Absagen wegen Coronavirus

Kultur macht man nicht allein

Abgesagte Messen, geschlossene Museen und Theater: Kunst und Kultur in Zeiten von Covid-19 sind eine einsame Angelegenheit. Was uns verloren geht, wenn wir zu Hause bleiben

Die Liste der Kunstevents, die weltweit wegen des Coronavirus abgesagt wurden, wird immer länger. In Frankreich sind alle Veranstaltungen mit über 5.000 Teilnehmern verboten. Der Louvre in Paris war drei Tage lang geschlossen, bevor das Museum am Mittwoch wieder öffnete. Auch Museen in Japan und Südkorea haben zu. In Norditalien bleiben Theater und Kinos geschlossen, während die Museen nach und nach wieder öffnen dürfen – mit der Auflage, dass die Besucher einen Meter Abstand voneinander wahren sollen. Die Architektur-Biennale ist vom Mai in den August verschoben.

Auch in der Schweiz spielen die meisten Theater nicht mehr, alle Events mit über 1000 Teilnehmern sind verboten. Blockbuster kann man jetzt nicht gebrauchen - das MASI Lugano beispielsweise verschiebt die Ausstellung der Sammlung Bührle mit Werken von Van Gogh, Monet Cézanne von Mitte März auf Mai.

Hart trifft es die Messen. Die gerade stattfindende Armory Show in New York geht noch über die Bühne, aber nach der Absage des Salone del Mobile in Mailand und jetzt auch der Leipziger Buchmesse zittern die Veranstalter um die Art Cologne und die Art Brussels Ende April. Die Schweizer Uhrenmesse Baselworld, die im Mai stattfinden sollte, ist bereits jetzt auf Januar 2021 verschoben – ein zweiter Schlag für eh schon angeschlagene Schweizer Messegesellschaft MCH Group nach der Absage der Art Basel / Hong Kong. Es sollte ein großes Feierjahr werden für die Art Basel, die in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum hat. Falls die Muttermesse in Basel im Juni auch wankt, wäre es eher ein Schreckensjahr. Was all das für den Kunstmarkt bedeutet, wird sich erst erweisen – vor allem kleine und mittlere Galerien können durch abgesagte Messen leicht ins Schlingern geraten.

Es sind eben doch die Körper, die sich versammeln

Doch jenseits der ökonomischen Probleme zeigt uns die Corona-Krise auch etwas Fundamentales über die Rolle, die Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft spielt. Bei all der Rede über Digitalisierung hätte man in den letzten Jahren fast das Gefühl bekommen können, Kultur könne auch einfach in dem kleinen Raum zwischen einem Smartphone und seinem Besitzer stattfinden. Haben es sich die individualisierten Kulturkonsumenten nicht in der durch Kopfhörer und verschiedene elektronische Interfaces konstituierten Blase ziemlich gemütlich gemacht? Hat Netflix nicht längst den Kinobesuch und Instagram die Ausstellung ersetzt?

Doch so einfach ist es nicht. Wie traurig, wenn die Theater nicht spielen wie jetzt in Basel. Was für ein schlechter Ersatz ist doch eine gestreamte Diskussion, wie bei der letzten Ausstellungseröffnung des Castello di Rivoli in Turin, für einen Event mit Publikum. Wie schade, ein Jahr ohne die Leipziger Buchmesse. Wie anders erfährt sich ein Bild allein zu Hause auf dem Bildschirm als in Gesellschaft anderer Menschen, die ebenfalls ihre Präsenz und ihre Emotionen beitragen.

Es sind eben doch die Körper, die sich versammeln, um ein Publikum zu bilden. Unter den durchaus bürgerlichen Konventionen des Theater- und Museumsgangs stecken die  Wurzeln eines archaischen Rituals, das der Menschheitsgeschichte tief eingeschrieben ist. Jede Erzählung, jeder Mythos, jede Kultur wird nur in der Gemeinschaft konstituiert, und die war eben bis gestern eine Gemeinschaft der physisch anwesenden Leiber.

Zusammenspiel vieler Geister und Leiber

Auch unserer Vorstellung von Demokratie liegt dieses Publikum aus versammelten Körpern immer noch stärker zu Grunde, als man es sich im massenmedialen Alltag vielleicht klar macht. Jürgen Habermas' frühe Studie zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, bald sechs Jahrzehnte alt, sah im (Theater-)Publikum den Prototyp der bürgerlichen Öffentlichkeit, als Bedingung für die Entstehung von Demokratie. Heute haben sich die Debatten von den realen Räumen gelöst und in den virtuellen Raum übertragen. Doch wenn es zählt, dann gehen die Menschen immer noch zu Demonstrationen auf die Straße, Seite an Seite. Auch in den komplizierten, massenmedial vermittelten Prozessen, in denen unsere heutigen Gemeinschaften ihre Regeln aushandeln, haben Körper ihren Platz.

Gesundheitspolitisch mag es richtig sein, die großen Kulturveranstaltungen abzusagen. Doch vielleicht erinnert uns die Corona-Krise auch daran, warum es uns so wichtig ist, uns zu versammeln. Kultur macht man nicht allein, sie entsteht gemeinsam, im Zusammenspiel vieler Geister und Körper. Und das wollen wir spüren.