Hype um Talk-App

Warum Clubhouse für die Kunstwelt so attraktiv ist

Der Hype um Clubhouse hat auch die Kunstwelt erfasst. Warum tummeln sich plötzlich alle auf dieser Social-Network-App? Ein Erfahrungsbericht nach einer Woche Dauer-Talk

Clubhouse hat mich restlos überzeugt, da wird nämlich im Ruhebereich tatsächlich nicht gesprochen. Wenn Sie jetzt nicht wissen, was Clubhouse ist, was das ist, was das kann und was das soll, dann geht es Ihnen wie mir noch vor etwas mehr als einer Woche. Und dann war ich drin und irgendwie finde ich den Ausgang an manchen Tagen nicht, weil es einfach zu viele Räume gibt, in die man nur noch einmal kurz ganz dringend hineinschauen muss.

Gerade komme ich aus einem Raum, in dem Anne Schwanz und Johanna Neuschäffer von Office Impart mit der Monopol-Kolumnistin und Digitalstrategin Annika von Taube, Dirk Boll, dem Chef des Auktionshauses Christie’s, und ein paar weiteren Gästen darüber gesprochen haben, wie digitale Formate den Kunstmarkt verändern. Irgendwann wurden auch der Galerist Johann König und ich auf das Panel geholt, um Erfahrungen zum Thema Partizipation beizutragen.

Jetzt habe ich mich im Ruheraum abgelegt, damit Ruhe ist und ich nicht versehentlich in noch einen Raum hineinstolpere. Knapp 200 andere Menschen sind auch dort, unter anderem Holm Friebe und Peter Wittkamp. Der Ruheraum ist irgendwie mittlerweile so etwas wie die Abwesenheitsnotiz im Clubhouse.

Und wie war deine erste Woche?

Ich bekomme eine Push-Benachrichtigung von Clubhouse, Johann König lädt mich in einen geschlossenen Raum ein. "Und?", sage ich, "wie war deine erste Woche im Clubhouse?" Johann ist einen Tag länger als ich Mitglied, er hat also deutlich mehr Erfahrung und kann mir sicher helfen, zu verstehen, woher der Hype auch in der Kunstwelt kommt, denke ich mir.

Clubhouse ist übrigens eine App und kein Ort draußen in der Welt, also es ist kein Klubhaus, in dem Menschen sich physisch begegnen. Das macht es gerade so attraktiv. Man kommt endlich wieder zusammen, ohne zusammenzukommen. Man sieht sich nicht, man hört sich nur. Man kann nur zuhören oder man redet mit. Das geht wie in der Schule per Handzeichen, und zack, sitzt man auf dem Panel, wenn die Moderator:innen im Raum einen drannehmen. Clubhouse ist so etwas wie eine never-ending Telefonkonferenz in unterhaltsam, an der alle freiwillig teilnehmen.

Jedem ist das aktuell noch nicht möglich, die App gibt es nur für das iPhone, und man braucht eine Einladung. Neue Nutzer:innen bekommen zwei Einladungen, die sie weitergeben können, sind die weg, gibt es in unregelmäßigen Abständen mehr "Invites", mal sind es zwei, mal vier. Jetzt kann man natürlich sagen, das sei elitär, mit sehr gutem Recht sogar. Aber ja, irgendwie muss ein neues soziales Netzwerk ja einen Hype auslösen, um Nutzer:innen auf die Plattform zu ziehen. Verknappung ist da ein sehr einfaches und erprobtes Mittel.

Clubhouse ist in den deutschen App-Store-Charts mittlerweile auf Platz 1. Und natürlich haben Promis und Influencer:innen wie Caro Daur, Joko Winterscheidt und Thomas Gottschalk sowie Politiker:innen und Journalist:innen wie Christian Lindner, Doro Bär und Paul Ronzheimer ihren Teil zum Hype beigetragen. (Bei "OMR" kann man die ganze Geschichte zur Entstehung des Clubhouse-Hypes in Deutschland nachlesen.) Auf Twitter versuchen sich seit dem vorletzten Wochenende fast alle am besten Take zum Thema "Herrje, was soll dieses Clubhouse und was machen wir eigentlich die ganze Zeit da drin?". Auf Instagram werden ohne Ende Hinweise auf Talks geteilt. Und in den Medien erscheinen reihenweise Clubhouse-Erklärbärtexte und -Erlebnisberichte.

"Kunstmarkt kann von der Startup-Mentalität lernen"

Johann geht es wie mir. Er kann sich nicht so recht erinnern, was in seiner ersten Woche auf Clubhouse passiert ist, weil so viel passiert ist. Ich erzähle leicht aufgeregt, dass ich zu Gast im "Bademantel Content Club / Daily 15" von Fernsehmoderator und DJ Jan Köppen war. Endlich hat sich jemand mit mir ausführlich über Cola unterhalten. Ich habe mit 3.000 Leuten und den Gastgebern Sascha Lobo und Jule Wieler 45 Minuten darauf gewartet, dass Thomas Gottschalk es auf Clubhouse schafft und sein Mikrofon anschaltet. Und ich habe mir angehört, wie Bodo Ramelow und Philipp Amthor sich von Journalisten dazu haben bringen lassen, zu singen. Nacheinander. Es war semi-schön.

Johann ist jetzt noch ein bisschen aufgeregter als ich, weil ihm just in diesem Moment der Rapper RIN auf Instagram schreibt, der noch vor wenigen Minuten im Raum auf Clubhouse reingeschaut hat, als es um den Kunstmarkt und digitale Formate ging. "Wo ist das sonst möglich?", fragt Johann und erzählt, dass er in den letzten Tagen mit Tech-Entrepreneuren und Startup-Gründern, mit TikTok-Stars und Influencer:innen, mit Fußballern und Kunstmarkt-Expert:innen gesprochen habe. Warum das für ihn als Galerist interessant sei, will ich wissen. "Wir können hier von der Startup-Mentalität lernen, Wissen und Erfahrungen zu teilen", sagt er. Im Kunstbetrieb sei das nicht üblich, der Wissenstransfer auf Clubhouse reize ihn deshalb.

In Talks über den Kunstmarkt werden gefühlt alle Fragen gestellt, die sonst nicht gestellt werden, weil es irgendwie unangenehm und vielleicht naiv ist. Wie entstehen Preise? Fallen Preise und warum? Wie funktionieren Wartelisten? Wie kommt man auf einer Warteliste nach oben? Wie sollen sich Künstler:innen auf Instagram präsentieren? Er antwortet und stellt selbst in anderen Räumen Fragen, zum Beispiel einer TikTok-Influencerin mit fünf Millionen Follower:innen. Sie teilt ihre Tricks. Ich selbst habe mich mit Elke Buhr, der Chefredakteurin von Monopol, der Sammlerin Julia Stoschek, Annika von Taube und Office Impart über Frauen und Netzwerke auf einem Panel ausgetauscht. Netzwerken Frauen anders als Männer? Wie steht es um die Sichtbarkeit von Frauen im Kunstbetrieb?

Falls Sie sich jetzt fragen, wo Sie das Gespräch nachhören können: Auf Clubhouse findet alles live statt, es darf nichts aufgezeichnet und geteilt werden. Das produziert maximales FOMO. Und das macht die ganze Geschichte bisweilen ein bisschen stressig. Johann erzählt, dass er sogar ab und an seine Arbeit unterbricht, um sich einen Talk anzuhören. Woher nehmen die eigentlich alle die Zeit?

Diese Frage wurde in den letzten Tagen immer wieder gestellt. Haben die denn nichts zu tun? Das musste sich auch Ministerpräsident Bodo Ramelow anhören, nachdem er im Anschluss an seinen Clubhouse-Fauxpas Freitagnacht in der Runde über "Trash und Feuilleton" fast das ganze Wochenende in diversen Streitgesprächen und Analyserunden mit Politiker:innen wie Kevin Kühnert und Philipp Amthor sowie Journalist:innen wie Dunja Hayali und Johannes Boie um Entschuldigung bat. Die Bundeskanzlerin hatte er im Plauderton "Merkelchen" genannt und zugegeben, dass er in Corona-Krisensitzungen Candy Crush spiele. Bei der Frage, woher er die Zeit nehme, wurde Ramelow grantig. Dabei ist die recht einfach zu beantworten.

Wir sitzen alle zu Hause und wollen uns doch eigentlich alle treffen und austauschen. Clubhouse macht es coronakonform möglich. Talks und Treffen, die sonst in Galerien und Museen, in der Bar und im Restaurant stattfinden würden, haben jetzt einen Ort im Digitalen. Während sich bei Instagram-Livestreams immer nur zwei Leute miteinander unterhalten können und die App offen bleiben muss, können auf Clubhouse 5.000 Leute in einem Raum zusammenkommen und die App kann im Hintergrund laufen. Das Smartphone ist also als  Arbeitsgerät nutzbar, während Clubhouse wie eine Radiosendung im Hintergrund läuft.

Endlich wieder Abendtermine

Mittlerweile hat sich eingependelt, dass viele Talks ab 18 Uhr, also pünktlich zum Feierabend beginnen. Zwischen 22 und 23 Uhr enden die Runden, dann geht es auf Clubhouse in den Afterparty-Modus, es wird privat. Tagsüber verabredet man sich für den Abend und legt gemeinsam das Programm fest. Nachdem ich mich heute mit einem Freund auf unser Abendprogramm geeinigt hatte, schrieb er mir: "Juhu, endlich abends wieder was vor."

So anders ist das tatsächlich nicht. Minus die bisweilen zeitintensive Anreise zu Events und den Small-Talk im Nachgang. Der findet jetzt in den Instagram DMs oder am Telefon statt. Vielleicht sind die Runden auf Clubhouse sogar stärker besetzt und interessanter, weil jederzeit weitere Talk-Gäste auf das Panel geholt werden können und weil auch Fragen und Kommentare aus dem Publikum jederzeit angenommen werden. Wann bitte läuft RIN schon mal in eine Galerie, um sich einen Talk über den Kunstmarkt anzuhören?

Und plötzlich ist es auch ganz einfach, internationale Talk-Gäste zusammenzubringen, Zoom ist da doch eher unattraktiv und zieht kaum Publikum. Ich selbst habe mir mit dem amerikanischen Journalisten ("Forbes", "Wired") und Kurator (Next Museum, Amsterdam) Jesse Damiani vorgenommen, eine Reihe zum Thema "Art and Technology" zu organisieren. Der erste Talk mit dem Titel "Instagram and the Art World" fand vergangenen Freitag statt, unsere Gäste waren der Kunstkritiker Kenny Schachter (London) und die Künstlerin Arvida Byström (Amsterdam), im Laufe des abends kamen die Künstler:innen Leah Schrager (New York), Andy Kassier (Südafrika) und Aram Bartholl (Berlin) auf das Panel.

Ich frage Johann nach seiner Prognose für die Zukunft von Clubhouse. Wie ich bezweifelt er, dass die Frequenz an Veranstaltungen so hoch bleiben wird, wenn alles wieder im echten Leben stattfinden kann. Warum soll man sich dann noch auf Clubhouse treffen? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Weil man in dieser Besetzung im echten Leben nicht so leicht zusammenkommen könnte beziehunsgweise sich nie über den Weg laufen würde und weil das Publikum viel größer sein kann.

Beim Panel heute Abend waren über 450 Zuhörer:innen dabei. Und das obwohl bisher fast ausschließlich eine überschaubare Anzahl Professionals aus dem Kunstbetrieb auf der Plattform ist. Wie Anne Schwanz von Office Impart sagt, wird es wie jetzt zu Beginn weiterhin darum gehen, aktiv mitzugestalten. Und sei es, Räume zu schaffen, wie den Ruheraum, den der Publisher Leander Wattig eingerichtet hat. Es ist tatsächlich, wie der Name sagt, ein Raum, in dem nicht geredet wird. Die Mikros sind alle aus und trotzdem sind zu fast jeder Tageszeit 200 Leute im Raum. Man signalisiert mit seiner Anwesenheit im Ruheraum vielleicht, dass man jetzt gerade zu keinem anderen Event kann. Ich frage bei Wattig nach, was der Raum für ihn ist. Er antwortet mir, dass es für ihn "die ehrlichste Form von Gemeinschaft ist. Sie zielt nicht auf irgendeinen Nutzwert ab."

Und ja, das ist aktuell die größte Kritik an Clubhouse neben dem Datenschutz (die App greift auf das Adressbuch zu), der Nutzwert, der sich erhofft wird, sprich die Ich-PR. Olli Schulz prognostiziert im Podcast "Fest & Flauschig" im Gespräch mit Jan Böhmermann – beiden geht Clubhouse "voll auf den Sack" –, dass es in drei Wochen nur noch darum geht: "Wie optimiere ich mich selbst? Wie komme ich noch besser in meiner Community an?" Das ist jetzt schon so, also kein Stress. Vielleicht haben jetzt auch nur all die Leute mit den Laber-Podcasts ein Problem, man denke an professionelle Fotografen und Instagram. Labern, das kann Clubhouse besser. Nur, wo ist das Bezahlmodell?