Bilder von kranken Politikern

Quarantäne-Videos: Wie die Corona-Pandemie ein neues Genre hervorbringt

Porträts von Herrschern sollen eigentlich Macht vermitteln. Die Corona-Pandemie hat nun eine neue Bildwelt eröffnet: der kranke Politiker in der Isolation. Zeit für eine Analyse

"Hallo, hier ist Jens Spahn", sagt Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister (CDU) trägt dunkle Strickjacke mit Waffelstruktur und weißes Hemd mit offenem Kragenknopf. Spahn sitzt vor einer weißen Wand, von rechts ragt die Hälfte eines imposanten Blumenbouquets in Creme und Violett ins Bild. Allerdings ist die Blütenpracht so weit an den Bildrand gedrängt (und nach Kompositionskritrien unglücklich angeschnitten), dass trotz der edlen Dekoration der Eindruck von Reduziertheit und krankenhaushafter Sterilität überwiegt.

Das Video, das der an Covid-19 erkrankte Jens Spahn vor einigen Tagen bei Instagram veröffentlicht hat, soll einen Eindruck vom Gesundheitszustand des Politikers vermitteln. Er nennt es ein "persönliches Update von mir für euch". Es gehe ihm "den Umständen entsprechend", sagt er – obwohl sich inzwischen herumgesprochen haben sollte, dass die Umstände einer Corona-Infektion sehr unterschiedlich sein können. Die Erkältungssymptome (ein Wort, das inzwischen meist mit einem unheilvollen Unterton augesprochen wird) seien bisher nicht schlimmer geworden. Doch das bewusst amateurhaft und Home-Office-haft gehaltene Video des Gesundheitsministers ist mehr als nur eine individuelles Zustands-Beschreibung. Obwohl die Krankheit bei jedem Menschen anders verläuft, hat die Coronavirus-Pandemie ein eigenes mediales Genre hervorgebracht: das Quarantäne-Video erkrankter Politiker.


Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der britische Premierminister Boris Johnson, US-Präsident Donald Trump: Sie alle waren wie Jens Spahn mit Corona infiziert, und sie alle haben sich aus ihrer Isolation an die Bevölkerung gewandt. Durch die Bilder von Herrschenden als kranke Männer entsteht ein hybrider Raum zwischen politischer Öffentlichkeit und privatem Rückzug. Bei Trump, Johnson und Spahn ähnelt sich sogar die Ästhetik. Man trägt geöffnetes helles Hemd als ausbalanciertes Modestatement zwischen Machtuniform und casual wear. Man sieht ein wenig angegriffen aus – Donald Trump verzichtete bei seiner Botschaft aus dem Walter-Reed-Militärkrankenhaus offenbar sogar auf seine sonst allgegenwärtige Gesichtsbräunungscreme –, aber nicht zu angegriffen, schließlich will man handlungsfähig erscheinen. Nur Jair Bolsonaro leistete sich keinerlei Schwäche uns zeigte sich während seiner Quarantäne auf seinem Amtssitz in Brasilia offensiv vital beim Emu-Füttern (und wurde prompt von einem der Tiere gebissen).

Krankheit und Macht wollten noch nie so recht zusammenpassen. Ein schwacher Körper steht im Gegensatz zu starker Führung und suggeriert Verletzlichkeit. Und obwohl Politikerinnen und Politiker keineswegs gesünder sind als alle andere Menschen (ihr stressgeprägter Lebensstil ist dem Wohlbefinden sogar eher abträglich), findet Krankheit meist im verborgenen statt. Auch das klassische Herrscherporträt in der Kunst sieht Zeichen der Schwäche nicht vor. Selbst bei offensichtlich körperlich angeschlagenen Staatsoberhäuptern wie US-Präsident John F. Kennedy oder Fidel Castro wurde alles dafür getan, die potente Fassade aufrecht zu erhalten. Immer steht das öffentliche Interesse am Gesundheitszustand der Regierenden mit deren Recht auf Privatsphäre im Widerstreit. Als halb Deutschland 2019 Angela Merkel dazu drängte, Rechenschaft zu ihren Zitteranfällen bei offiziellen Anlässen abzulegen, schwieg sie beharrlich. Ein Home Video vom Merkelschen Sofa, in dem sie ein "persönliches Update von mir an euch" gibt, ist schwer vorstellbar.  

Insofern sind die Corona-Videos von Politikern ein Riss in der unverwüstlichen Fassade. Doch das ist gar nicht unbedingt das Bemerkenswerte. Auch vorher gab es Fotos von den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson oder Ronald Reagan im Krankenhaus oder "Survivor"-Geschichten von Regierenden, beispielsweise nach einer überstandenen Krebserkrankung. Das Spezifische an den aktuellen Bildern von infizierten Herrschern ist, dass die Erkrankung selbst ein Politikum ist und der Umgang mit dem eigenen Gesundheitszustand zum allgemeinen Umgang mit der Pandemie gehört. Um mit Susan Sontag zu sprechen, ist die Krankheit hier nicht nur eine Metapher für die Verletzlichkeit des politischen Personals, sondern die dazugehörigen Bilder sind auch politische Werkzeuge.  

Der Eingesperrte mit der "Kleinen Grippe"

So gibt sich Jens Spahn in seinem Quarantäne-Video betont demütig und dankbar gegenüber dem deutschen Gesundheitssystem. Er mahnt dazu, das Virus ernst zu nehmen und sich entsprechend vorsichtig zu verhalten – so, wie er es auch als gesunder Gesundheitsminister getan hat. Sein eigener Körper wird dabei zum Zeugen für die Angemessenheit von politischen Maßnahmen.

Jair Bolsonaro und Donald Trump, die die Covid-19 schon vor der eigenen Diagnose herunterspielten, benutzten ihre eigenen Infektionen mit relativ milden Verläufen dagegen als Argument für ihren eher laxen Umgang mit der Pandemie. Bolsonaro inszenierte sich in der Quarantäne als widerrechtlich Eingesperrter mit "kleiner Grippe", Donald Trump machte seine Blitz-Genesung zur messianischen Auferstehungs-Show. "I'll be back", predigte er aus dem Meeting-Raum des Militärkrankenhauses. Alles sei wunderbar gelaufen, werde aber jetzt noch besser als vorher. Mit apokalyptisch vermummtem Fahrer ließ er sich für seine Fans ums Hospital chauffieren und beim vermeintlichen Arbeiten in der Klinik fotografieren. Krawattenlos, aber unverzagt – die Geschichte der Krankheit geht bei Trump nahtlos in eine Geschichte der Rekonvaleszenz über. Die US-Bevölkerung solle ihr Leben nicht von der Angst vor Covid bestimmen lassen, sagte er sofort nach seiner Entlassung. Und seine eigene Erfahrung überträgt er trotz seiner priveligierten Behandlung und 227.000 Corona-Toten in den USA auf ein ganzes Land.


Bei Boris Johnson ist dieses Narrativ nicht aufgegangen. Auch er hatte die Pandemie-Angst am Anfang für übertrieben gehalten und gab sich in seinem ersten Video aus der Quarantäne am 4. April optimistisch und voller Tatendrang. Gleichzeitig ist der britische Premierminister auf den Aufnahmen hörbar kurzatmig, sein Gesich ist gerötet, die Stirn schweißfeucht. Er müsse nur abwarten, bis seine erhöhte Temperatur heruntergehe, sagte Johnson bei Instagram TV. Nur einige Tage später bangten die Ärzte auf der Intensivstation um sein Leben - und das Staatsoberhaupt gab sich nach seiner Genesung geläutert, verschärfte die Anti-Corona-Maßnahmen und bezeichnete das Virus als "größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg."

Insofern sind die Video- und Fotobotschaften der erkrankten Politiker eine spezielle Art der Körperpolitik, bei der die leibliche Verfasstheit der Mächtigen ihre Haltung legitimieren sollen. Damit sind sind sie erstaunlich nah an Performance-Kunst, bei der Körper Bedeutungsträger sind.

Natürlich erkranken nicht nur männliche Politiker an Covid-19, aber vergleichbar prägnante öffentliche Inszenierungen gibt es von Frauen bisher nicht. So sind es derzeit die Bilder von kranken Männern, die die öffentliche Wahrnehmung der Pandemie prägen.

Das Corona-Quarantäne-Video will Menschlichkeit mit Machterhalt verbinden und benutzt Verletzlichkeit als politische Strategie. Trotzdem entscheidet auch hier die Haltung der Betrachter darüber, wie die Corona-kranken Herrscher rezipiert werden. Das hat sich besonders bei der Covid-Diagnose Donald Trumps gezeigt, die entlang von Parteilinien polarisierte. Man kann auf die Bilder der angekratzten Regenten mit Mitgefühl oder Häme reagieren – aber kaum mit Gleichgültigkeit. Einerseits werden Politiker durch die Krankheit menschlicher, andererseits wird auch deutlich, dass ihre Erkrankung wichtiger ist als die "normaler" Menschen und dass eben doch nicht alle vor dem Virus gleich sind. Die Krankheitsvideos und -fotos sind also mehr als historische Dokumente aus dem Jahr der Pandemie. Sie sind auch eine interessante Wendung in der Geschichte des Herrscherporträts.