Beim Thema Migration wollen alle mitreden. Den Betroffenen wird kaum zugehört. Danh Vo floh 1979 mit seiner Familie aus Vietnam. Er war vier Jahre alt, als sein Vater ein Boot baute, um das Traumziel USA anzusteuern. Ein Frachter fischte die Familie aus dem Meer und brachte sie stattdessen nach Dänemark , wo der Junge aufwuchs. Der Künstler mit dänischem Pass spricht aus eigener Erfahrung, wenn er sagt "dass gerade die Migranten, die Ärger machen, auf dem besten Weg sind, sich zu integrieren." Asiatische Migranten, so Vo 2015 in einem Interview, "werden immer dafür gelobt, dass sie ruhig bleiben und es alleine schaffen. Aber sie sind überhaupt nicht integriert. Sie bleiben einfach unter sich."
Anders Danh Vo, der den Migrationshintergrund in seinen Installationen aus Dokumenten, Fotos oder auch Werken anderer Künstler immer wieder durchschimmern lässt. Assimilation, Zugehörigkeit, Fragen der Identität, all das schwingt in den Werken des dänischen Künstlers mit, die aber häufig schwer zu lesen sind. Ihre Sperrigkeit erinnert an Treibgut, mit dem man wenig anfangen, von dem man sich aber aus rätselhaften Gründen nicht trennen kann. Wie jenes Holzkreuz, das Vos Vater für das Grab der Großmutter zimmerte, bevor es durch einen Grabstein ersetzt wurde. Statt im Friedhofscontainer entsorgt zu werden, landete das Kreuz auf Vos Balkon in Berlin. Nach halbjähriger Karenzzeit tauchte das Überbleibsel in den Werken des Künstlers auf.
Während sich der amerikanische Traum vieler Boat People niemals erfüllte, darf Danh Vo nun die Rotunde des ehrwürdigen New Yorker Guggenheim bespielen. Vo betrachtet die Mythen und Zeichen des amerikanischen Traums mit großer Skepsis. Das spricht etwa aus seinem Projekt "We the people", für das er zwischen 2010 und 2012 in Shanghai eine originalgetreue Replik der Freiheitsstatue herstellen ließ. Statt die Konstruktionsteile aber zur Symbolfigur zusammenzufügen, wurden die Fragmente in die ganze Welt verkauft. Von Künstlern wird eigentlich verlangt, dass sie Sinn produzieren. Vo tat hier das Gegenteil – er ließ Miss Liberty gar nicht erst zu sich kommen. Stattdessen legte er den Akzent auf Fertigungsprozesse und Distribution. Ausverkauf des amerikanischen Traums? Wie gesagt: Deutungen sind schwierig.
Drei Readymades in seiner ersten großen US-Schau beziehen sich auf den Vietnamkrieg und wirken wie Katalysatoren des Familienschicksals. Lederlappen, an die Wand gehängt, stammen aus dem Weißen Haus und sind aus dem Stuhl gerissen, in dem mutmaßlich Robert McNamara saß, als US-Verteidigungsminister trieb er die Intervention in Vietnam maßgeblich voran. In Briefen Henry Kissingers aus den 70ern, die Vo auf einer Auktion ersteigerte, dankt Nixons Nationaler Sicherheitsberater einem New Yorker Zeitungskolumnisten für Theatertickets. Leider könne er zurzeit nicht ins Ballett, entschuldigt sich Kissinger in einem Brief, er müsse "über Kambodscha nachdenken". Er war gerade dabei, einen Geheimplan zur massiven Bombardierung des Nachbarlandes von Vietnam zu erarbeiten. Außerdem will Vo drei Kronleuchter aus dem Pariser Hotel ausstellen, in dem 1973 der Vertrag von Paris unterzeichnet wurde. Der darin verhandelte Waffenstillstand hielt nicht lange, der Vietnamkrieg endete erst 1975.
Vo erzählt von individueller Ohnmacht im Mahlwerk der Geschichte. "02.02.1861" ist ein Werktitel und zugleich das Datum eines Briefes mit den Abschiedszeilen des französischen Missionars Théophane Vénard an seinen Vater, bevor der Sohn in Indochina hingerichtet wurde. An die 500 Mal schrieb Vos Vater, der keine lateinischen Lettern lesen kann, dieses Manuskript im Auftrag seines Sohnes ab. Der Vater wurde auch damit beauftragt, das "Aschenputtel"-Märchen der Gebrüder Grimm zu kopieren, auch diese Handschrift taucht im Guggenheim auf. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit der fügsamen Cinderella identifiziert sich der Künstler keineswegs. "Ich fand immer, dass ich und mein Vater wie Cinderellas Schwestern sind", hat Vo anlässlich einer Ausstellung in England 2014 erklärt. Aschenputtels Gegenspielerinnen müssen, um in den goldenen Schuh zu passen, Opfer bringen: die eine eine Ferse, die andere einen Zeh. Danh Vo: "Wer sich in eine Gesellschaft einfügen soll, muss bluten."