Schauspieler Daniel Brühl hat erstmals Regie geführt. Der Psychothriller "Nebenan" erzählt von menschlichen Abgründen und der Verdrängung in Großstädten. Im Interview erklärt der 43-Jährige, welche Begegnung ihn auf die Idee gebracht hat - und wie seine Berliner Nachbarn heute auf ihn reagieren
Herr Brühl, wie hat sich das angefühlt, zum ersten Mal selbst Regie zu führen?
Sehr gut. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt. Und ich habe das pragmatisch gesehen. Ich dachte: "Wenn das jetzt in die Hose geht und ganz furchtbar wird, dann mache ich es nie wieder." Aber ich wollte es unbedingt mal probiert haben und muss im Rückblick sagen, dass das mit die beglückendste Erfahrung war, die ich beruflich je gemacht habe.
Sie spielen parallel eine der Hauptrollen - einen Schauspieler namens Daniel, der in Berlin lebt und für einen Superheldenfilm vorspricht. Hand aufs Herz: Wie viel von Ihnen steckt in der Figur?
Das will ich bewusst offenhalten. Allen voran stand die Idee, einen Film über Gentrifizierung zu machen, und erst im nächsten Schritt dachte ich: «Die Geschichte, die mir dazu einfällt, hat halt viel mit mir zu tun.» Meine Person als Schauspieler bietet einfach eine wunderbare Angriffsfläche.
Wie kamen Sie auf die Geschichte?
Die Idee entstand in einem Restaurant in Barcelona, vor Jahren. Ich saß jemandem gegenüber, der sah aus wie ein Bauarbeiter. Ich habe gleich gespürt: Der mag mich überhaupt nicht. Und habe mir dann ausgedacht, er könnte Gerüstbauer sein vor einem Haus, in das ich gerade gezogen bin, und mich monatelang observieren. Und eines Tages wartet er in dieser Tapas-Bar auf mich und eröffnet ein Wortduell. Ich habe schnell gespürt: Das ist ein Thema, das mich beschäftigt.
Und warum?
Seit ich aus Köln weggezogen bin, habe ich mich immer ein bisschen wie ein Gentrifizierer gefühlt. Ob es jetzt in Berlin war oder in Barcelona. Ich habe mich schon früh ein bisschen zu privilegiert gefühlt. Und dachte: "Warum mache ich den Film dann nicht wirklich ganz persönlich und nehme mich als Vorbild für die Figur?" Den kann man doch wunderbar fertig machen. (lacht)
Im Film gibt es eine Szene, in der Daniel so tut, als wäre die Kneipe seine Lieblingsbar, dabei kennt er weder den Namen der Wirtin noch deren bekannte Sülze. Kennen Sie das auch, dass man dazugehören will und sich dabei lächerlich macht?
Ja, ganz eindeutig. Und da muss man auch selber über sich lachen und die Hosen runterlassen können. Insofern sind da schon sehr viele ehrliche Momente dabei. Dass man den Namen nicht kennt - wie oft ist mir das passiert. Oder einmal, da ist mir ein Paar in Barcelona entgegengekommen. Die sahen aus wie Deutsche, mit einer Kamera. Instinktiv habe ich meinen Arm um die Frau gelegt, weil ich dachte, sie wollen ein Bild mit mir. Und dann stellte sich heraus: Das waren Schweden, die mich überhaupt nicht erkannt haben. So peinlich. Dieses Kölsche in mir und das Spanische - sich gemein zu machen, um gefallen zu wollen - das hat viel mit mir zu tun. Ich glaube aber, ich habe mich da schon gebessert.
Wie reagieren denn Ihre Berliner Nachbarn heute auf Sie?
Ich glaube, die mögen mich (lacht). Ich wurde von Anfang an willkommen geheißen. Aber trotzdem spüre ich manchmal noch diesen Restkrampf. Dieser Wunsch, den Leuten zu zeigen, dass man dazugehört, war immer sehr stark. Und natürlich war er auch immer deshalb sehr stark aus diesem Gefühl heraus, irgendwie ein Eindringling zu sein, ein verhasster Gentrifizierer von außen. Es war mir immer wichtig, den Leuten klarzumachen, dass ich das nicht bin. Seit 22 Jahren lebe ich in Prenzlauer Berg. Irgendwann würde man ja denken, man hat es abgelegt. Aber nein, es beschäftigt mich bis heute.
Woran merken Sie, dass es da noch einen kleinen Graben gibt?
Naja, die Nachbarn erzählen natürlich auch ein bisschen aus ihrer Biografie. Und da sind schon manchmal traurige und erschütternde Geschichten dabei, bei denen ich denke: "Oh Gott, was habe ich für ein Glück gehabt. Was für ein privilegiertes Leben führe ich, dass ich mir diese Sorgen einfach nie machen musste."
Welche Sorgen meinen Sie?
Etwa die Erfahrung, dass es einen Umbruch gibt, nach dem von der eigenen Vergangenheit wenig übrig ist und man keinen Platz findet in der Gegenwart, in einem neuen Land. Das habe ich schon ganz früh durch die Arbeit an "Good Bye, Lenin!" gemerkt. Da war ich mit Anfang 20 noch grün hinter den Ohren und wusste über den Osten und auch über Berlin so gut wie nichts. Mein Leben hatte immer in Westeuropa und Westdeutschland stattgefunden. Da waren mir Franzosen und Belgier und Holländer näher als die Ostdeutschen. Und ich wusste: Wenn ich jetzt einen Ost-Berliner spielen soll, dann muss ich mir ganz schön viel Wissen aneignen. Das meiste kam aus Gesprächen, mit den Schauspielkollegen zum Beispiel, die mir von ihren Lebenswegen erzählt haben. Das fand ich wahnsinnig berührend und beeindruckend.
Über das Thema Verdrängung macht sich auch die Politik seit Jahren Gedanken. Sehen Sie eine Lösung für das Problem? Gibt es etwas, was man Ihrer Meinung nach versuchen sollte?
Vielleicht sollten der Dialog und der Austausch nicht so stattfinden wie in meinem Film (lacht).
Guter Punkt, ja.
Das Essenzielle ist natürlich immer die Kommunikation und das Aufeinanderzugehen. Ich höre mir einfach an, was die Leute mir zu erzählen haben. Dadurch habe ich allein schon in meinem Haus sehr viel dazugelernt. Aufmerksam durchs Leben gehen, achtsam und mit offenen Ohren und Augen, damit fängt es immer an.
Die letzten Monate waren für alle sehr komisch. Wie sind Sie bisher durch die Pandemie gekommen?
Das war hier und da eine Herausforderung, auch mit Nachwuchs. Aber bei all dieser Tragödie, die über die Welt hereingebrochen ist, wäre es schrecklich, wenn ich jetzt darüber jammern würde. Es war mir vergönnt, dass dieser Film möglich wurde. Dass meine Familie und mein näheres Umfeld gesund geblieben sind. Da muss man sich schon glücklich schätzen.
Und, werden Sie nochmal Regie führen?
Ich würde es gerne noch einmal wagen, irgendwann. Und gerne auch wieder zusammen mit Daniel Kehlmann als Autor. Wir sind schon wieder dabei herumzutüfteln. Aber das ist noch zu früh, um etwas zu erzählen.