es richtig, die Unbekannten, Unterdrückten und Unerschrockenen auszuzeichnen.