Anfang Dezember wollten Banksy und seine Partnerin eigentlich ein ruhiges Wochenende in ihrem Haus in Bristol verbringen, doch die Nachrichten aus Miami, die Nachrichten von dieser Banane, die Maurizio Cattelan während der Art Basel an die Kojenwand seiner Galerie geklebt hatte – sie wollten einfach nicht aufhören. Und gelinde gesagt gingen sie Banksy zunehmend auf die Nerven. Denn ganz offensichtlich nagte Cattelan an einem Terrain, das doch eigentlich er, Banksy, als sein exklusives Spezialgebiet reklamiert. Nämlich: Die Absurditäten des Kunstmarktes offenzulegen. Am Sonntagabend kam ihm dann schließlich die Idee, wie er sich als Kunstprankster Nummer Eins rehabilitieren konnte. Und so fuhr er nach Birmingham und zauberte ein weihnachtlich-sozialkritisches Graffito an eine Häuserwand.
War es wirklich so? Wir wissen es nicht. Aber sicher ist, dass kurz vor Banksys jüngstem Streich ein Artikel in der "New York Times" erschien, der Cattelans 120.000-Dollar-Banane verteidigte – und dabei heftig gegen Banksy austeilte. Letzter bediene stets nur dieselbe Masche populistischen Spotts. Etwa indem er ein Auktionshaus benutzt, um ein Werk zu verkaufen, das sich selbst zerstört. Oder wenn er den Druck eines Bildes verkauft, der eine Christie's-Versteigerung von van Goghs "Sonnenblumen" für 40 Millionen Dollar im Jahr 1987 zeigt, und das ganze "Ich kann nicht glauben, dass ihr Trottel wirklich diesen Sch**ß kauft" nennt. Banksys kindische Haltung, so der "Times"-Autor Jason Farago, bediene das allgemeine Vorurteil, dass alle Künstler Betrüger seien und Museen, Sammler und Kritiker entweder Deppen oder Stricher.
Banksy
Der Unterschied zwischen den beiden Künstlern besteht laut Farago darin, dass Cattelan seine Spitzen von innerhalb der Kunstwelt setzt: seine gesamte Laufbahn lege Zeugnis ab über die unmögliche Sehnsucht, ernsthaft Kunst zu schaffen, die mal durch Geld, mal durch Selbstzweifel gehemmt werde. Banksy hingegen sei ein kulturell irrelevanter Prankster, der seine Schmähungen aus zynischer Distanz abfeuere.
Spätestens an dieser Stelle werden alle Banksy-Fans heftig widersprechen: Banksy hat immerhin noch eine politische Agenda! Er agitiert gegen Kapitalismus, Krieg und Gewalt, er nimmt von den Reichen und gibt den Armen und Unterdrückten! Nicht Banksy, sondern Cattelan ist der wahre Zyniker, gerade weil er sich immer nur innerhalb des Systems bewegt! Wenn er Probleme mit seinem Selbstwertgefühl hat, solle er sie doch bitte nicht auf Kosten der Kunstwelt begleichen, sondern einfach zum Therapeuten gehen!
Mich erinnerte Faragos Artikel daran, dass ich mich vor vielen Jahren einmal mit Francesco Bonami über Maurizio Cattelan unterhielt (Cattelan schickte den Kurator in jener Zeit stets an seiner Stelle zu Interviews) und wir auf dessen Ruf als Betriebsclown zu sprechen kamen. Bonami winkte damals ab. Nicht der Clown sei der passende Vergleich. Ihn erinnere Cattelan vielmehr an den Ritter in Ingmar Bergmans Filmklassiker "Das siebente Siegel", der ein Schachspiel mit dem Tod eingeht und daher auf jeden Fall den letzten Zug vermeiden müsse, um am Leben zu bleiben.
Im Jahr 2019 scheint Cattelan eine neue Rolle zu spielen
Eine Zeit lang entstanden in diesem Spiel tatsächlich aufregende Werke. Mit dem von einem Meteoriten zu Boden gestreckten Papst schuf Cattelan ein formvollendetes Sinnbild für den ewigen Widerstreit von Wissenschaft und Religion, Zufall und Vorsehung, Idolatrie und Ikonoklasmus. Sein von der Decke baumelndes Pferd persiflierte den italienischen Faschismus. Hitler ließ er um Vergebung betend niederknien. Und auch in seinen diversen Selbstporträts traf man im besten Fall auf universelle Fragen über das Gute und das Böse, Gott und die Welt.
Doch im Jahr 2019 scheint Cattelan eine neue Rolle zu spielen oder vielleicht eher spielen zu müssen. Er wirkt mittlerweile wie einer jener mythologischen Helden, die von den Göttern zu einer schmerzhaft-sinnlosen Aufgabe verdonnert wurden: Sisyphos, der einen Felsblock auf ewig den Berg hinaufwälzen muss. Oder Tityus, dem täglich ein Geier seine immer nachwachsende Leber aus dem Leib reißt und frisst. Cattelans Existentialismus hat eine Stufe erreicht, auf der die Absurdität des Lebens nicht mehr zu der Freiheit führt, alles tun zu können. Sondern zu Klaustrophobie und Nihilismus.
Für einen Künstler wie Maurizio Cattelan gibt es kein Entkommen
Duchamp und später die Konzeptkunst der 60er zeigten, dass kluge Gedanken schöner und wertvoller sein können als ein Bild oder eine Skulptur. Weil sie prinzipiell unermesslich und unberechenbar sind, frisch und frei. Cattelans Miami-Aktion hingegen ist symptomatisch für einen Betrieb, der mittlerweile auf Autotune programmiert scheint. Die Reflexe laufen wie geschmiert. Der eine findet’s öde, der andere subversiv, die meisten machen Selfies (und die allermeisten, einmal gesamtgesellschaftlich gedacht, kriegen das alles nicht einmal mit). Die Aufregung über den Preis ist genauso kalkuliert wie Cattelans ostentativ bekundetes Desinteresse an dem ganzen Trubel. Auch dass ein sogenannter Aktionskünstler seine Banane aufaß, war ihm schlicht egal. Es fällt zunehmend schwer, sich Cattelan als glücklichen Menschen vorzustellen.
"Na dann hör' doch einfach auf", möchte man ihm zurufen. Aber das hat er ja schon versucht, als er vor einigen Jahren seinen Rücktritt verkündete. Auch sein "neues" Werk ist ja eigentlich nur Remix von älteren Ideen (mit Bananen hat er schon gearbeitet, und bereits 1999 tapte er seinen Galeristen Massimo de Carlo an eine weiße Wand und nannte das Ganze "A perfect Day"). Die schlechte Nachricht lautet: Es gibt für einen Künstler wie Maurizio Cattelan kein Entkommen, und damit steht er exemplarisch für einen Betrieb, der so rund läuft wie ein Hamsterrad.
Die gute Nachricht: Es gab in diesem Jahr jenseits von Maurizio Cattelan und Banksy sehr viel gute, relevante, aufregende Kunst.