Eine junge Frau mit kurzen Haaren posiert mit Hemd, weiter Hose, Schiebermütze und Zigarette im Mund. Die Hände in den Hosentaschen, blickt sie herausfordernd und schelmisch vorbei an der Kamera. Die Person auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist Marie Høeg. 40 Jahre lang führte sie mit ihrer Geschäfts- und Lebenspartnerin Bolette Berg erst ein Fotostudio, in dem auch diese Aufnahme entstand, und später einen Kunstbuchverlag.
Das Porträt ist eine von 60 zwischen 1895 bis 1903 entstandenen Crossdressing-Fotografien. Damals begannen die 23-jährige Berg und die 29-jährige Høeg gerade ihre Zusammenarbeit mit einem Studio in Horten, einem norwegischen Hafenstädtchen 100 Kilometer südlich von Oslo. Nach Feierabend nutzten sie dort regelmäßig ihr Fotostudio mit der Fototapete und den Requisiten, um zu zweit oder mit Freundinnen und Familienmitgliedern private Fotosessions abzuhalten. Sie klebten sich Schnurrbärte auf, schlüpften erst in Hosenanzüge, und dann in wallende Kleider oder hüpften in langen Wollunterhosen mit Degen vor der Kamera herum. Das Medium der Fotografie diente ihnen dabei zur humorvollen und spielerischen Erkundung der eigenen Geschlechtsidentität.
Crossdressing und Genderplays sind für unseren heutigen Blick nichts Neues. Ende des 19. Jahrhunderts aber, als Frauen in Norwegen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten, und erst seit wenigen Jahren allein Handel und Gewerbe ausüben durften, war das Spiel mit Genderstereotypen alles andere als üblich: "Es gibt zwar einzelne ähnliche Aufnahmen – meist von Männern als Crossdressern, – aber als für sich stehendes Werk von Frauen ist es in dieser Form einzigartig", kommentiert Katharina Mouratidi, die künstlerische Leiterin des F3 – freiraum für Fotografie, wo die Ausstellung "Like a Whirlwind – Die Genderplays von Marie Høeg & Bolette Berg" bis zum 25. August das erste Mal in Deutschland digitale Reproduktionen dieser einmaligen Aufnahmen zeigt.
Ein kollektiv geschaffenes Lebenswerk
Einen Einblick in diese queere Fototradition, auf die Mouratidi anspielt, und die bis in das Jahr 1860 zurückreicht, konnte man zuletzt unter dem Titel "Queerness in Photography" im C/O Berlin bekommen. Dort wurde auch ein großer Teil der Sammlung des französischen Filmemachers Sébastien Lifshitz gezeigt, der über mehrere Jahrzehnte queere Amateurfotografien zusammentrug – viele aber eben, wie Mouratidi betont, von Männern. Was die Fotografien von Berg und Høeg besonders macht, ist nicht nur, dass sie als Frauen mit Crossdressing experimentierten, sondern auch die Dauer ihrer über 40 Jahre währenden Zusammenarbeit, aus der ein kollektiv geschaffenes Lebenswerk hervorgegangen ist.
Gefunden wurden die Glasnegative ihrer Genderplay-Aufnahmen erst in den 1970er Jahren, als Stücke aus ihrem Nachlass versteigert wurden. Der Sammler Leif Preus kaufte die Boxen, von denen die meisten Landschaftsaufnahmen und Reproduktionen von Kunstwerken enthielten. Der Inhalt von zwei dieser Boxen aber war anders. Auf ihnen stand in großen Schreibschriftlettern: "privat". Verrückt, sich vorzustellen, dass über 70 Jahre niemand in diese Boxen hineingeschaut hat.
Jedenfalls fand man darin dann schließlich die ersten der zwischen 1895 und 1903 entstandenen Crossdressing-Aufnahmen von Berg und Høeg. Seitdem verwaltet das norwegische Staatsmuseum gemeinsam mit dem Preus Museum ihren Nachlass. Erst 1996 stellte das Preus Museum ihre Fotografien erstmals öffentlich aus. Letztes Jahr tauchte zufällig im Konvolut eines anderen Ankaufs eine weitere als "privat" markierte Box auf. Eine dieser verheißungsvollen Kisten kann man nun auch in einer Vitrine in der Ausstellung sehen.
Was über 100 Jahre alt ist, wirkt zeitgenössisch
Da diese Box nur die Glasnegative enthielt, ist sie natürlich recht klein, aber die Schau zeigt, was für ein großer Schatz über die vielen Jahre darin versteckt war. Da es dazu keine überlieferten Vorgaben gab, entschied man sich im Dialog mit dem Preus Museum, die Negative großformatig mit Rahmen und ohne Passepartout zu reproduzieren, erzählt Mouratidi. Die Präsentation wirkt damit sehr zeitgenössisch, und man muss sich immer wieder selbst daran erinnern, dass diese Aufnahmen bereits vor mehr als hundert Jahren entstanden sind.
Bei diesem Erinnern hilft auch, dass die Kratzer und Risse, die die Glasnegative über die Jahre der Lagerung abbekommen haben, nicht retuschiert, sondern sichtbar gelassen worden sind. In einer Vitrine sowie in einem Teil der Ausstellung sind außerdem Arbeitsbeispiele von Aufträgen zu sehen, mit denen Berg und Høeg ihren Lebensunterhalt bestritten: Neben Landschafts- und Naturaufnahmen, die die beiden später auch über ihren Kunstbuchverlag selbst verkauften, sind das klassische Porträts von Einzelpersonen oder Familien, die sich Ende des 19. Jahrhunderts auch weniger wohlhabende Kundinnen und Kunden zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder Kommunionen leisten konnten.
Da Horten, der Ort, in dem sie ihr Fotostudio bis 1903 betrieben, außerdem Stützpunkt der norwegischen Marine war, bekamen sie regelmäßig Aufträge, Offiziere zu fotografieren. In der Ausstellung außerdem zu bestaunen ist ein beispielhaftes Exemplar einer Fotokamera aus der Zeit. Das sperrig und schwer wirkende Holzteil steht auf einem Stativ und verfügt über einen Balgen – eine flexible und lichtdichte Verbindung zwischen Objektiv und Kameragehäuse.
Spielerisch bei maximaler Statik
Zusätzlich musste sich die fotografierende Person während der Aufnahme – die Belichtungszeit betrug damals circa eine Minute und oft halfen Stützen den Porträtierten, um Posen halten zu können – ein abdunkelndes Tuch über den Kopf halten. Vergegenwärtigt man sich diese technisch bedingte Arbeitssituation, sticht das Spielerische und Humorvolle der Fotografien noch deutlicher ins Auge. Gerade im Vergleich zu den oft starren, gesellschaftlich normierten Porträts, die zu dieser Zeit Standard waren, wirken die privaten Aufnahmen der beiden Fotografinnen intim und nahbar.
Auf einem Foto krabbelt Høeg lachend in einem pyjamaartigen Wollkleid auf allen Vieren, vielleicht ihren kleinen Hund, der auch oft auf den Fotos zu sehen ist, nachahmend. Das Haustier, das sonst als Part der perfekten heteronormativen Familie gilt, wirkt in den Fotos der beiden wie ein gleichgesinnter Freund. Auf einer anderen Serie sieht man Gina, die Schwester von Berg, die als Schneiderin arbeitete, Spaß mit einer Rüschengardine treiben, die sie sich als Kleidungsstück in unterschiedlichen Variationen um den nackten Körper schlingt.
Entspannt mit ihrer eigenen Nacktheit, spielt sie mit dem Vorhang nicht nur als Verweis auf das bürgerliche Interieur, sondern nimmt auch klassische Kleidernormen aufs Korn. Die Ausstellung zeigt, dass die beiden mit ihrem Studio nach Feierabend eine Art "Safe Space" schaffen konnten, in dem sie sich selbst nicht allzu ernst nehmen mussten, und sich die Requisiten klassischer Repräsentationen aneignen und umdeuten konnten.
Wichtige Protagonistinnen im feministischen Kampf
Auf den meisten der gezeigten Porträts ist nur eine der beiden Fotografinnen, nämlich Høeg zu sehen. Sie war der titelgebende Wirbelwind, energiegeladen und extrovertiert, während Berg den eher ruhigeren Part des Duos abgab, und sich scheinbar hinter der Kamera wohler gefühlt haben muss. Von ihr gibt es nur ein einziges Soloporträt in der Schau, auf dem sie mit Schnurrbart, Brille, dickem Fell und Offiziersmütze zu sehen ist.
Kennengelernt haben sich die beiden in den 1880er Jahren in Finnland – wie genau, ist nicht überliefert. Das über 50 Jahre währende gemeinsame Leben und Lieben von Berg und Høeg ist kaum schriftlich dokumentiert. Wie offen sie ihre lesbische Beziehung auslebten, ist nicht klar. Personen des öffentlichen Lebens waren sie aber in jedem Fall, denn die beiden Fotografinnen machten sich stark für feministische Themen. Sie kämpften nicht nur aktiv für die Einführung des Frauenwahlrechts, Høeg war auch an der Gründung mehrerer von Frauen geleiteter Organisationen beteiligt.
So zum Beispiel 1896 die der Horten Social Discussion Society, eine der ersten Diskussionsgesellschaften für Frauen in Norwegen, und die einzige, die bis heute existiert. Während sie ihren Kunstbuchverlag führten, hatten sie außerdem eine Abmachung mit dem norwegischen Malerinnenverbund, regelmäßig eine bestimmte Anzahl an Reproduktionen der Arbeiten von Frauen zu drucken. 1914 (ein Jahr nach der erfolgreichen Einführung des Frauenwahlrechts in Norwegen) gaben sie die Publikation "Norske Kvinder" (Norwegens Frauen) heraus, ein Standardwerk über die Geschichte mit weiblichen Protagonistinnen.
Der Einblick in das Schaffen dieses Paars, das an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert bereits wusste, wie man nicht nur gemeinsam Karriere macht, sondern sich lustvoll Räume und Repräsentationsformen aneignet und umdeutet, macht nicht nur großen Spaß, sondern bildet auch einen wichtigen Beitrag zur kunsthistorischen Anerkennung des queeren Blicks. Und nicht zuletzt zeigt die Ausstellung, wie künstlerisches Schaffen und politisches Engagement – wenn auch der queere Part ihres Schaffens zu ihren Lebzeiten nicht öffentlich wurde – einander beflügeln können.