Rheinisches Kunstwochenende DC Open

Für Flaneure

Galerie Nagel Draxler: Kenny Schachter "Kenny can’t paint", 2024
Foto: Courtesy: Kenny Schachter & Galerie Nagel Draxler, Köln / Berlin / München

Galerie Nagel Draxler: Kenny Schachter "Kenny can’t paint", 2024

Je früher, desto besser: Der große Saisonauftakt der rheinischen Kunstszene startet in diesem Jahr bereits am letzten Augustwochenende. Hier sind unsere Highlights 

Die Rheinland-Solidarität ist stabil – zumindest in der Kunst. Zum 16. Mal starten Köln und Düsseldorf beim DC Open gemeinsam in die neue Kunstsaison. Es ist eine Herausforderung, alle 50 Galerien an einem Wochenende zu schaffen, aber immerhin liegen viele fußläufig voneinander. In Düsseldorf-Flingern zum Beispiel, wo sich die Birkenstraße als erste Zieladresse anbietet. Bei Linn Lühn zeigen Keta Gavasheli und Andria Dolidze aus Georgien ihre erste Galerieausstellung nach dem Abschluss an der Düsseldorfer Kunstakademie. Beide sind bereits in verschiedenen Institutionen im Rheinland aufgefallen, Keta Gavasheli mit installativen Arbeiten und Performances, Andria Dolidze als Maler, und immer wieder auch in Kollaborationen.

Linn Lühn: Keta Gavasheli und Andria Dolidze "Others", 2023
Foto: Courtesy Linn Lühn

Linn Lühn: Keta Gavasheli und Andria Dolidze "Others", 2023


Eine Tür weiter hat Petra Rinck die Galerie Krobath aus Wien zum Galerientausch geladen. Während Sofie Thorsen mit der Schlagschnur und losem Pigment Linien direkt in den Ausstellungsraum zeichnet, liegt die Bewegung in den Skulpturen von Melanie Ender direkt im Material, das sie zu feinen gestischen Objekten biegt, formt, schleift oder schneidet. Bei Jenni Tischer fließt das Material in Form von diagrammatischen Daten in ihre Installationen und Bilder ein.

Auch bei Gabriele Beveridges Ausstellung "Blood Moon" in den Räumen von Cosar steht das Material im Vordergrund der Arbeit, hier mundgeblasenes Glas, Marmor und Metallständer, die eigentlich zur Präsentation von Kleidung in Boutiquen dienen. Beveridge spielt mit der Bildsprache kommerzieller Beauty-Werbung und den verführerischen Strategien und bekannten Codes der Warenwelt zugunsten einer neuen, uneindeutigen Ästhetik.

Cosar: Gabriele Beveridge "Source", 2021
Foto: Damian Griffiths, Courtesy COSAR, Düsseldorf

Cosar: Gabriele Beveridge "Source", 2021


Boa-Basedonart hat sich ganz der Kunst aus Asien verschrieben, hier stellt die 95-jährige in Düsseldorf lebende japanische Künstlerin Takako Saito aus, eine wichtige Vertreterin der Fluxus-Bewegung. In der Ausstellung "Play the Game" werden zwei ihrer berühmten Schachspiele von 1975 gezeigt, in denen an die Stelle von hierarchisch aufgestellten Figuren Würfel und Objekte treten, die alle Sinne ansprechen.

Boa-Basedonart: Takako Saito "Takakos bookshop", 2002
Foto: boa, courtesy boa­basedonart, © Takako Saito / VG Bild-­Kunst, Bonn 2024

Boa-Basedonart: Takako Saito "Takakos bookshop", 2002


Sinnlich geht es auch in der Ausstellung "I Can’t Unsee" und den großformatigen Bildern von Jagoda Bednarsky bei Van Horn zu, die mit dem Motiv der weiblichen Brust kosmische körperlose Landschaften verbindet und darin so selbstverständlich mit den Themen Mutterschaft und Künstlerinnendasein umgeht, wie man es gerne öfter erleben würde.

Van Horn: Jagoda Bednarsky "Klara and The Sun", 2024
Foto: Hans-Georg Gaul, courtesy VAN HORN, Düsseldorf

Van Horn: Jagoda Bednarsky "Klara and The Sun", 2024


Auch in den neuen Arbeiten von Sabrina Fritsch, die bisher mit streng geometrischen und sehr minimalistisch-abstrakten Malereien bekannt geworden ist, steht der weibliche Körper im Fokus, zu sehen bei Schönewald. Wie auch in ihren großen Rasterbildern spielt die Idee der Variation durch Wiederholung von Form, Material und Motiv eine zentrale Rolle. Bei Konrad Fischer spannt K.R.M. Mooney in der Gruppenausstellung "esprit" ein generationsübergreifendes Netz von Künstlerinnen und Künstlern, die sich ausgehend von der Konzeptkunst, dem Fundament dieser traditionsreichen Galerie, in den verschiedenen Räumen ausbreiten und miteinander in Beziehung bringen.

Konrad Fischer Galerie: S*an D. Henry Smith "engraved", 2020
Foto: Courtesy the artist and Konrad Fischer Galerie

Konrad Fischer Galerie: S*an D. Henry Smith "engraved", 2020


In der Altstadt lohnt ein Abstecher zu Anna Laudel, wo die türkische Künstlerin Ardan Özmenoğlu neue Arbeiten zeigt. Auf zwei Etagen hat sie es mit ihrer Sammlung von Neon- und Glasskulpturen sowie ihren ganz eigenen Post-it-Collagen auf die Interaktion mit dem Publikum angelegt, wie auch der Titel der Ausstellung "Du und Ich" betont.

Anna Laudel: Ardan Özmenoğlu "The Rock", 2024
Foto: Courtesy of the artist and Anna Laudel gallery

Anna Laudel: Ardan Özmenoğlu "The Rock", 2024


Sies + Höke ist mit gleich drei Ausstellungen vertreten: In der Hauptgalerie sind neue Malereien und ein großes Wandgemälde von Sophie von Hellermann zu sehen, die ihre luftig-bunten Bilder einmal selbst als "gigantische Seifenblasen" bezeichnet hat – man ist geradezu versucht, sie zum Platzen zu bringen, um die ernsten Geschichten unter dem pastellig-schönen Schein hervorzubringen.

Sies + Höke: Sophie von Hellermann "The King’s Daughter", 2024
Foto: Tino Kukulies, Düsseldorf, Courtesy the artist; Sies + Höke, Düsseldorf

Sies + Höke: Sophie von Hellermann "The King’s Daughter", 2024


In der zweiten Ausstellung können wir in die immersive Videoinstallation der Künstlerin Emilija Škarnulytė eintauchen und uns von einer posthumanen Chimäre vom Amazonas über die tropischen Wälder von Costa Rica bis hin zu unheimlichen Nachkriegsruinen leiten lassen. Und im Projektraum Caprii wird die New Yorker Malerin Olivia van Kuiken ihre erste Ausstellung in Deutschland mit einer großen Wandarbeit eröffnen.

In Köln kann man sich wunderbar vom Hauptbahnhof entlang der Galerien Buchholz und Nagel Draxler in Richtung Belgisches Viertel vorarbeiten, wo die meisten Galerien auf engem Raum zu finden sind. Bei Buchholz wird zum DC Open mit Isa Genzken aufgefahren – im Mittelpunkt steht die Installation "Untitled, 2015", die kürzlich noch in der Neuen Nationalgalerie zu bewundern war.

Galerie Buchholz: Isa Genzken "Ohne Titel (Schauspieler)", 2012
Foto: Courtesy Galerie Buchholz, © Isa Genzken / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Galerie Buchholz: Isa Genzken "Ohne Titel (Schauspieler)", 2012


Um die Ecke bei Nagel Draxler widmet sich der Künstler und Autor Kenny Schachter in der Ausstellung "Phone Face" dem Einfluss von Instagram auf die Arbeit von Künstlern, Kuratorinnen, Museen und Galerien. Auf dem Weg liegt als Nächstes die Galerie Gisela Capitain, wo Lukas Quietzsch erstmals ausstellt. Seine großformatigen Gouache-Gemälde sind auf eine ungreifbare Art faszinierend, er spielt mit dem Gefühl von "Das erinnert mich an …" und sorgt mit seinen fast gleichen Bildpaaren für weitere Verwirrung, aber auf eine gute Art.

Galerie Gisela Capitain: Lukas Quietzsch "Untitled", 2024
Foto: © Lukas Quietzsch, Courtesy the artist and Galerie Gisela Capitain, Cologne

Galerie Gisela Capitain: Lukas Quietzsch "Untitled", 2024


Auch bei den Skulpturen und Malereien von Martin Gerwers bei Philipp von Rosen, einen Katzensprung entfernt, muss man manchmal zweimal hinschauen, um zu ergründen, was nun Raum, was Fläche, was optische Täuschung und räumliches Vexierspiel ist.

Philipp von Rosen Galerie: Martin Gerwers "Steps", 2024
Foto: Martin Gerwers, Courtesy of the artist and Philipp von Rosen Galerie, © Martin Gerwers / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Philipp von Rosen Galerie: Martin Gerwers "Steps", 2024


Eine Entdeckung sind die Öl-auf-Papier-Malereien der jungen Düsseldorfer Akademieabsolventin Pauline Rintsch bei Fiebach, Minninger. Oft hält sie zwischenmenschliche Momente aus ihrem Umfeld fest, transparent-kreidige Körper, die ganz mit sich und ihrer unmittelbaren Umgebung beschäftigt sind. Die junge Galerie DOD möchte mit Basil Beattie einen etwas in Vergessenheit geratenen Künstler ehren, der im kommenden Jahr 90 wird. 

Spuren von Abstraktem Expressionismus sind in seinen Werken auch heute noch zu sehen, wenngleich er die reine Abstraktion zugunsten einer eigenen, sehr erdigen Farb- und Formensprache aufgegeben hat, die oft architektonische Elemente wie Treppen, Bögen oder Fenster enthält. Größer könnte der Kontrast zu den Kreaturen von Mary-Audrey Ramirez bei Martinetz nicht sein, die als Sci-Fi-Fabelwesen irgendwo zwischen Amphibien und Drachen, Videospiel- und Urzeitästhetik schwirren.

Fiebach, Minninger: Pauline Rintsch "keep me hanging on", 2024
Foto: Courtesy the aertist and gallery fiebach, minninger

Fiebach, Minninger: Pauline Rintsch "keep me hanging on", 2024


Getarnt als Zirkusszenen, zerlegt Juan Pérez Agirregoikoa in seiner Schau "Western Perfection – Westliche Perfektion" bei Clages die Arroganz der westlichen Großstaaten. Ballerinen, Musikanten und Clowns, die den Kopf bereits in der Schlinge tragen, dienen als Abziehbilder für die erstarkenden faschistischen Gedanken, die in diesen Gesellschaften wachsen, sobald die heile Welt des Kapitalismus von Krisen durchgeschüttelt wird.

Clages: Juan Pérez Agirregoikoa "My Fu***ng Books", 2024
Foto: Courtesy the artist and Clages, Cologne

Clages: Juan Pérez Agirregoikoa "My Fu***ng Books", 2024


Auch die Porträts von Tobias Spichtig bei Jan Kaps offenbaren ihre tiefer liegende Ebene bei genauerer Betrachtung. Die Konterfeis von Freunden, aber auch von Berühmtheiten wie Andy Warhol oder Bella Hadid sind für ihn ein Mittel, um über die Verkleidung und Darstellung von Körpern nachzudenken, im malerischen wie im psychologischen Sinne. Bei Drei einmal ums Eck stellt Julia Scher die Reinszenierung einer Werkserie von 2000 aus, die auf Mikrowellenöfen basiert. Lange bevor vordergründig intelligente Smarthomes und allzeit trackende Smartphones unseren Alltag bestimmten, sah Scher das Potenzial und die Gefahr der ständigen Überwachung, die Mikrowellen als Transmitter von Daten innewohnen könnten.

 

Jan Kaps: Tobias Spichtig, Installationsansicht "Everything No One Ever Wanted", Kunsthalle Basel, 2024
Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel, Courtesy of the artist, Kunsthalle Basel, and Jan Kaps, Cologne

Jan Kaps: Tobias Spichtig, Installationsansicht "Everything No One Ever Wanted", Kunsthalle Basel, 2024

Dieser Artikel erschien zuerst in Monopol 9/2024.