Hand hoch, bitte! Wem sagt der Name Teju Cole etwas? Ich würde tatsächlich um ein Handzeichen bitten, säßen wir gemeinsam in einem Raum. Es würden sicherlich die Personen die Hand heben, die schon immer das Feuilleton der überregionalen Tageszeitungen scannen, die regelmäßig online die "New York Times", den "Guardian" und das ganze Internet lesen wollen. Bei diesem Versuch kann man naturgemäß nur scheitern. Unmöglich ist auch, dabei nicht über Teju Cole zu stolpern.
Teju Cole ist Fotografie-Kritiker des "New York Times Magazine", er schreibt dort eine Kolumne unter dem Titel "On Photography" ("Über Fotografie"), angelehnt an das bekannte Buch von Susan Sontag. Er fotografiert selbst und schreibt Romane und Essays über Politik, Literatur, Kunst, Musik und das Reisen. Eigentlich schreibt er unablässig, weshalb gerade in Amerika seine erste Sammlung von Essays "Known and Strange Things" erscheinen konnte. In Deutschland gibt es das Buch ab 26. September, sein Verlag nennt ihn in der Vorankündigung einen der wichtigsten jungen Intellektuellen der USA.
"Vertraute Dinge, fremde Dinge" heißt es im Deutschen. Den dreiteiligen Band eröffnet er mit dem Text "Schwarzer Körper" – mit einem Text über das ihm Vertrauteste, seinen schwarzen Körper, und das ihm zugleich Fremdeste, den Rassismus in Amerika. Er schreibt über seine schwelende Wut über den Rassismus, über die amerikanische Polizei, die unbewaffnete Schwarze erschießt, über den schwarzen Körper, der vorverurteilt ist und unnötigen Gefahren ausgesetzt wird.
"Schwarz zu sein bedeutet", formuliert er in aller Deutlichkeit, "bevorzugtes Ziel selektiver Strafverfolgung zu sein und psychisch in einem prekären Zustand zu leben, der körperliche Unversehrtheit nicht garantieren kann." Er berichtet von den verstohlenen Blicken, die ihn überall außerhalb Afrikas träfen, in Zürich, wo er 2014 Writer in Residence des Literaturhauses war, und in New York, wo er seit 14 Jahren lebt.
Dieser erste Text ist zugleich eine Erklärung dafür, warum in Interviews über die Essaysammlung zuallererst Teju Cole als Zeit- und Kulturkritiker gefragt ist. Warum so ziemlich jede Zeitung und jedes Magazin dringender mit ihm über Obama, die Präsidentschaftswahlen, Rassismus und die Bewegung #BlackLivesMatter sprechen möchte als über seine Essays, die auch all das behandeln, was ihn als Kunsthistoriker, Leser, Fotografen und Reisenden interessiert – Fotografen wie Guerorgui Pinkhassov, Stephen Shore und Instagram, Saul Leiter, seine eigene Fotografie, die bis vor kurzem noch in Mailand ausgestellt war.
Cole ist in Amerika geboren, in Nigeria ist er aufgewachsen, Yoruba war seine erste Sprache, mit 17 ging er zurück nach Amerika und studierte dort später Kunstgeschichte und Medizin. 2005 war er für kurze Zeit in seiner Heimat Lagos, aus seinen Erfahrungen wurde zunächst ein Blog, dann sein Debütroman "Jeder Tag gehört dem Dieb", der bis 2014 nur in Nigeria erhältlich war, wo er beim Verlag Cassava Republic Press erschienen war. Darin erzählt er die Geschichte eines namenlosen Mannes, der in New York Medizin studiert, das erste Mal seit 15 Jahren in seine Heimat Lagos reist, an jeder Ecke mit Korruption konfrontiert wird und von den Einheimischen "Oyinbo", "weißer Mann" genannt wird. Die Parallelen zwischen Ich-Erzähler und Autor sind unübersehbar. Der Protagonist notiert, wie die Geschichten mit dem Besuch jeder einzelnen Person einfach zu ihm kommen, wie aus jeder Unterhaltung mit einem Fremden auf der Straße eine Geschichte werden könne, da jeder Faszinierendes zu berichten habe. Er selbst müsse das alles nur noch aufschreiben. Und plötzlich, dort in Lagos, umgeben von all diesen Menschen mit ihren Geschichten, empfindet er Mitleid mit den Autoren, deren Stoff verschlafene amerikanische Vorstädte oder brüchige Ehen sind. Wäre John Updike Afrikaner gewesen, hätte er den Nobelpreis vor 20 Jahren bekommen, lässt Cole seinen Ich-Erzähler denken.
Im richtigen Leben geht es Teju Cole nicht viel anders. Er versteht sich selbst, wie er aufgeschrieben hat, als "Treuhänder eines schwarzen Körpers, der eine Sprache für all das finden muss", was das für ihn und die Menschen, die ihn ansehen, bedeutet. Und er findet eine Sprache für die Ereignisse, die unter dem Hashtag #BlackLivesMatter immer und immer wieder in den Sozialen Medien mit Schrecken, Empörung und leider auch Hass diskutiert werden.
Im Juli ist der Afroamerikaner Alton Sterling in Baton Rouge von zwei Beamten erschossen worden, er verkaufte seit Jahren CDs vor einem Lebensmittelgeschäft. Ein anonymer Anrufer hatte die Polizei alarmiert, weil ein Verkäufer ihn vor einem Geschäft mit einer Waffe bedroht habe. Die Polizei rückt an, wirft Sterling zu Boden, kurz darauf ist er tot. Menschen gehen in Baton Rouge auf die Straße, protestieren friedlich, Ieshia Evans, eine Frau, die sich mitten auf der Straße im Sommerkleid bewaffneten Polizisten entgegenstellt, wird zum Symbol dieser Proteste. Die Aufnahme des Fotografen Jonathan Bachman wird zu einer Ikone, ist eines der Fotos, die so schnell nicht wieder aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden.
Für Teju Cole war dieses Foto, das sich rasant viral verbreitete, Anlass sich in seiner Kolumne Gedanken zu machen über die Superhelden Fotografien der Black Lives Matter Bewegung. Ihm geht es dabei nicht darum, dass Fotografen absichtlich Bilder machen, die an Szenen und Helden erinnern, die wir alle aus Marvel Comics kennen. Fotografen würden nicht bewusst versuchen, so Cole, Protestierende aussehen zu lassen wie Superhelden. Es seien nur einfach immer wieder genau die Bilder, die aus hunderten und tausenden von Aufnahmen herausstechen und die Menschen ansprechen, die sich simpler kompositorischer Mittel bedienen und damit an Superhelden erinnern: Ein Akteur steht einer größeren Anzahl von Gegnern gegenüber, die ihm sichtlich überlegen sind, und tritt ihnen in kämpferischer Haltung und triumphierender Pose entgegen. Diese Bilder sehen meist aus wie Momentaufnahmen, die wir zuvor schon einmal so oder so ähnlich gesehen haben. "Against death and helplessness, they project power and agency", schreibt Teju Cole. Das Leben ist kein Comicheft, dessen ist er sich bewusst, niemand ist ein Superheld, Menschen sterben, werden zusammengeschlagen, festgenommen, verletzt. Die Bilder aber würden es schaffen Geduld, Furchtlosigkeit, Wut und Würde sichtbar zu machen, so Cole, und uns daran erinnern, wonach wir uns alle sehnen: Gerechtigkeit.
Auf Instagram, das zu seinem Notizbuch wurde, nachdem er vor zwei Jahren seinen Twitter-Account mit über 250.000 Followern stilllegte, postete er ausgehend von dem Foto von Ieshia Evans tagelang eine Serie eigener Fotografien.
Und endete mit einem Detail aus Botticellis "Geburt der Venus".
Der Kulturhistoriker Aby Warburg, auf den sich Cole auch in seinem Essay bezieht, hatte gezeigt, dass sich bestimmte Formen in der Geschichte der Malerei und Skulptur stetig wiederholen. Deshalb kann auch die Aufnahme von Evans nicht losgelöst von historischen Vorbildern betrachtet werden: Der schwarze Körper als heroischer Körper, wie wir ihn aus der Geschichte der Kunst kennen.