Eine senegalesische Idylle: Das Meer rauscht, der Tag geht zu Ende und am Strand tanzt eine Kompanie ohne klassische Ausbildung eine anspruchsvolle Choreografie. Einen Schnitt weiter hört man eine Nähmaschine. In einer Theater-Schneiderei in Deutschland wird ein Kleid genäht. Zwei Szenen, die eine gemeinsame Klammer haben: das Werk von Pina Bausch. Das Ensemble der 2009 verstorbenen Choreografin ist weiterhin aktiv, gibt Gastspiele und führt immer wieder auch in Wuppertal die legendären Stücke auf. Der neue Dokumentarfilm "Dancing Pina" schaut aber nicht zurück. Regisseur Florian Heinzen-Ziob begleitete lieber kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie zwei Ensembles, die nie mit Bausch gearbeitet haben und doch erstmals zwei frühe Arbeiten einstudieren. Mit reichlich Schweiß und der Bereitschaft zur Introspektion.
Da wäre einmal das Semperoper-Ballett, das sich in der Essener Lichtburg und in Dresden an "Iphigenie auf Tauris" abarbeitet, Christoph Willibald Glucks Oper von 1779. Bausch hatte sie 1974 in Wuppertal als Tanzoper uraufgeführt. Und junge Tänzerinnen und Tänzer der École des Sables, einer Akademie für afrikanischen Tanz, die sich in einem Fischerdorf in der Nähe von Dakar Bauschs furiose Inszenierung von Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" aus dem Jahr 1975 vornimmt.
Beide Gruppen bekommen Hilfe von erfahrenen Mitarbeiterinnen Bauschs. Die Rekonstruktion ihrer tänzerischen Handschrift ist nicht ohne Hürden zu haben, denn das zur Verfügung gestellte Wissen soll als Aneignungsmaterial für eine Interpretation mit eigenen Akzenten dienen, seien diese noch so unperfekt.
Den Hochmut einer Ballerina ablegen
Natürlich kostet es die klassisch ausgebildeten Dresdner eine gewaltige Überwindung, ihren Körpern freien Lauf zu lassen und den Hochmut einer Ballerina abzulegen. Es ist, als müsste sie neu laufen lernen, sagt einmal die Solistin Sanguel Le. Und in Senegal fragt man sich, wie Bausch es geschafft hat, ihre Tänzerinnen und Tänzer dazu zu bringen, das Opfer-Thema geradezu unter Selbstaufgabe zu verinnerlichen. Das Einüben von Flatterbewegungen, krabbeln, springen, stampfen und fallen allein kann es nicht gewesen sein.
Der Film dokumentiert den Vermittlungsprozess, an dessen Ende etwas Überraschendes steht, dank einer klugen Montage aufs Eindringlichste. Die Kamera lauert zoomend auf Momente, in denen sich eine andere Perspektive auftut, die alten Tanzschritte die nächsten Generationen zum Experimentieren verleiten und die gelösten Körper aus dem Bildausschnitt schweben. In Interviews berichtet der eine oder die andere auch mal über Zweifel. Wenn etwa die senegalesischen Tänzerinnen fürchten, wegen ihrer Berufswahl in traditionellen Familien diskriminiert zu werden.
"Hier will niemand, dass wir Frauen mit 25 heiraten, Familie haben, wir müssen auf niemanden Rücksicht nehmen, auch nicht auf Konventionen, dürfen uns einfach ausdrücken, und selbst spüren, stolz sein, Frau sein", sagt eine von ihnen. In Dresden sind es die Männer, die schon früh in der Ausbildung Spott erfahren mussten. Allesamt Einzelkämpfer, die in Bauschs Universum zu einem so orchestrierten wie die Abweichung feiernden Ganzen finden. Die "Iphigenie" konnte in Dresden im Dezember 2019 aufgeführt werden. Die École des Sables wollte eigentlich ab März 2020 touren. Die Pandemie kam dazwischen. Kein Grund zum Aufgeben. "Le sacre du printemps" fand trotz Veranstaltungs-Verbots seinen Weg zum Publikum, am Strand.