Beseelter Blick, Kind auf dem Arm, langes Gewand und Heiligenschein. Die Darstellung der Gottesmutter Maria in der Malerei hat seit Jahrhunderten eine feste Form. An einer Wand in Taormina auf Sizilien kam einem das Gesicht der Heiligen dann aber doch zeitgenössisch bekannt vor. Der Street-Art-Künstler Tvboy hat Maria mit dem Antlitz der deutschen Rettungsschiff-Kapitänin Carola Rackete versehen und ihr ein Kind mit Rettungsweste in die Arme gedrückt. Das Bild trägt den Titel "Heilige Carola, Beschützerin der Flüchtlinge“.
Diesen Status hat sich die 31-Jährige durch ihren Einsatz auf dem privaten Seenotrettungsschiff "Sea Watch 3" zugezogen. Mit diesem fuhr sie trotz eines Verbots der italienischen Regierung mit 40 Geretteten an Bord in den Hafen von Lampedusa ein und wurde vorübergehend festgenommen. Seitdem reagiert Italien mit Dämonisierung und schärferen Gesetzen gegen Seenotretter, gleichzeitig wurde Carola Rackete mit Spenden und Solidarität überschüttet. Sie ist eine Symbolfigur für die gesellschaftliche Spaltung beim Thema Flucht und Migration geworden und ruft heftige Reaktionen hervor.
Wie der Künstler Tvboy auf seinem Instagram-Account mitteilte, wurde das Graffito inzwischen mit grauer Farbe übermalt. Er spricht bei der Schmiererei, die vor allem die Gesichter der beiden Figuren betrifft, von "Zensur".
Maria hat in der christlichen Kulturgeschichte eigentlich recht wenig zu sagen. Sie steht beseelt und heilig da, hält ihr Kind und ansonsten die Klappe. Carola Rackete dagegen ist weder Teufel noch Engel, sondern ein Mensch, der wie gerade im ZDF bewiesen für sich selbst sprechen kann. Vielleicht sollte sich auch die Darstellung ihrer Person wieder einem menschlichen Maß annähern.