1866 veröffentliche John Timbs sein enzyklopädisches Buch "English Eccentrics and Eccentricities", für das es kaum eine annehmbare Übersetzung gibt, so außerirdisch klingt "Exzentrizitäten" im Deutschen. Sie sind, was das Vereinigte Königreich seit Jahrhunderten zusammenschweißt. Nicht quer durch alle Klassen, sondern eher in Top-to-bottom-Manier fein säuberlich von oben nach unten wirkend.
Exzentrik gehört so fest zum Vereinigten Königreich wie der Wunsch, jene angemessen zu dokumentieren. Man könnte fast meinen, die britischen Exzentriker waren immer schon sendungsbewusst – im Vertrauen darauf, dass über ihre Eskapaden und Abenteuer wenn noch nicht in Wort und Bild berichtet, dann zumindest erzählt werden würde.
Wie über die Aktivitäten des "Dangerous Sports Club", einer Gruppe upper class kids aus Oxford und London, die man heute wohl als Vorgänger von "Jackass" bezeichnen müsste. Sie dachten sich allerlei Fantasiesportarten aus, die mal gefährlich, mal albern, oft beides zugleich waren: 1983 schlitterten seine Mitglieder David Kirke, Tim Hunt, Nicky Slade and Lord Xan Rufus Isaacs auf einem gedeckten Dinnertisch mitsamt Stuhl und Kufen einen Abhang in St. Moritz herunter. Der Schampus im Kühler wird lässig in der Hand gehalten.
Clubs, Kostümbälle und Geheimpartys
Festgehalten hat ihren wintersportlichen Wettkampf Dafydd Jones, seinerzeit Fotograf für den "Tatler". Der Goldstandard des britischen High-Society-Journalismus war gerade ein bisschen in die Jahre gekommen, als Tina Brown – die später beim "New Yorker" anheuerte – als Chefredakteurin übernahm. Sie war es auch, die Jones zum Blatt brachte: ein junger, unauffälliger Mann, ohne jede Erfahrung mit der britischen Upper Class, aber im Gegensatz zu vielen Berufskollegen auch ohne privates Interesse, jemals in deren Clubs, Kostümbälle und Geheimpartys aufgenommen zu werden.
So durfte er hier in den nächsten Jahren ausgiebig fotografieren: wie Margaret Thatcher 1984 zum Winter Ball im Grosvenor House im Regen aus dem Taxi steigt und dabei ihr Kleid festhalten muss, um keinen Marilyn-Monroe-Moment zu kreieren. Vor allem aber viele junge und ebenso viele hochbetagte Menschen in ziemlich gut sitzenden Kleidern und Anzügen, die entweder sehr viel trinken oder sehr betrunken auf irgendeinem Chesterfieldsofa liegen.
Reiche Männer beim Crossdressing, Bäder in Torten und Gartenteichen. Flirts, Tänze und womöglich geistreiche Gespräche. Die Luft ist oft champagnergeschwängert in Daffyd Jones' Schwarz-Weiß-Bildern, und alle scheinen ständig in Bewegung.
Zeitzeugnis vom Auftakt einer Dekade
Eine Auswahl der Fotografien ist jetzt unter einem vielbedeutenden Titel als Bildband erschienen, der vielleicht nur zufällig an Martin Parrs klassentechnisch diametral entgegengesetzte Fotoserie aus demselben Jahrzehnt erinnert: "England: The Last Hurrah". Zeitzeugnis vom Auftakt einer Dekade, in der die Verteilungskämpfe im Königsreich erbitterter geführt wurden, derweil hemmungsloser Hedonismus den Erdball erobern würde, und vielleicht der nahende Anfang vom Ende jener Selbstverständlichkeit, mit der die regierende Klasse ihr Standing lässig vor sich hertragen konnte.
Sogar, wenn heute all dies genau so ablaufen würde, es könnte kaum denselben bildnerischen und damit einhergehend wohl auch erzählerischen Sog entwickeln. Mehr Lametta war definitiv, im United Kingdom ohnehin.