Nächste Woche will Theresa May dem britischen Parlament zum vierten Mal einen Brexit-Deal vorlegen - der aller Wahrscheinlichkeit nach auch dieses Mal abgelehnt werden wird. Gegen diese Endloswiederholung im politischen London wirkt jeder Zeitschleifen-Film atemberaubend abwechslungsreich. Wenn Politik selbst absurder ist als Performancekunst, stellt das Künstler vor große Herausforderungen. Die Britin Kasia Fudakowski, die in Berlin lebt und arbeitet, setzt sich mit dem Brexit als große Unterhaltung auseinander. Ihre Performance "Brexit (TBC)" an der Volksbühne, in der sie politische Spaltung am Publikum illustrierte und Popsongs zu elegischen Brexit-Gedichten umwandelte, sollte eigentlich am Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU stattfinden. Aber der Brexit hat sich bekannterweise als unendliche Geschichte entpuppt. Ein Gespräch über die künstlerischen und persönlichen Folgen des Referendums.
Kasia Fudakowski, im Moment bietet die Politik mehr Drama als man sich ausdenken könnte. Das FPÖ-Ibiza-Video ist so absurd, dass man gar keinen Künstler zutrauen mag, dahinter zu stecken. Und der Brexit hat alles, was eine große Tragödie braucht. Wie kann man darüber noch Kunst machen?
Es macht es auf jeden Fall schwierig, aber auch sehr relevant. Es führt dazu, dass niemand vermeiden kann, eine Meinung zu haben. Es passiert nicht woanders. Politik kommt uns nahe und die Leute sind betroffen. Es ist nicht nur ein Diskurs, sondern ein Teil des echten Lebens. Diese Situation führt auch zu bemerkenswerten Umkehrungen. Mich interessiert Comedy, und wir sehen gerade, dass Comedians zu investigativen Journalisten werden. Sie machen die Dinge ernster, weil die Realität bereits die Satire ist.
Sie haben schon 2016 eine Ausstellung mit dem Titel "Exitainment" gemacht. Was kann man sich darunter vorstellen?
Ich habe zum Beispiel mit Stuck gearbeitet, wie er in Altbauten vorkommt. Erst an den abgeschnittenen Enden sah man, dass die Form das Profil von Boris Johnson oder David Cameron ergab. Ich mochte den Gedanken, dass man die ganze Zeit mit etwas lebt, aber erst realisiert, was es ist, wenn man es aufschneidet. Der Titel "Exitainment" bezieht sich auf belangloses Fernsehen, das man vor dem Ausgehen schaut. Das passt zu der Art, wie man den Brexit konsumiert.
Unterstützt Kunst diesen Unterhaltungscharakter von Politik?
Ich bin mir nicht sicher, ob Kunst gerade wirklich so affektgesteuert ist, das wäre aber ein anderes Thema. Kunst trägt im Moment natürlich nicht zu einer ausgewogenen Debatte bei. Als ich meine Brexit-Performance an der Volksbühne gemacht habe, wusste ich schon, dass ich zu denen predige, die sowieso schon meiner Meinung sind. Ein solches Event ist sozusagen entmilitarisierte Zone. Samstagabends in Berlin gehen höchstwahrscheinlich nur Remainer ins Theater, also Leute, die gegen den Brexit gestimmt haben. Ich wollte eigentlich einen Leaver auf die Bühne bringen, oder einen Schauspieler, der sehr gute Argumente für den Brexit hat. Es ist so leicht anzunehmen, dass die andere Seite einfach dumm ist. Aber dann wollte ich doch keine Apologetin des Brexit sein. Es ist so schwierig, ausgewogen zu sein, wenn die eigene Position so stark ist.
In der Kunst gehört es gerade zum guten Ton, sich für Europa zu positionieren. Ist das auch eine Blase, in der man sich generell im Recht fühlt und alles Abweichende für dumm hält?
Ja, bestimmt. Aber ich finde auch nicht, dass Künstler die Fußsoldaten der Gesellschaft sein sollten, die "auf die andere Seite" geschickt werden und Missionare sein sollen. Die Künstler sollten nicht „die Botschaft“ überbringen müssen oder mit Propheten verwechselt werden. Das macht unfrei.
Gibt es gute Pro-Brexit-Kunst?
Vielleicht in einem anderen Universum. Ich bin leider sehr parteiisch und sehr Anti-Brexit. Vielleicht kann ich es mir nur nicht vorstellen. Das einzige, was alle vereinen könnte, ist, die den Verantwortlichen für das Referendum die ballte Wut über ihren Verrat entgegen zu schleudern . David Cameron schreibt gerade seine Memoiren und der Erscheinungstermin wird immer weiter nach hinten verschoben. Ich komme nicht über die fundamentale Dummheit hinweg, den Menschen in Großbritannien diese unglaublich komplexe Frage auf diese einfache Art zu stellen. Ich halte es für kriminell, und er übernimmt kein Gramm Verantwortung. Vielleicht könnte aus der Wut darauf etwas Produktives entstehen, was überparteilich ist.
Und gute Anti-Brexit Kunst?
Ich habe eher das Gefühl, dass Künstler das Thema meiden, zumindest in Großbritannien. Vielleicht, weil es so präsent ist. Ich finde Comedians haben die interessantesten Kommentare, zum Beispiel Bridget Christie. Es ist so schwierig, weil Kunst zum Brexit thematische Kunst ist, die schnell irrelevant wird.
In Ihrer Performance an der Volksbühne ging es auch darum, dass der Brexit in jeden Winkel Ihres Lebens vorgedrungen ist. In welcher Hinsicht?
Was ich ausdrücken wollte, war, dass der Brexit einerseits eine Farce ist, über die man lachen kann und es auch tun sollte, aber dass er eben auch tragisch ist. Diese furchtbare Spaltung von Familien ist real und es scheint, dass in absehbarer Zeit keine Einheit zwischen Remainern und Leavern möglich sein wird. Der Riss geht bis in die intimsten familiären Beziehungen hinein. Ich habe auf der Bühne über meine Familien-WhatsApp-Gruppe gesprochen, in der es beide Lager gibt. Das hat völlig verändert, worüber wir reden und was wir miteinander teilen können. Weihnachten in ganz Großbritannien war nach dem Referendum anders. Für viele war es ein Schock, wer in ihrer Umgebung für Leave gestimmt hat. Wie in einem Zombie-Film: Oh mein Gott, du bist einer von ihnen. Darunter sind Leute, die man liebt und die nicht dumm sind. Man muss sich neu ausrichten, und das ist noch nicht passiert. Es ist so viel Stolz im Spiel.
Sie lassen Ihr Publikum auch umgedichtete Karaoke-Songs zum Brexit singen. Aus "Backstreet’s Back, Alright" wird "Backstop's Back". Ist das Singen eine gemeinsame kathartische Erfahrung?
Ich musste an den Texten gar nicht viel machen. "Stairway To Heaven" zum Beispiel ist ziemlich passend. Das einzige, was ich ändern musste war "And she’s applying for a passport in Ireland" statt "And she's buying a stairway to heaven". Auch die "May Queen" kommt darin vor, das ist erstaunlich. Ich wollte vorführen, wie wir die Politik als Entertainment und Freakshow aufsaugen und wie gut sie als Theater funktioniert. Außerdem sollte eine Stimmung von Peinlichkeit entstehen. Die beschämten Engländer müssen singen und alle schauen zu. Sie genießen die Qual der Briten. Das schien mir ein passendes Bild zu sein.
Wofür genau?
Es gibt eine plötzliche Faszination der Deutschen für Engländer. Alle wollen, dass man den Brexit kommentiert. Auf einmal hat man ein Label und soll etwas zu sagen haben. Das ist interessant, vor allem, weil ich schon zwölf Jahre nicht mehr in Großbritannien lebe. Ich würde in England wahrscheinlich völlig anders arbeiten. In der Kunstwelt sind wir außerdem so anpassungsfähig, dass keine Grenzüberschreitung mehr funktioniert. Das einzige Gefühl, das man noch immer von einem Publikum bekommen kann, ist Fremdscham. Lieber sollen die Leute etwas Echtes fühlen, anstatt innerlich zu seufzen, weil sie das alles schon kennen.
Ist das eine Parallele zwischen Politik und Performance-Kunst, dass das Publikum sich schnell an den Ausnahmezustand gewöhnt?
Ja, das ist die Gefahr. Man vergisst, empört und wütend zu sein. Es wird langweilig. Man kann dieses hohe Level an Drama nicht aufrecht erhalten. Ich wette, dass selbst die Politiker das Brexit-Erschöpfungssyndrom haben.
Kann Kunst helfen, wütend zu bleiben? Oder macht sie nur ein besseres Gewissen?
Ich denke sie kann immer wieder daran erinnern, das Ganze zu reflektieren. Wer inszeniert das Drama? Wer schaut zu? Die Politik will ja durch Langeweile ablenken. Ich denke manchmal, wenn die Regierung jetzt aufdecken würde, dass alles nur ein Scherz war, wäre das wirklich gute Performance-Kunst. Dann hätte sie so viele Leute aus der Apathie geholt. Ich würde sofort aufhören, Kunst zu machen.
Und falls Sie doch weitermachen müssen: Planen Sie noch andere Brexit-Projekte?
Eine Freundin hat gesagt, dass meine Arbeit viel politischer geworden ist. Das war keine bewusste Entscheidung, aber es stimmt wohl. Ich arbeite an einem Film, in dem es darum geht, dass das Ansteigen der Meeresspiegel damit zusammenhängt, wie viele Worte wir sprechen. Also hat jeder Mensch nur noch 433 Worte pro Tag, angelehnt an John Cages stummes Stück "4’33". Durch diesen Filter kann man wunderbar auf die jetzige Welt schauen. Deutsche haben kein Problem, weil sie alles zu einem Wort zusammenbauen. Die Macht der Komposita. Sie würden Europa wirtschaftlich beherrschen. In England gäbe es ein Klassensystem, indem die Elite mehr Wörter hat, und alle das irgendwie okay finden. Die USA würden Kontingente aus anderen Staaten aufkaufen und ganze Länder würden stumm werden. Also ja, Geopolitik spielt weiter eine Rolle in meiner Arbeit.