Geburt und Tod sind die zwei Dinge, die jeden Menschen auf Erden treffen, und beide sind mit einem Tabu belegt: Sie sind intime Akte, bei denen wir andere Menschen nicht ohne weiteres zuschauen lassen. Dieses Bilderverbot hat seinen Grund weniger in Prüderie als in den basalen Regeln menschlicher Würde, auf die sich unsere Gesellschaft geeinigt hat. Diese Situationen, die den Menschen buchstäblich an den Rand seiner Existenz bringen, verlangen einen Schutzraum.
Andererseits führt dieses Tabu auch zu Unwissen und Scham, und deshalb kann es produktiv sein, wenn die Kunst es herausfordert. Während der Tod schon durch die Pietàdarstellungen der christlichen Tradition ein durchaus anerkanntes Sujet ist, wird der Akt der Geburt in der Kunst äußerst selten thematisiert. Das liegt sicherlich an Stigmatisierung echter Mutterschaft jenseits des Marien-Idylle durch die patriarchal geprägte Kunstgeschichte, es ist aber auch in der Drastik der Situation begründet. Eine weit aufgerissene, blutige Vulva, durch die sich der vom Druck verformte Kopf eines Kindes schiebt, ist ein Bild, das auch Splatterfilm-gewohnte Augen irritieren kann – und wohl kaum eine Frau möchte sich gern den Blicken einer größeren Öffentlichkeit darbieten, während sie sich gleichsam von innen aufgerissen fühlt.
Die Fotografin Heji Shin hat es kürzlich gewagt, Babys beim Eintritt in die Welt zu fotografieren, die Köpfchen schon geboren, die Körper noch im Leib der Mutter. Ihre Serie ist herausfordernd, aber mit ihrem vorsichtigen Dämmerlicht doch respektvoll und zurückhaltend, und sie fängt etwas von dem berührenden Wunder ein, das dem Akt der Geburt innewohnt.
Seltsamer Eingriff
Candice Breitz hat für ihre Arbeit "Labour", die jetzt im Neuen Berliner Kunstverein (NBK) erstmals gezeigt wird, ebenfalls Frauen während der Geburt gefilmt. Der in Berlin lebenden Künstlerin sind mit "Love Story" (2016) mit Hollywood-Stars und Geflüchteten oder "TLDR" 2017 mit Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen aus Kapstadt in letzter Zeit intelligente, politisch engagierte und ästhetisch überzeugende Arbeiten gelungen, insofern ist ihr ein überzeugender Umgang mit dem Thema zuzutrauen.
Ihre Inszenierung erscheint der Intimität der Situation angemessen: Man betrachtet die vier Spots von jeweils zwei Minuten einzeln auf kleinen Bildschirmen, die wie Mini-Kabinen mit Vorhängen vom Rest des Raums abgetrennt sind. Die Kamera wurde frontal vor den Gebärenden platziert, je nach Position der Frauen schaut sie ihnen direkt zwischen die Beine. Man sieht und hört die Frauen schreien, sieht die Flecken auf ihrer Haut, sieht die extreme Spannung ihrer Körper, sieht die zum Zerreißen gespannte Vulva und den Austritt des Köpfchens, sieht die blutbeschmierten Babys und die langsame Entspannung der Mütter.
Allerdings hat die Künstlerin einen seltsamen Eingriff gemacht: Sie spielt den Geburtsvorgang rückwärts ab. Und am Ende jedes Durchgangs, wenn also das Baby wieder im Leib der Mutter verschwunden ist, erscheinen Buchstaben: Es sind die rückwärts geschriebenen Namen der Politiker Putin, Trump, Kim (Jong-un) und Bolsonaro.
Symbolische Auslöschung der echten Arbeit einer echten Mutter
Ein Manifest am Eingang der Ausstellung bietet Aufklärung. In diesem "Matriarchalen Dekret" proklamiert das unterzeichnende Matriarchat, dass es von nun an die Welt von seinem "dysfunktionalen Nachwuchs" befreien werde, um den grassierenden Testosteron-Ausbrüchen Einhalt zu gebieten, und zwar per Rückwärtsgeburt.
Nun ist die Bekämpfung des Patriarchats ein absolut überzeugendes Ziel. Die (fiktive) Strategie ist allerdings etwas naiv, denn gesellschaftliche Missstände löst man nicht dadurch, dass man einzelne Repräsentanten auslöscht. Aber absolut geschmacklos ist es, diese Auslöschungsphantasien auf die realen Geburten zu projizieren, die Breitz filmen durfte. Indem sie die Geburtsszenen rückwärts abspielt, möchte Breitz zwar offensichtlich das Verschwindenlassen eines missliebigen Politikers symbolisieren. Aber viel stärker ist doch, was ihre Bilder zeigen. Und das ist die symbolische Auslöschung der echten Arbeit einer echten Mutter, deren Baby wieder in ihrem Bauch verschwinden muss.
Der Geburt wird ihr glückliches Ende genommen und dem Schmerz der Trost. Und statt dass Mutter und Kind für ihre unglaubliche Leistung gewürdigt werden, statt dass der Akt der Geburt die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient, werden sie quasi gekidnappt von dem Gedanken an die unsympathischsten Politiker des Planeten.
Es gäbe viele gute Gründe, um Geburten in der Kunst zu zeigen. Man könnte mehr Wissen über weibliche Körper und die komplexen Vorgänge einer Geburt verbreiten, man könnte die Kraft der Mutterschaft feiern, man könnte einer existenziellen Erfahrung nachspüren, die noch viel zu wenig Echo in der abendländischen Kulturgeschichte gefunden hat. Sie für eine derart konstruierte politische Agenda zu benutzen, ist dagegen ein geradezu tragischer Missgriff.