Scheiß auf Tapferkeit. Scheiß darauf, Haltung zu bewahren, wenn du die Diagnose bekommen hast. Scheiß auf die tröstlichen Trauerrituale einer Gesellschaft, die deinen Tod billigend in Kauf genommen hat. "Wenn ich sterbe, will ich keine Gedenkfeier", so der US-amerikanische Schriftsteller und Künstler David Wojnarowicz. "Bringt meinen Leichnam einfach nach Washington und schmeißt ihn auf die Treppe des Weißen Hauses."
Wojnarowicz wurde 1987 positiv auf HIV getestet, sein langjähriger Lebensgefährte, der Fotograf Peter Hujar, starb im selben Jahr an den Folgen von Aids, eine ganze Generation von Künstlern fiel in jener Zeit einer Epidemie zum Opfer, zu der weite Teile von Politik und Öffentlichkeit schwiegen. "Silence = Death" – unter dem Slogan der Antidiskriminierungsinitiative Act Up läuft eine Fotografie, auf der Wojnarowicz mit zugenähtem Mund abgebildet ist, das Blut läuft aus den frischen Stichen über seine Haut, der Blick ist durchbohrend. Ein Bild, lauter als jeder Schrei.
Wie die Krankheit ins Zentrum von Wojnarowicz’ Schaffen rückt und seine Kunst politisiert, war vor einigen Monaten in der verstörenden, intensiven Berliner Ausstellung "David Wojnarowicz: Photography & Film" zu sehen. Das Mudam Luxembourg zieht nun mit einer großen Schau nach: Die erste europäische Retrospektive zeigt das vielfältige Werk aus Fotografie, Malerei, Musik, Film, Skulptur, Texte und Aktivismus.
Der Künstler war ein Charismatiker, der im rastlosen Mühen um Antworten in Sekundenschnelle von messerscharfer Analyse zu einem trotzigen fuck you wechseln konnte und von Liebe zu Hass. Der 1954 in New Jersey geborene Wojnarowicz lebte als Jugendlicher zeitweise auf der Straße und reiste als junger Erwachsener durch das Land, zur Kunst kam er über die Freundschaft mit anderen Künstlern wie Hujar, Kiki Smith oder Nan Goldin. Bereits aus seiner frühen Fotoserie "Arthur Rimbaud in New York", in der er selbst oder ein Freund mit einer Maske des anarchischen französischen Dichters durch Manhattan streift, sprechen die Ambivalenzen, die sein Werk zeitlebens prägten: die Hassliebe für das Leben im Großstadtdschungel, die Freiheit und Einsamkeit des Außenseiters.
Die Aids-Diagnose habe dazu geführt, dass er Abstand nehmen könne und die Dinge klarer sehe, sagt Wojnarowicz in einem Filminterview mit dem Kulturtheoretiker Sylvère Lotringer. So entblößt er nationale Mythen und gesellschaftliche Strukturen, so unterzieht er aber auch sich selbst einer radikalen Selbstbefragung. Was unterscheidet einen von anderen Menschen? Welche Unterschiede sind gut, welche sollte man überwinden, ohne dabei Schuld zu empfinden?
Zur Diskussion stellt er nicht zuletzt auch seine Rolle als Künstler. Er habe keine Lust, nette Werke abzuliefern, während Staat und Medien Menschen ermorden, erklärt Wojnarowicz gegenüber Lotringer. Wozu dann überhaupt noch Kunst? Um dem Impuls, ein Massaker anzurichten, eine andere Form zu geben. Um dem Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit etwas von Wert entgegenzusetzen. Um jenseits der Institutionen, jenseits der gesellschaftlichen Norm eigene Communitys zu bauen.