Ausstellungen feiern das Sofortbild

Comeback der Polaroids

Das Polaroid ist wieder da, in Museen und Galerien. Beim Betrachten der Ausstellungen zum Sofortbild drängt sich ein Verdacht auf: Je veralteter die Technik, desto glaubwürdiger das Bild. Was geht verloren beim Sprung von analoger zu digitaler Fotografie?

Solange die Wirklichkeit als einigermaßen gesicherte Sache galt, durfte, ja musste die Kunst etwas anderes sein als nur Abbild. Die Fotografie hat ihre größte Fähigkeit deshalb lange verleugnen müssen: um 1900 inszenierte man Bilder, die wie gemalt aussahen – nur so konnte man in Ausstellungen kommen. Ab 1990 sahen (gerade die deutschen) Lichtbilder dann wieder wie Gemälde aus – nur so konnte man in den Kunstmarkt kommen.

Das Komponierte, die glatten Oberfläche und sublimen Formate sind heute nicht aus der Fotografie verschwunden, die Digitalisierung hat das Technisch-Erhabene vielmehr zur Norm gemacht. Doch es gibt ein neues Interesse am Nicht-Kunstvollen und an der Schnappschussästhetik. Die Polaroid-Fotografie boomt, denn sie stillt unseren Hunger nach Authentizität und Wirklichkeit, die uns immer mehr aus den Händen zu gleiten scheinen. Gern dürfen es auch ein paar Kratzer und vergilbte Farben sein, so wissen wir wenigstens was war, wo wir schon nicht wissen, was ist.

Mit dieser Entwicklung war nicht unbedingt zu rechnen. Als das Unternehmen Polaroid 2008 das Ende ihrer Filmproduktion bekannt gab, sahen viele den Todesstoß der analogen Fotografie gekommen. Bereits 2003 verkauften sich erstmals mehr Digitalkameras als analoge Apparate, 2007 waren weltweit 91 Prozent aller verkauften Fotokameras digital. Professionelle Entwicklungslabore mussten schließen oder stellten auf die Entwicklung von digitalen Fotos um.

Neue Aufmerksamkeit für das Sofortbild
Drei Jahre später hat die in Wien ansässige Firma Impossible nicht nur die Restbestände von Polaroid aufgekauft, man entwickelt – auch mit Hilfe ehemaliger Polaroid-Angestellter – fleißig neue Sofortfilme. Die Nachfrage ist groß. So groß, dass mittlerweile auch der erste Buntfilm auf dem Markt ist.

Auch in den Museen und Galerien gibt es eine neue Aufmerksamkeit für das Sofortbild. Die C/O Galerie in Berlin stellte dieses Frühjahr Polaroids von Robert Mapplethorpe und aktuell Polaroids von Sibylle Bergemann aus, die Galerie Johnen zeigte zum Gallery Weekend in Berlin Sofortbilder von Attila Lukacs. In der Berliner Galerie Exposure Twelve läuft gerade "Leere Stunden, volle Zeit (Drei Serien Polaroids)" mit Arbeiten von Arno Fischer, Nicole Woischwill und Olle Fischer. Das Wiener Fotomuseum WestLicht präsentiert bis zum 21. August Jahres die „Polaroid Collection“, und was Helmut Newton mit der Sofortbildkamera anzufangen wusste, zeigt aktuell das Berliner Museum für Fotografie.

Die Künstlerin Stefanie Schneider, die durch ihre Polaroidfotos und Filme („29 Palms, CA“ „Till death do us part“) bekannt geworden ist, arbeitet bei ihrer neuen Produktion erstmalig mit Impossibles neuem Farbfilm. Nach anfänglichen Problemen ist sie mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. „Ich habe nie wirklich digitale Fotos gemacht“, sagt sie. „Die digitale Welt ist mir zu künstlich und die Menge der digitalen Daten ist unglaublich. Alles wird geknipst, ohne dass der Moment gelebt, verstanden, reflektiert oder ausgesucht wird.“

„Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten“
Schneider hat ihre Bildsprache – und ihren Markt – gefunden, und doch ist sie eine Ausnahme. „Mittlerweile haben alle großen Künstler auf digital umgestellt", sagt Inka Graeve-Ingelmann, Leiterin der neu gegründeten Sammlung für Fotografie und Neue Medien an der Pinakothek der Moderne in München. „Fotografen wie Wolfgang Tillmans oder Zoe Leonard haben noch lange versucht, am Analogen festzuhalten, aber der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Die Kameras werden besser und die Unterschiede kleiner. Die digitale Postproduction erleichtert die Arbeitsvorgänge enorm. Aber die digitale Fotografie wird die Fotografie grundlegend verändern. Die Frage, was aus dem Dokumentarischen wird, ist hier die eigentlich spannende Frage.“

Die analoge Fotografie wird zur Nischenkultur, aber die hält sich hartnäckig. Für den Künstler und Neurologen Anton Burdakov spielt hierbei auch die Empathie eine große Rolle: „Es wird richtig viel Geld für alte oder schöne Kameras gezahlt. Die bedeuten Sammlern etwas. Ich habe noch nie davon gehört, dass jemand digitale Kameras sammelt. “ Bei der Gegenüberstellung der beiden Medien ist die Frage nach der Perfektion für Burdakov entscheidend. „Das Ziel einer guten Digitalkamera ist Perfektion. Menschen, die digitale Kameras entwerfen, versuchen das Korn mehr und mehr zu reduzieren und ein immer hochaufgelöstes Bild zu bekommen. Und genau dieses Korn ist in der Ästhetik der analogen Fotografie ein ganz großer Teil.“

Die Digitalisierung ermöglicht Konservierung
Was also geht durch den Verlust des Korns verloren? Die Perfektion? Die Wahrhaftigkeit? Oder handelt es sich beim Boom der Sofortbildkameras um Nostalgie? Sicher ist: Wer im Digitalen nur Manipulierbarkeit und im Analogen noch gutes altes Handwerk und Authentizität sieht, macht es sich zu leicht, und die Digitalisierung ist schon deshalb zu begrüßen, weil sie die Konservierung von Foto-Arbeiten aus den 60er- oder 70er Jahren ermöglicht. Vom Korn zum Pixel ist es eben manchmal doch gar nicht so weit.


"Polaroids. Leere Stunden volle Zeit" Arno Fischer, Nicole Woischwill und Olle Fischer, Galerie Exposure Twelve, Berlin, bis 7. August

"Polaroid (Im)possible", Westlicht, Wien, bis 21. August

"Polaroids" Sibylle Bergemann, c/o Berlin, bis 4. September

"Polaroids" Helmut Newton, Helmut Newton Stiftung Museum für Fotografie, Berlin, bis 20. November