Galerienwochenende DC Open

Wohin im Rheinland?

Über 50 Galerien in Düsseldorf und Köln zeigen zur DC Open ein hochkarätiges Programm – wir lotsen Sie durch das Angebot

Bevor die Art Cologne und die Cologne Fine Art & Design im November hoffentlich wieder physisch ihre Tore öffnen, stimmt die 13. Ausgabe des DC-Open-Wochenendes vom 3. bis 5. September auf hochkarätige Kunstwerke und manch eine Entdeckung ein. Über 50 Galerien sind in Köln und Düsseldorf mit von der Partie, viele von ihnen mit Unterstützung durch das Förderprogramm "Neustart Kultur". Was passiert, wenn eine Pandemie nicht nur die finanziellen Rücklagen von Künstlern und Galerien auffrisst, sondern auch den Blick auf alltägliche Dinge ungewohnt schärft?

Diese Frage stellt sich in der Drususgasse gleich am Kölner Dom die Galerie Boisserée mit ihrer Ausstellung "Everyday Life". Im Zentrum steht ein etabliertes Trio: Alex Katz, Michael Craig-Martin und Julian Opie haben eine Meisterschaft entwickelt, wenn es darum geht, Menschen in alltäglichen Situationen zu porträtieren, mitten im Bewegungsstrom der großstädtischen Flaniermeilen, umgeben von Kopfhörern, Sonnenbrillen oder Getränkedosen, die ein Eigenleben entwickeln. Für ein weniger poppiges Gegenprogramm dürfte der Bildhauer Dietrich Klinge in der Kirche St. Gereon und der Minoritenkirche sorgen, mit denen die Galerie Boisserée parallel kooperiert.

Nebenan bei Karsten Greve zeigt die Schottin Georgia Russell sowohl monumentale Arbeiten, die zwischen 2020 und 2021 im Lockdown in ihrem franzö­sischen Atelier in Méru entstanden sind, als auch jüngste Werke: mit klinischem Seziermesser zerteilte, farbig bemalte Leinwände, die sie als Gegenreaktion auf die Ausnahmezeit, ja als Befreiungsakt versteht. "Ich hoffe, dass die Menschen, wenn sie nach der Enge ihrer Häuser und Räume herauskommen, ein echtes Erleb­nis wirklich genießen", sagt Russell. "Man kann sich im Raum bewegen, die Kunst betrachten, entdecken, herausfinden, wie es gemacht wurde. All diese Dinge, die man mit Gemälden tatsächlich tun kann."

Dass bei der Galerie Nagel Draxler das Genre Landschaft ins Blickfeld der Digital Natives gerät, verspricht neuartige Perspektiven. Der in Kasachstan geborenen Hell Gette etwa gelingt das Kunststück, mithilfe der digitalen Formensprache aus Emojis und Photoshop die Landschaftsmalerei auf den neuesten Stand zu bringen. Schon die Titel der Hochformate geben die Richtung vor: "#venus3.0" oder "#Landschaft 3.0" sind mal verortet in kindlichen Popuniversen, mal bei Retrovideospielen aus Sonnen, die Laserblitze auf die Oberfläche eines mit Dollarscheinen überquellenden Bergplaneten schicken. Gette collagiert ihre digitalen Funde mit Zeichnungen, experimentellen Drucken oder grafischen Elementen und transferiert sie in ihre Ölgemälde. Das Ergebnis sind verspielte Konfrontationen der klassischen Natur mit den unendlichen Weiten des Internets.
Digitale Echos sollte man bei der Galerie Buchholz nebenan nicht erwarten. Jutta Koether bekommt hier mit "How it goes? Five portraits of a garden" die Gelegenheit zur Bilanz ihres bisherigen Schaffens. Fünf großformatige Bilder nehmen Bezug auf Köln, langjährige Heimat der Malerin, und sind speziell für die Räume der Galerie entstanden. Sie spannen einen intimen Bogen zur Ausstellung "100 % Malerei", die Koether 1991 in der Galerie Sophia Ungers zeigte – das alles in einem zugleich wuchernden und kontrollierten Modus, wie in einem Garten.

Von ihrem Studio aus kann auch Isabella Ducrot auf den Barockgarten des römischen Palazzo Doria Pamphilj schauen. Gisela Capitain bestreitet ihre Teilnahme an den DC Open mit einer Finissage der 1931 in Neapel geborenen Malerin. In der Soloschau "Zärtlichkeiten" trifft man auf eine neue Serie großformatiger Papierarbeiten. Ducrot ist mit ihrem Mann und auch dem Paar Cy und Tatiana Twombly viel gereist, von Afghanistan über China bis nach Indien. An jedem Ort ging sie auf Stoffsuche und schrieb über die mythischen Qualitäten dieser Trouvaillen. Eine Passion, die sie schließlich dazu brachte, ihre textilen Schätze zum Thema ihrer Kunst zu machen, etwa wenn sie auf Papier Schals aus tibetischen Klöstern befestigt und drum herum einen Rahmen malt. In Köln taucht Ducrot in eine slawisch anmutende Welt ein, voller Paare in Trachten, die im Mondlicht eng umschlungen an Strawinskys "Petruschka" erinnern.

 

Bewegt man sich noch tiefer ins Stadtinnere, stößt man bei Delmes & Zander auf die Ausstellung "Ich fordere Sie auf, das Einsteigen in meine Wohnung zu unterlassen!" mit Werken aus dem Nachlass von Horst Ademeit, der an der Grenze zwischen Zwangsvorstellungen und Konzeptkunst agierte. Flankiert werden sie von Zeichnungen der 20-jährigen Saioa Fischer Abaigar und ihrer literarischen Ademeit-Hommage "Der Fotograf der Kältestrahlen".

Wenige Schritte weiter überrascht bei Christian Lethert eine Doppelausstellung von Roman Gysin und Sonia Leimer mit Spürsinn für Momente des Übergangs. Der Schweizer Bildhauer irritiert mit einer Installation, die dem Besucher eine vorgegebene Wegführung zumutet. Die Belohnung für die Unterwerfung sind neueste Wandarbeiten aus Holz, überzogen mit schimmerndem Satin. Sie rufen Assoziationen an Bruchsteinwände hervor, oder an Faltenwürfe auf altmeisterlichen Gemälden. Die in Wien lebende Sonia Leimer bündelt Tonarbeiten und Stoffbahnen, die für die Herstellung von Skulpturen dienten, ebenfalls zu einer In­stallation, aus der sich beim längeren Hinschauen der abenteuer­liche Herstellungsprozess herauskristallisiert.

Und natürlich ist auch wieder die Fotografie stark vertreten. Priska Pasquer trumpft mit Pieter Hugos Porträtserie "Solus Vol. 1" auf, die schon bei den diesjährigen Rencontres de la Photographie in Arles zu sehen war. "In meiner Arbeit geht es um die Vor­stellung, ein Außenseiter zu sein", erklärt Hugo. "Ich fühle, dass ich diesen Raum selbst bewohne. Ich arbeite fast immer so, dass ich mich von vornherein ankündige; dann gibt es meistens einen kurzen Moment, in dem der Zynismus verschwindet."

Psychologisch aufgeladen ist auch das Werk von Joanna Piotrowska, das Thomas Zander ausgewählt hat. Die in London lebendende Polin stellt menschliche Beziehungen in ihren Fokus. Probanden führen von der Künstlerin ausgewählte Handlungen aus und reagieren aktiv, um Konditionierungen an die Oberfläche des Bewusstseins zu holen.

Als ein nicht vorhersehbares Experiment betrachtet auch Andreas Fischer rheinabwärts die Konstruktion seiner menschelnden Maschinen, die schon mal dank Bewegungsmeldern sprechend aus ihrem Kunstschlaf erwachen. „Meine Arbeit ist permanentes Scheitern auf bestenfalls höchstem Niveau", so das Credo des exzessiv bastelnden Düsseldorfer Bildhauers.
Bei Achenbach Hagemeier, etwas außerhalb der Altstadt, vergreift er sich diesmal unter dem dadaistischen Titel "Nutzloses Haustier trifft hausloses Nutztier" an medizinischen Geräten für Mikrowellentherapie, funktioniert Backformen zu Soundsäulen um und baut aus Bettengestellen mons­tröse Bewegungsvehikel.

Bei Setareh muss man erfrischendes Chaos nicht befürchten, dafür "Tropics of Beach Naps", so der Titel der Soloausstellung des Schweden Jim Thorell am Standort auf der Königsallee. Die Zeichnungen und Malereien des Schülers von Daniel Richter tauchen in fragmentierte Welten zwischen Figuration und Imagination ein, mit Bezügen zur Comic- und Tattoo- Kultur, in einen "nordischen Surrealismus", wie er selbst seinen Ansatz nennt, der einen wilden Gedankenstrom auf die Leinwand überträgt. Am zweiten Standort an der Hohen Straße verkündet Ania Hobson: "I See You." Die narrativen Porträtarbeiten der Britin, überwiegend von Frauen, sind von Alice Neel und Kerry James Marshall inspiriert, schwelgen in modischen Kleidungsdetails und fangen Stimmungen der melancholischen Leere ein.

Auch diesmal lohnt der Weg in den Stadtteil Flingern, wo bei Van Horn Sabrina Fritsch unter dem Titel "Romeo Golf Bravo" eine großformatige Malerei zeigt, deren Schichten sich voneinander abheben und dadurch eine Art 3-D-Oberfläche aus Rot, Grün und Blau generieren. Das Publikum ist eingeladen, in einen extra für die Galerieräume installierten Farbraum einzutreten und sich in den geometrischen Mustern zu verlieren.

Bei Kadel Willborn geht es augenschonender zu. Die Düsseldorfer Malerin Vivian Greven mixt ihre antiken Körperkonzepte mit Pop-Art und digitalen Bildwelten und entfaltet ein Illusionstheater zwischen physischer Malerei und LCD-Oberflächen.

Einen Abschied vom klassischen Atelierbild ruft auch Jan Dibbets bei Konrad Fischer mit der neuen Werkserie "BOU" aus. Aus seinen "Color Studies" von 1976, die ursprünglich spiegelnde Lackoberflächen von Autokarosserien wiedergaben, hat er ein Detail extrahiert und am Computer bis zur Unkenntlichkeit über das maximale Pixelformat vergrößert. Das Ergebnis sind Drucke, auf denen Reihungen und Formklumpen durch den Raum wirbeln.
 

Eine deutsche Premiere und garantierten Handmade-Faktor verspricht ganz in der Nähe Linn Lühn mit "Arrange Whatever Pieces Come Your Way" – einem Zitat von Virginia Woolf, hinter dem sich die Freundinnen Annabelle Harty aus London und Sheelagh Boyce aus Glasgow verbergen. Deren abstrakte Arbeiten sind handgenäht.Inspiration holen sie sich auf Reisen, gepaart mit Kleidungsstücken von Freunden und Familie. "Wir schätzen die Abnutzung der gebrauchten Kleidung", so das Duo, "und die Geheimnisse, die sie in sich tragen. Wir versuchen diese in die Geschichte des Quilts einzubringen." Bei Linn Lühn wird sich ein neuer Quilt auf die Architektur von Mies van der Rohes Haus Lange und Haus Esters in Krefeld beziehen – da soll noch einer sagen, der Brexit hätte alle kulturellen Brücken nach Europa zerstört.