Fachkräftemangel bei Kreativen

Wer baut die Bühnen der Zukunft?

Wie viele Branchen beklagen auch die Bühnengestalter einen Mangel an Nachwuchs. Das liegt vor allem an fehlenden Ausbildungsstätten. Julie Speck will mit einem neuen Buch Aufmerksamkeit auf ihr Handwerk lenken 

Bühnen gibt es quasi überall: in Theatern und Opern, Fernsehstudios, bei Konzerten. Auch Filmsets fallen genau genommen in diese Kategorie. Tauchen schon in den meisten Theaterkritiken Bühnenbildnerinnen nur spärlich auf, werden andere Kreative ganz vergessen. Diejenigen, die die Kulissen bauen, Hintergründe malen und Requisiten herstellen. Julie Speck, die als Bühnenplastikerin und -malerin arbeitet, möchte das Ansehen ihres Berufs verändern – und so auch dessen Zukunft wahren. Dafür hat sie das knapp 450-seitige Lehrbuch "Praktische Grundlagen der Bühnenplastik und Bühnenmalerei – Einführung, Werkstoffe, Arbeitstechniken" geschrieben.

Wie derzeit bei vielen Branchen wird auch in Bühnenwerkstätten über Fachkräftemangel geklagt. Wie man oft in den Nachrichten hören kann, fehlen in Deutschland schon jetzt Bauelektrikerinnen, Klimatechniker und Erzieher. Aber auch in kreativen Ausbildungsberufen - und das bekommt weniger Aufmerksamkeit - sieht es nicht gut aus. Das Portal Ausbildung.de schreibt derzeit eine einzige freie Lehrstelle als Bühnenmalerin und -plastikerin aus. Anerkannt ist die dreijährige duale Ausbildung in Deutschland seit 2000. Der praktische Teil ist häufig in Theatern, seltener auch Filmstudios oder Fernsehanstalten, angesiedelt.

Julie Speck hat in den Werkstätten der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gelernt, nach einigen Jahren in der Selbstständigkeit wechselte sie 2019 an den Berliner Friedrichstadt-Palast, wo sie Leiterin der Bühnenplastik und Ausbilderin ist. Alle drei Jahre bietet sie selbst eine Lehrstelle an. Zuletzt bekam sie dafür rund 140 Bewerbungen. "Ich denke, dass die Hälfte derjenigen, die sich gemeldet haben, absolutes Potenzial für den Beruf hätten. Ich habe viele tolle Portfolios mit Arbeitsproben eingesendet bekommen", sagt Speck. Dennoch befürchtet sie das Aussterben ihres Kunsthandwerkes. Nicht, weil es an Interesse mangele, sondern an Ausbildungsstätten. Wie sie es selbst jahrelang getan hat, arbeiten viele ihrer Kolleginnen und Kollegen freiberuflich, erzählt Julie Speck. Sie kommen damit Ausbilder nicht infrage.

Was fehlt, sind die Ausbildungsstätten 

Dabei wächst die Nachfrage nach Kulissen besonders durch die florierende Filmindustrie. Zu den Aufgabenbereichen von Bühnenmalerinnen und -plastikern zählt es, geplante Szenenausstattungen umzusetzen. Dazu gehören Gebäude, die nachgebaut werden, die Anfertigung von Gemälden oder Skulpturen. Die Kniffe ihres Handwerks hat Julie Speck nun in einem Lehrbuch aufgeschrieben.

Es geht unter anderem um den Umgang mit Metallen und Klebstoffen, Materialimitation und Farbmischungen. Als Projektbeispiel für Kulissenbauten ist die Felsenhöhle aus der deutschen Netflix-Serie "Dark" zu sehen, die von der Berliner Werkstatt Spreekulissen aus dem Kunststoff Polystyrol hergestellt wurde. Auch wenn durch die Fotos des Making-of einige Serien-Szenen vielleicht entzaubert werden, helfen die Hintergrundinformationen zur Anfertigung des Modells und der Produktionszeit von vier Wochen, einen tieferen Einblick in die handwerkliche Arbeit zu erhalten.

An anderer Stelle gibt es Anleitungen zur Herstellung von Reliefs, Tipps für die Nachbildung von Adonis-Skulpturen oder riesigen Dinos. Die sogenannten "Animatronics" sind künstliche Tiere oder Puppen, die elektrisch oder mechanisch ferngesteuert werden und möglichst lebendig wirken sollen. Geht es um die Planung eines solchen Modells, muss die Anatomie genau abgeglichen werden, es folgen Korpus-Bauten aus Stab-Konstruktionen. Darauf werden Schaumstoffplatten angebracht, manchmal Muskelstränge nachgebildet, Teile aus Thermoplast hergestellt und das Ganze mit Fell, Schuppen, Federn oder Haaren verziert.

Von außen muss es immer gleich aussehen 

Was Julie Speck besonders hervorhebt, ist der Zusammenhalt innerhalb ihrer Branche. "Ich habe das fertige Manuskript an acht Kollegen und Kolleginnen geschickt. Ohne Zweifel oder Vorbehalte haben alle ihre Geheimnisse und Tricks verraten", erzählt sie. Mit ihrem neuen Handbuch hofft sie, auch Autodidakten auszusprechen. Immer wieder arbeiteten im Kulissenbau auch Menschen, die eigentlich einen anderen Beruf gelernt haben, vom Dachdecker bis zur Bildhauerin, erzählt sie.

Laut der Bundesagentur für Arbeit sind die Voraussetzungen für den Beruf Kreativität und Sinn für Ästhetik, zeichnerische Fähigkeiten und Handgeschick. Die geringe Bezahlung für Bühnenmaler und -plastikerinnen mag jedoch einige Interessierte abschrecken. 1.164 Euro verdienen Auszubildende im dritten Jahr im öffentlichen Dienst, bei Rundfunkanstalten sind es nur 906 Euro.

"Im Kunsthandwerk wird mehr auf den Preis als den Wert geachtet", sagt Julie Speck. Sie wünscht sich eine Gewerkschaft für ihre Branche, um bessere Gehälter zu erreichen. "Selbst die Vollprofis arbeiten eigentlich unterbezahlt", sagt sie. Mehr als 45 Euro brutto die Stunde sei schwer in ihrem Gewerk zu verlangen, berichtet sie. Ansonsten müsse man fürchten, Aufträge wieder entzogen zu bekommen.

Die Kreativität liegt in der Bauart

Wer tatsächlich künstlerisch arbeiten wolle, könne von ihrem Beruf trotzdem enttäuscht werden, sagt Julie Speck. Da die Anweisungen der Bühnenbildnerinnen in der Regel genau umgesetzt werden sollen, geht es weniger um eigene Ideen oder Kreativleistungen. Trotzdem sehe man die Handschrift der einzelnen Bühnenplastikerinnen- und Maler, so Speck. "Auch bei konkreten Wünschen gibt es immer unterschiedliche Wege, etwas herzustellen. Wenn sich jemand zum Beispiel ein weißes Pferd mit Flügeln wünscht, dann wird es zwar der Vorlage getreu aussehen, aber unterschiedlich gebaut sein, weil verschiedene Materialien, Klebstoffe oder Techniken verwendet wurden", sagt sie. 

Schon in der Auswahl der Arbeitsweisen und Stoffe liege ein Teil der Kreativität, findet Speck. Trotz zunehmender Digitalisierung, Animationen und der Technik des 3-D-Druckens fürchtet sie nicht um den Bedarf an Bühenplastikern und -malern. Deshalb sieht sie es als ihre Aufgabe, ihren Beruf bekannter zu machen. Ihr Wissen weiterzugeben, betrachtet sie als ersten Schritt.