Auf Clubhouse wird gefeiert, während ich tippe. Fewocious weint. Vor Freude. Der 18-jährige Künstler namens Victor Langlois aus Seattle hat gerade in sieben Minuten für 3,1 Millionen Dollar gemeinsam mit RTFKT Studios Schuhe und Kurzvideos auf Nifty Gateway, einem der großen NFT-Marketplaces, verkauft. Da kann man schon mal in einem Raum auf Clubhouse weinen vor hunderten Menschen, die den Drop live mitverfolgt haben. Er erzählt, dass sich seine Familie nicht für seine Kunst interessieren würde und er keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern habe. Die Community auf Clubhouse, Künstler:innen, Sammler:innen und Fans, aber würde ihm das Gefühl geben, dazuzugehören. Er weint immer noch. Ich derweil fühle mich, als sei ich in eine Party hineingestolpert, zu der ich nicht eingeladen war, und verlasse den Raum.
Seit Mitte Januar trendet Clubhouse in Deutschland. Und während die einen noch gar nicht reinkommen, sind die anderen – zumindest einige – schon so genervt davon, dass sie die App vom Smartphone gelöscht haben. Clubhouse ist übrigens ein neues soziales Netzwerk, eine Audio-only-App, die es bisher noch nicht für Android gibt. Wer rein will, braucht eine Einladung oder setzt sich selbst auf die Warteliste. Wer rein will, ist jedenfalls schnell drin. Immer mal wieder hört man, dass Leute sich extra ein iPhone gekauft haben, um mitreden zu können.
Nun ja, Clubhouse ist talk of the town in der Kunstwelt, weil echt viel passiert. Ein bisschen ist es aktuell, als würde man durch Klatschseiten von irgendeinem Z-Promi-Magazin waten, das man eigentlich gar nicht lesen will. Man kennt das, man nimmt es dann doch zur Hand, um die Wartezeit zu überbrücken, und irgendwie will man ja auch wissen, was drin steht. Clubhouse jedenfalls füllt bestens die Lockdown-Leere, es macht die Warterei erträglich, endlich erlebt man wieder was.
Und jetzt weiß ich auch nicht, warum Peter Wittkamp, der Gagschreiber und Hauptautor der "Heute Show Online", in seiner Kolumne im "Tagesspiegel" schreibt: "ICH ERLEBE EINFACH ÜBERHAUPT NICHTS MEHR!" Denn in den Räumen von Peter Wittkamp auf Clubhouse habe ich mich bisher fast immer so gut unterhalten gefühlt wie von Netflix. In allerbester Erinnerung ist mir der Talk zum Thema "Gaffer-Tape – Pro & Contra. Mehr als ein Gewebeband?" Da musste ich mich natürlich zu Wort melden und die Bananen-Story von Maurizio Cattelan zum Besten geben, ein glorreicher Moment in der Geschichte des Gaffer-Tapes. Wittkamp pflichtete mir bei, das war ein schnell gemachter Punkt für den Mehrwert des Gaffer-Tapes.
Das fehlt mittlerweile etwas auf Clubhouse, die Leichtigkeit und die Neugierde, die Experimentierfreudigkeit und die Loslaberlaune. Stattdessen, so zumindest mein Eindruck, viel Wir-müssen-reden-Dringlichkeit. Über NFTs, die Zukunft des Kunstmarkts, über NFTs, den Kunstmarkt nach Corona, über NFTs und, ach ja, Digitalisierung im Kunstbetrieb. Falls Sie nicht wissen, was NFTs sind, empfehle ich Ihnen meinen Kolumnenbeitrag zum Thema. Recherchiert habe ich dafür natürlich auch viel auf Clubhouse, weil sich dort die NFT-Expert:innen tummeln und bereitwillig immer und immer wieder allen auf alle Fragen antworten. Während sich die NFT-Community täglich wie wild über neue Auktionsrekorde freut, streiten sich Professionals aus dem Kunstbetrieb miteinander.
Raufbolde auf dem Schulhof
Der Kunstkritiker Kenny Schachter und der Kunstberater Stefan Simchowitz sind beispielsweise miteinander in den Ring gestiegen. So war der Talk zumindest angekündigt, und dem Moderator war daran gelegen gewesen, dem Publikum einen verbalen Boxkampf zu bieten – in Runden, mit Sound und allem, was dazugehört. Die beiden haben sich dann aber doch lieber verhalten wie zwei Raufbolde auf dem Schulhof, die sich auch vom Lehrer nicht bremsen lassen. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, wer gewonnen hat. Ich habe mich verhalten wie früher bei Prügeleien auf dem Schulhof: kurz Notiz davon genommen, weggegangen.
Wenn es zum öffentlichen Kampf kommt, macht freilich keiner der Beteiligten eine gute Figur, denn man hat sich ja zum öffentlichen Kampf hinreißen lassen. Zur Debatte gab es natürlich Debatten auf Clubhouse, ein Talk hieß: White Man vs. White Man. Schachter und Simchowitz waren tatsächlich nacheinander zuerst im Raum und dann auf der Bühne. Und ja, man fragt sich nach Wochen auf Clubhouse tatsächlich, ob das so ein Männerding ist, und klar, rhetorische Frage: viel Raum einnehmen, Dialog ablehnen, Männer reden mit Männern?
Fair enough, es gibt im Kunstbetrieb leider immer noch weniger Frauen in Führungspositionen beziehungsweise nicht genau so viele Frauen mit großen Namen wie Männer. Aber bitte, wenn eine Frau dann schon mal als Gast geladen ist wie das bei der Talk-Reihe "Extrem dumme Fragen an ..." von Sebastian Späth und Niklas Bolle mit Lena Winter, Direktorin der "Messe in St. Agnes", der Fall war, und nur sie, und wenn dann nach wenigen Minuten Männer die Bühne einnehmen, sich im Kreis drehen und das Gespräch zum Erliegen bringen ... I don‘t know. Würde man das bei einer Panel-Diskussion in einer Galerie machen? Sich auf die Bühne setzen, sich immer und immer wieder zu Wort melden und die gleiche Aussage in den Raum werfen? Ja genau, das wäre maximal weird.
Diskurs und Mark kommen auch hier nicht zusammen
Die Stärke von Clubhouse wird schnell zur Schwäche, wenn so einiges vergessen wird: Etikette, Rolle, Raum. Die Stärke von Clubhouse ist ganz klar, dass Leute in einem Raum und auf einer Bühne zusammenkommen, die so geballt nicht einmal auf irgendeiner Messe zusammenstehen würden. Und wenn, dann könnte man sich in so einer großen Gruppe weder organisieren, noch hören.
Was wirklich nervt und das ist jetzt keine Schwäche von Clubhouse, sondern die Schwäche des Kunstbetriebs: Es gibt immer noch richtig und falsch. Richtige Kunst, richtige Künstler:innen, richtige Herangehensweise an Neues – wait, das lieber ganz lassen, wenn es nach den Skeptiker:innen geht.
Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hat 2017 einen Essay mit dem Titel "Zwischen Deko und Diskurs" veröffentlicht, er schreibt darin: "Ein Schisma vollzieht sich in der Kunst: Werke für Kuratoren, die das Distinktionsbedürfnis der Diskurseliten, und Werke für den Markt, die das der Oligarchen befriedigen, spalten sich soweit ab, dass der gemeinsame Begriff Kunst nicht mehr zutrifft. (...) je weiter man auseinanderdriftet, umso weniger hat man sich zu sagen. Schließlich nimmt man sich gegenseitig kaum noch wahr." Zur Kurator:innen- und Kunstmarkt-Kunst kommen längst Instagram-Künstler:innen und jetzt, wenn man es so nennen will, NFT-Kunst hinzu. Auf Clubhouse hat man sich wenig bis nichts zu sagen, aber man nimmt sich gegenseitig wahr und redet übereinander.
Von Beeple wird gerade bei Christie‘s das erste digitale Kunstwerk als NFT versteigert, das dann auch noch in Bitcoin bezahlt werden kann. "Diejenigen, die einen eher traditionellen Kunsthintergrund haben, werden von den meisten der als NFTs angebotenen 'Kunst' entsetzt sein", schreibt Georgina Adams in "The Art Newspaper". Clubhouse wäre der ideale Raum, um miteinander ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen. Stattdessen hört man, ja, die Instagram-Künstler:innen, deren Namen man nicht nennen wolle, würden sich auf Clubhouse breit machen und sich nun auch hier selbst vermarkten. Das ist dann doch ein etwas seltsamer Vorwurf, wenn man sich selbst Raum nimmt, um über eigene Projekte und Ideen zu reden – ist das keine Selbstvermarktung beziehungsweise Ich-PR?
Endlose Telefonkonferenz mit dem Kunstbetrieb
Und da ich jetzt eine Expertenmeinung zum Thema Clubhouse nicht auf Clubhouse hören möchte, rufe ich den Galeristen Johann König an. Er ist einen Tag länger als ich aktiv in der App und hat mittlerweile so viele Follower:innen mehr als ich, dass ich schon jetzt Bilanz ziehen und sagen kann: Da hole ich nicht mehr auf. Wir haben bereits für meine erste Kolumne zum Clubhouse-Hype miteinander gesprochen, mittlerweile gibt es die Reihe "König Talk" (montags, 21 Uhr), und jetzt frage ich ihn also nach sechs Wochen never-ending Telefonkonferenz mit dem internationalen Kunstbetrieb: Was war gut? Was war nicht so gut? Was fehlt?
Was sich verändert hat, will ich von König wissen. "In den ersten Wochen war alles interessant, weil die Plattform neu war", sagt er. Mittlerweile gehe er nur noch gezielt in Räume. Er vergleicht Clubhouse mit Instagram, dort würden die Bilder an einem vorbeirauschen, hier sei es das gesprochene Wort. Die Debatten seien weniger geworden, der interdisziplinäre Austausch fehle.
Ich frage ihn, ob es daran liegen könnte, dass der Kunstbetrieb sich in Talks mittlerweile zu sehr um sich selbst dreht und sich zu wenig öffnet. In den ersten Wochen gab es viele Räume, die wie ein Kunstmarkt-Anfänger-Guide aufgezogen waren, König selbst erklärte auf Clubhouse den Kunstmarkt, Hunderte hörten zu, viele Zuhörer:innen kamen auf die Bühne, um Fragen zu stellen. Er fragt sich, ob es daran liegen könnte, dass einem weniger Räume angezeigt werden, die nicht mit dem zu tun haben, was man sich sonst so anhört. Ich erinnere mich an eins der sonntäglichen Clubhouse Townhall Meetings mit den beiden Gründern Paul Davison und Rohan Seth, die genau das sagten: Man bekommt mehr von dem, was man sich anhört. Und weniger von dem, was man via Hide-Feature ausblendet. Vielleicht haben wir also auch einfach nur den Algorithmus schlecht trainiert.
Wie in jedem sozialen Netzwerk liegt es an den Nutzer:innen, welche Inhalte verhandelt werden. Und natürlich ist es auch hier so, dass Themen stark ziehen und häufig diskutiert werden, die die Community interessieren. Das sind dann eben NFTs, Digitalisierung und Kunstmarkt. Im besten Fall werden mehr Leute aktiv und organisieren Talks, die das Potential von Clubhouse nutzen: internationale Gäste, internationales Publikum, neue Formate, (interdisziplinärer) Austausch. Wer braucht schon noch eine Interview-Reihe mit den mächtigen Männern aus dem Kunstbetrieb, die auf Clubhouse erzählen, was man aus den Medien weiß?