Wann man sich am Nachmittag treffen würde, besprechen meine jugendlichen Sitznachbarn im Zug. 17 Uhr? Check! Ich lausche, ob noch der Ort verhandelt wird. Wird er nicht. Denn der ist eh allen klar. "Bis später im Minto", heißt es beim Abschied.
Das ist noch keine Szene aus Britta Thies neuem halbstündigen, von der Prduktionsfirma Senator Film produzierten Werk "Powerbanks", sondern Alltag der Jugendlichen in der ehemaligen Textilstadt Mönchengladbach. Genau der Alltag, den die 1987 geborene Künstlerin in ihrem neuesten Projekt thematisiert. Dafür hat sie sich in ebendieses Einkaufszentrum auf denkbar eindrucksvolle Weise eingeschlichen: Ihr Film läuft beim Saturn auf allen Verkaufsscreens – sicher über 100. Das Geschäft wird zur Außenstelle des 300 Meter entfernten Museum Abteiberg, wo gleichzeitig Thies Einzelausstellung eröffnete.
Wir sehen Mobbing unter Mädchen, erste Liebe, Fremdsein, Identitätssuche, Gruppendruck unter Jugendlichen, Mainstream- versus Gegenkultur und digitalen Exodus. Genial spielen sich die vor allem vor Ort gecasteten Jugendlichen in das von der Künstlerin mit zwei Ko-Autorinnen geschriebene Skript herein, als eine andere, aber ähnliche Version ihrer selbst.
Im Vordergrund stehen drei vornehmlich an Selfieproduktion interessierte, etwa 15-jährige "Cuties" und als Rivalin die gleichaltrige Rosa, die nicht ganz zu Unrecht als Lara Croft bezeichnen wird, sie ist "die Neue", die "andere", der Gegenpart zu der Scheinwelt der langhaarigen Makeup-Selfie-Smoothie-Identitäten. Schauplatz der Handlung sind die Gänge der Mall, ein Elektrofachmarkt, ein Brillenhändler und allem voran die mit Steckdosen und Free Wifi ausgestatteten Sitzinseln des Einkaufszentrums.
Rosa flüchtet nach einem Streit um ein zerstörtes Smartphone vor den Cuties in den Elektrofachmarkt und bekommt dort Unterstützung von einem gleichaltrigen Jungen namens Agan, als sie ihr Werkzeug, das Sketchpad, verliert. Damit beginnt eine Romanze. Doch die Cuties wollen sich für Rosas Instagram-Bashing rächen. Zuerst initiieren sie einen dramatischen Ausfall von Rosas digitaler Identität in der Mall. Bei dem Spaziergang mit Agan anderentags in Museum und Skulpturengarten scheint die Welt wieder in Ordnung. Doch die Cuties verfolgen das Paar sogar ins Museum und löschen am Ende die Identität Agans. So bleibt Rosa alleine zurück.
Dass hier das Museum gegenüber der Mall als der bessere öffentliche Ort dargestellt wird und die digitale Welt als zerstörerisch, könnte man als allzu didaktisch empfinden – aber es nervt kein bisschen. Deshalb nicht, weil alles in diesem Projekt so nah an die Realität gekoppelt ist und künstlerischer Auftrag, Handlung, Ort, Museumskultur, Protagonisten und Zeitgeist so viele sinnstiftende Bezüge untereinander haben. Die Meisterschülerin von Hito Steyerl, die sich in ihren Werken häufig mit medialen Bildern, Konsumwelt und Jugendkultur auseinandersetzt, hat "Powerbanks" als ein ortsspezifisches, community-orientiertes Projekt treffsicher umgesetzt.
Es zahlt sich aus, dass Britta Thie sich den Jugendlichen vor Ort mit viel Aufwand genähert hat. Über die Instagram-Tags des Einkaufszentrums und der örtlichen Tanzschule sowie Anfragen bei Schulen hat das Team um die Künstlerin die Protagonisten für den Film gefunden. Das Medienkaufhaus Saturn war bereits Kulisse früherer Arbeiten von Thie, wie der für die Schirn Kunsthalle produzierten Web-Soap "Translantics". Dass die Mall Treffpunkt ist und demgegenüber das Museum Abteiberg und der Skulpturengarten eben keine Rolle im Alltag von Jugendlichen spielt – obwohl es sich dazu anbietet –, nahm sie zum Anlass, eine Schnittstelle zu schaffen, die Kunst und Real-Raum zugleich ist.
Klüger als Marketing ist nur Kunst selber. In diesem Sinne gestaltete die Berlinerin fünf sehr spezielle Skulpturen für das Foyer des Museumbaus von Architekt Hans Hollein: Es sind real benutzbare "Powerbanks" die im Format der Mall-Sitzinseln und unter Zuhilfenahme des Kleidungsstil einzelner Protagonisten (es gibt die Powerbank Rosa, die Powerbank Agan etc.) gestaltet wurden. Zu jeder Powerbank gehört ein Bildschirm, auf dem der Film läuft. Der Clou: Die Skulpur-Möbel haben funktionierende Steckplätze für alle möglichen Geräte, und für die Dauer der Ausstellung gibt es Wifi und freien Eintritt für Jugendliche unter 20.
Jetzt gibt es also im Museum Abteiberg alles, was es auch in der Mall gibt, außer dem Konsumangebot. Ob dieses Konzept angenommen wird, lässt sich erst am Ausstellungsende feststellen. Wie großartig wäre es, wenn es am Bahnhof demnächst hieße: "Wir sehen uns später im Museum!"