In meinem Kolumnenbeitrag vom letzten Jahr mit dem Titel "Mit Verena Dengler beim Eisbärbaby" habe ich hier von meiner ersten Begegnung mit Verena Dengler berichtet. Was ich von Verena Dengler insgesamt und von Verena Denglers Kunst im Besonderen halte, habe ich in dem Text ausführlich dargelegt, das können Sie jetzt nachlesen, wenn Sie wollen, oder wenn Sie nicht wissen, wer Verena Dengler ist, was wirklich gegen Sie sprechen würde.
Für alle anderen kann ich sagen, dass seit unserem Zoobesuch einiges passiert ist. Die Verena Dengler, die ist nämlich, wenn man so will, groß rausgekommen. Also nicht, dass es hier Missverständnisse gibt: Die Verena Dengler, die war vorher schon groß, ja regelrecht gewaltig. Wer gewaltig ist, kann aber trotzdem noch groß rauskommen, das eine hat in einer Gesellschaft bauchgepinselter Knallköpfe nämlich nichts mit dem anderen zu tun. Die Verena Dengler ist jedenfalls groß rausgekommen und hat deshalb, oder sagen wir: trotzdem, eine Einzelausstellung in der Wiener Secession gemacht. Diese Ausstellung, um die es im Folgenden gehen soll, trägt den Titel "Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G‘stettn (Corona-Secessions Dengvid 2020) :-))", nach einem rätselhaften Groschenroman mit dem Künstler Leon Kahane und der Galeristin Astrid Meyerfeldt in den Hauptrollen, dessen Zustandekommen wohl der Verena zuzurechnen ist beziehungsweise dessen Zustandekommen durch das indirekte oder persönliche Wirken der Verena Dengler wohl von niemandem verhindert werden konnte.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Umständen, unter denen dieser Text, den Sie hier lesen können, zustande gekommen ist, denn diese gestalten sich ebenso recht verquer, und wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht sicher sagen, ob die Verena Dengler die Umstände zu diesem Text nicht vielleicht auch stillschweigend herbeigeführt hat, zumindest beschleicht einen da manchmal so ein Gefühl, oder besser: eine Angst, die Verena Dengler könnte vielleicht planen, alles an sich zu reißen, weshalb ich versuche, mich an dieser Stelle kurz zu fassen, um baldmöglichst zur Kernangelegenheit dieses Artikels fortzuschreiten, nämlich dem Interview mit der Hauptattraktion der Dengler’schen Ausstellung: einer Bronzeskulptur.
Eine kometenhafte Eröffnung des Jahrtausends
Nur noch kurz muss ich von den Umständen der Ausstellung berichten, denn die Umstände sind im Werk von Verena Dengler sozusagen Programm. Ich, ja ich, bin also mit großer herzerwärmender Ankündigung eingeladen worden, nach Wien zur Eröffnung zu kommen, was ich auch vorhatte, denn seit unserem Eisbärbabyerlebnis verbindet die Verena Dengler und mich etwas ganz Besonderes. Ich hatte mich vorbereitet, die Garderobe zurechtgelegt, ja sogar das Krawattenbinden geübt, aber dann ist etwas passiert, über das ich jetzt an dieser Stelle wirklich nicht sprechen will, und ich konnte nicht kommen. Nein, ich konnte nicht kommen, und das war wirklich ein Graus. Denn die Eröffnung von der Verena Dengler in der Wiener Secession, das war nun mal die Eröffnung des neuen Jahrtausends. Ja, an diesem Abend stieg ein Komet auf über dem Himmel Wiens, der bis nach Berlin leuchtete, und unter der Hand der Verena Dengler enthüllte sich die Welt, so wie schon Jean Paul sie in seinem "Komet" beschrieb: als "fast nichts", außer vielleicht, in diesem Fall, ein bisschen Gegenwart.
Es gab jedenfalls Rampen statt Sockel, Dosenbier und periphere Promis, und die waren sehr gut angezogen auf den Fotos, und es gab einen Pop-up-Fashion-Stand von MOB Industries, die Designermode für Menschen mit Behinderungen machen, und die legendäre Lydia Haider, die hat auf jeden Fall performt, und die mindestens genauso legendäre Musikerin Steffanie Ergen, die auch, das war jedenfalls ein Fest, denn die ganze legendäre internationale Wiener illustre Gesellschaft war da, sie war da und sie war versammelt um … Na, um was eigentlich?
Das Folgende münzt auf Hörensagen, daher bitte ich jegliche irreführenden oder verfälschten Eindrücke zu entschuldigen, aber im Grunde denke ich, dass ich nicht falsch liege, wenn ich das Ganze einmal so ausformuliere, wie ich denke, damit Sie es jetzt zumindest alle einmal gehört haben.
Bronze-Erscheinung inmitten der queeren Gartenbauanlage
Betritt man die große Halle der Secession, findet man dort in erster Linie eine originalimprovisierte Nachbildung eines Badeteichs des Wiener Bezirksteils Hirschstetten bzw. eine Realisierung der von der Künstlerin so genannten "Gothic Gstettn" im Sinne einer wüsten Hinwendung zur einer Art Anarcho-Version neo-romantischer Landschaftsgärtnerei, die Dengler gemeinsam mit der Religionshistorikerin und revolutionären Hobbyblumengärtnerin Barbara Urbanic entwickelt und gebaut hat. Dann ist da ein Flügel, auf dem "Ver Sacrum" steht, und insgesamt entsteht der Eindruck, da wäre man in einer Brache gelandet, in der gleich knutschende und Dosenbier trinkende Gothgirls aus den Wassern emporsteigen, um sich zu einem genialischen Kneipenlallen zwischen den wehenden Halmen in Kunstmärchen aufzulösen.
Aber vor allem gibt es eben die Bronzestatue, die der Barbara Urbanic zum Verwechseln ähnlich sieht und die da in der Mitte dieser, und so muss man das, ob man nun will oder nicht, vielleicht einfach nennen: queeren Proll-Gartenbauanlage, die man derzeit in der Secession anschauen kann, steht und ein Handyfoto macht mit einem Blumenstrauß in der Hand.
So weit, so gut. Allen bis hierher geschilderten widrigen Umständen zum Trotz und dem weiteren Umstand, dass die Verena Dengler wirklich schlecht zu erreichen ist (ja, die Verena Dengler, die postet auf Instagram irgendwelche Selfies und geht aber nicht ans Telefon. Da habe ich mir schon auch gedacht: So als Künstlerin, da muss man doch eine gewisse Erreichbarkeit an den Tag legen. Das wird man ja als Kunst-Entgegennehmende, als Kunst-aufgebürdet-Bekommende, ja wohl noch erwarten können, sowieso diese ganze Verwöhntheit unter den jungen Künstlerinnen, die meinen, einem ihre Kunst in einem solchen Ausmaß aufbürden zu dürfen und dabei noch alles bestimmen wollen, dabei ist so ein Museum doch kein Ponyhof), habe ich, ja ich, es nun tatsächlich geschafft, ein Interview zu arrangieren, und zwar ein Interview mit ebendieser Bronzeskulptur höchstselbst, denn die Dengler, die war ja nicht da. Das Ganze war schwieriger, als anfangs gedacht, weil die Bronzeskulptur zuerst noch ganz stumm war, als man ihr den Telefonhörer hingehalten hat, sie ist ja jetzt festgegossen. Aber wenn man ganz leise war, konnte man eine Art Fiepen hören. Das habe ich für Sie, liebe Leserinnen und Leser, exklusiv für die Monopol entschlüsselt:
AG: Hallo, können Sie mich hören?
Skulptur: Hallo? Ah, hallo. Sorry, das WLAN ist ganz schlecht hier. Hallo, guten Tag.
AG: Die Frage ist vielleicht ein bisschen unhöflich, aber sagen Sie, wer Sind Sie überhaupt?
Skulptur: Ich bin eine (fast) lebensgroße Bronzeskulptur, die die Künstlerin Verena Dengler anlässlich ihrer Einzelausstellung im Hauptraum der Wiener Secession anfertigen hat lassen. Ich stelle @stadtblume_wien dar, das ist der Instagram-Name unter dem Barbara Urbanic, eine Freundin und Kollaborateurin von Verena Dengler, die Modell gestanden ist, ihren Schnittblumengarten und ihre Blumenkreationen dokumentiert.
AG: Sagen Sie, woher kennen Sie denn die Verena Dengler eigentlich?
Skulptur: Ich habe Verena Dengler in einer Lagerhalle in Purkersdorf bei Wien bei einem Fotoshooting mit der Fotografin Apollonia Bitzan erstmals persönlich getroffen, hatte davor aber natürlich schon viel über sie gehört.
AG: Und haben Sie selbst denn eine Idee, warum die Verena Dengler Sie in Bronze gegossen hat?
Skulptur: Wir, Verena Dengler, Barbara Urbanic und ich, sagen gern, dass man von Verena Dengler zum 25-jährigen Freundschaftsjubiläum eben eine Bronze geschenkt bekommt, weil das eigentlich ein recht charmanter Schmäh ist. Zweifelsohne hat Verena, die ja Bildhauerei studiert hat, auch der ganze Prozess interessiert und die unsichtbare Produktionsarbeit, die hinter solchen Skulpturen steht. Mittlerweile vermute ich allerdings, es war ein genialer Plan, um die ganze Pressearbeit nicht alleine machen zu müssen.
AG: Sie sind ja auch genug beschäftigt, könnte man denken, bei all den Blumen hier um Sie herum und auf ihrem Account @stadtblume_wien. Sagen Sie, in welchem Verhältnis steht die virtuelle zur bronzenen Blume? Hat das alles etwas mit der blauen Blume zu tun? Was sollen all die Blumen überhaupt?
Skulptur: Die blaue Blume würde ich in Eisenach lassen, auch wenn sie sich zu einer Generalisierung von Blumen und Blumendarstellungen als Projektionsfläche für Gefühle und Begehren sicherlich heranziehen ließe. In Florikultur und Floristik tut sich gerade einiges – und Forum dafür ist in erster Linie Instagram. Es werden Themen um Nachhaltigkeit und Biodiversität verhandelt und vor allem eine stärkere Annäherung an Design und Kunst, weg von biederer "Gebrauchsfloristik". Ästhetisch bildet sich ein natürlicher, wilder Stil heraus, der aber einiges an Technik und Aufwand braucht, um diesen Effekt zu erzielen. Hier gibt es einen Anschluss an die Romantik, die ein hoch artifizielles Naturbild geschaffen hat, das das Erhabene erspürbar machen soll. Also vielleicht doch blaue Blumen? Warum und ob man so ein – vielleicht ganz temporäres – Social-Media-Nischenphänomen in Bronze gießen sollte, kann ich echt nicht beantworten. Ich für meinen Teil freue mich jedenfalls schon darauf, wenn Betrachter*innen in 200 Jahren sich über die Sneakersocken kaputtlachen.
AG: Auf der Eröffnung soll es heiß hergegangen sein. Es wird gemunkelt, sogar die Hells Angels seien anwesend gewesen und Jugendliche wären barfuß um den nachgebauten Badeteich gelaufen. Wie ist es, einer solchen Situation ausgeliefert zu sein?
Skulptur: Ach, so hab ich das gar nicht wahrgenommen. Ich freu mich, wenn was los ist – ich komm ja nicht soviel raus. Außerdem stehe ich sicher auf dem Margula-Sockel, der gänzlich ohne den aufmerksamkeitsheischenden Pomp und die Selbstüberhöhung vieler anderer Sockel auskommt, mich aber trotzdem voll unterstützt.
AG: Wenn ich das richtig verstanden habe, lautet das Motto der Ausstellung so etwas wie "arschtief in der Romantik". Mal eine persönliche Frage: Wird man nicht arg todessehnsüchtig, so vom Herumstehen mit hypothetischer Aussicht auf Ewigkeit?
Skulptur: Ist vielleicht eine Frage des Temperaments. Ich glaub, ich steh lieber arschtief in der Romantik, als in ihr herumzuwaten. Dabei kann man besser schauen – Verzeihung, gucken – und Fotos machen. Schön ist es ja.
AG: Und sind Sie eigentlich jetzt unsterblich?
Skulptur: Bitte nicht. Es gibt wirklich keine guten Gründe, die für, aber viele, die gegen die Unsterblichkeit sprechen.
AG: Bronze hält den Schätzungen nach ja trotzdem recht lang. Da würde ich mir an Ihrer Stelle schon ein paar Grundsatzfragen stellen, zum Beispiel: Vandalismus: ja oder nein?
Skulptur: Das kann man so nicht fragen, finde ich, weil’s eben nicht das Mittel jener ist, die Statuen aufstellen – oder sind. Aber ich persönlich fände zum Beispiel "ACAB" am Arsch recht romantisch, um beim Ausstellungsmotto zu bleiben.
AG: Als letzte Frage, bevor ich Sie entlasse: Wenn Sie es sich aussuchen dürften: Wo würden Sie nach ihrer Zeit in der Secession am liebsten aufgestellt werden?
Skulptur: Es wäre natürlich schon nett, unter Leuten zu sein. Verenas Vision war ursprünglich ein zentraler Platz in den Blumengärten Hirschstetten – wäre ja aufg'legt. Aber nachdem gerade doch der eine oder andere Background-Check bei public sculptures gemacht wird, hoffe ich auf eine Vakanz in Innenstadtlage. Wenn zum Beispiel die Statue von Karl Lueger, dem rasend antisemitischen Wiener Bürgermeister um 1900, vom gleichnamigen Platz entfernt würde, würd ich mich sofort bewerben! Passt auch ganz schön, denn das Denkmal steht an dem der Secession ursprünglich in Aussicht gestellten Bauplatz und gleich beim Stadtpark. Man müsste den Platz dann natürlich umbennen – "An der Gothic Gstetten" fänd ich schön zum Beispiel.