Was Salvador Dalí zuerst von seiner späteren Frau sieht: Ihre Kehrseite. In einem Flashback des Films "Dalíland“ zurück in die späten 1920er steht Gala halbnackt an einem katalanischen Strand. Der noch junge Künstler und ewige Rückenfetischist erblickt sie durch ein Fenster, schlingt sich ein Tuch um die Stirn, steckt eine Rose hinein und schreitet zum Meer und zur Muse. Es ist wohl Liebe auf den ersten Blick. Die Surrealisten René Magritte und Luis Buñuel werden dann Zeugen einer missglückten Brautwerbung, denn Dalí wirft sich zwar vor der Schönen auf den Boden – nur aufgrund eines hysterischen Lachkrampfs. Gala ist dennoch angetan von dem seltsamen Fremden. Es ist der Anfang einer großen, sehr komplizierten Liebesgeschichte.
Bis auf ein paar Schlenker in die Vergangenheit konzentriert sich der Film auf eine späte Phase des Paars ab Mitte der 1970er-Jahre. John C. Walsh, der das Drehbuch zu "Dalíland“ schrieb, und die Regisseurin Mary Harron ("I Shot Andy Warhol“, "American Psycho") sind selbst ein Ehepaar. Vielleicht einer der Gründe, warum die Szenen einer Ehe zu den Höhepunkten des Films zählen. Außerdem sind Ben Kingsley und Barbara Sukowa in den Hauptrollen zu erleben. Kingsley, von kompakterer Statur als der im Alter hagere Künstler, wirkt als reifer Dalí erstaunlich glaubhaft. Ihm ebenbürtig ist Barbara Sukowa: herrisch und aufbrausend, aber nie ins Unsympathische wegdriftend.
Wir lernen die Dalís in einer Suite des St. Regis Hotel in Manhattan kennen, in ihrem angestammten Winterquartier in den 1970ern. Der Künstler hat seinen kreativen Zenit überschritten. Er malt und zeichnet nicht mehr so viel, sondern feiert lieber pompöse Feste, mit jungen Popstars wie Amanda Lear, Alice Cooper und dem Broadway-"Jesus Christ Superstar“ Jeff Fenholt, auf den Gala ein Auge geworfen hat.
"Der Rubel muss rollen. Dalí muss malen."
Parties? Aktionskunst, könnte man heute sagen. Dalí hat diesem Feld sicher den Weg bereitet. Sein New Yorker Galerist ist allerdings recht unzufrieden mit dem Output der Künstlerlegende. Er schickt den abgebrochenen Kunststudenten James Linton (Christopher Briney) in die Manege des Malers. Dalí findet Gefallen an dem jungen Mann, nennt ihn San Sebastian (nach Gustave Moreaus Bildnis des mythischen pfeildurchbohrten Jünglings) und kührt James zum persönlichen Assistenten.
Eigentlich ist es eine gute Idee, eine fiktive Figur in einer unübersichtliche (weil reale) Gemengelage hineinzustecken. Wir sehen die Dalís und ihren Bekanntenkreis mit James’ Augen. Leider ist Briney darstellerisch viel zu blass und seine Rolle zu uninteressant. Seine ersten Schritte in der Kunstwelt, sein Flirt mit dem Partygirl Ginesta (Suki Waterhouse) lenken mitunter arg von der Hauptattraktion ab: dem hohen Paar. Verständlicherweise brauchte Harron aber den unverstellten Blick eines Adepten, um die Schattenseiten des Künstlerkults anzudeuten.
Immerhin, aber von der Kritik am Betrieb wünschte man sich etwas mehr. So entdeckt James, dass einer unbedarften Kundschaft billige Drucke als echte Dalí-Grafiken verkauft werden. Dem Urheber ist das alles schon ein wenig egal. Und die russischstämmige Gala, die sich gerne junge Männer angelt und diese als freundschaftliche Gegenleistung finanziell unterstützt, drängt auf künstlerische Produktivität: Der Rubel muss rollen. Dalí muss malen. So kommt es zu einer Hotelzimmer-Aktion, in der nackte Frauen, mit Farbe bemalt, ihre Hinterteile auf große Papierbahnen drücken. War das nicht eine Yves-Klein-Idee? Egal. Hauptsache, die Gelddruckmaschine läuft.
Begleitgedudel hat der große Surrealist nun wirklich nicht verdient
Die Exzesse sind eindrucksvoll eingefangen (Kamera: Marcel Zyskind). Koks und Kaviar. Sexueller Hunger und Hummer satt. Mittendrin ein zwar blickgieriger, aber hinsichtlich erotischer Begierden eher ermüdeter Starkünstler. Am meisten genieße er die morgendliche Erkenntnis, nicht vom Tod ereilt worden zu sein, sagt Dalí einmal. Im letzten Akt folgt James dem aus ihrem US-Paradies vertriebenen Paar an die Costa Brava, in Salvador Dalís katalanische Heimat.
Die Dalís sind noch älter, gebrechlicher, der Ehezwist hat sich verstärkt. Leider hat man nach spätestens zwei Filmdritteln allzusehr das Interesse an der Geschichte verloren, trotz Sukowas Ausdruckskunst und Kingsleys ruhiger Intensität. Einer der letzten Einstellungen des Künstlers zeigt Dalí auf einem steilen Felsen. Seine Augen sind geschlossen. Er dirigiert den Wind. Ausgerechnet jetzt erklingt Filmmusik. Salvador Dalís Inspiration war nicht immer auf der Höhe seines Ruhms, kann schon sein. Aber das Begleitgedudel des Filmkomponisten Edmund Butt hat der große Surrealist nun wirklich nicht verdient.