Hedy-Lamarr-Doku auf Arte

Ekstase und Erfindung

Hedy Lamarr
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Hedy Lamarr

Alexandra Dean hat mit "Geniale Göttin - Die Geschichte von Hedy Lamarr" einen Dokumentarfilm über das Doppelleben eines schwer unterschätzten Hollywoodstars gedreht. Jetzt läuft der Film auf Arte

Hollywoodstars sind häufig anders gestrickt, als ihr Image glauben lässt. Das war vor der New-Hollywood-Ära noch keine Binse. Schließlich wachte bis in die 60er hinein ein mehr oder weniger totalitäres Studiosystem darüber, was die Öffentlichkeit über das Privatleben etablierter Stars wissen durfte. Der Anteil an Fake News war immens. Rock Hudson konnte nur als stockhetero gelten, Ava Gardner hatte selbstverständlich kein Alkoholproblem. Doch auch später überraschten die Hobbys und Nebentätigkeiten der Schauspielgrößen die Fans. Paul Newman als Lebensmittelproduzent? Sylvester Stallone als Maler, der für Malewitsch und Francis Bacon schwärmt? Beides ist wahr.

Die unglaublichste aller Hollywood-Backstage-Stories ist die von Hedy Lamarr (1914-2000). Anders als bei Newman und Stallone tritt bei ihr eine Art "Frauen-Malus" hinzu: Weiblichen Stars traute man abseits des Kinder-Küche-Kirche-Dreiecks (übrigens war Marlene Dietrich eine begnadete Köchin) traditionell wenig Innovation und Intelligenz zu. Lamarrs ironisches Schauspielerinnen-Credo lautete denn auch: "Du musst nur stillstehen und dumm gucken." Daran hat sich die in Österreich-Ungarn geborene Hedwig Eva Maria Kiesler vor der Kamera meistens gehalten. Vor der Kamera. 

Abseits des Studios entwickelte Lamarr gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil im Zweiten Weltkrieg eine codierte Funkfernsteuerung für Torpedos, die 1942 patentiert wurde, aber bis Kriegsende nicht zum Einsatz kam. Lamarrs geniale Idee des Frequenzsprungverfahrens, das die Projektile für Störmanöver unempfindlich machen sollte, wurde ab Mitte der 1950er-Jahre vom US-Militär genutzt, ohne dass die Urheberin dafür gewürdigt oder finanziell beteiligt worden wäre. Heute ist Lamarrs "frequency hopping" unabdingbar für eine sichere Kommunikation. Der Marktwert der für GPS, WLAN und Bluetooth genutzten Technik wird auf 30 Milliarden US-Dollar geschätzt, heißt es am Ende des Dokumentarfilms "Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr" von Alexandra Dean.

Der große Durchbruch der "anderen Lamarr"

Sicher kannte man ihre Erfindung vom Hörensagen, wusste von ihrem "Doppelleben" vielleicht auch schon durch den früheren Dokumentarfilm von 2006 "Hedy Lamarr – Geheimnisse eines Hollywoodstars". Außerdem hat Michaela Melían der Schauspielerin und Erfinderin mit "Life as a Woman" (2001) eine Installation gewidmet, in der die Künstlerin Glamour und biografische Tatsachen ineinanderblendete. Aber Alexandra Deans "Bombshell" – so der etwas reißerische US-Originaltitel – bedeutet nun wohl den wirklich großen Durchbruch der "anderen Lamarr".

Es lohnt sich, den Auftritt der Schauspielerin in der "Merv Griffin Show" im Jahr 1969 auf Youtube anzusehen und nachzuerleben, wie sie auch mit Mitte 50 noch auf Männer wirkte. Eine Frau von blendender Schönheit, deren intellektuelle Brillanz genau deshalb weit unterschätzt wurde. Das Filmporträt zeigt im knappen Zusammenschnitt, wie sich die Schauspielerin, die zehn Jahre lang nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit gestanden hatte, in der Talkshow präsentierte. Sie kündigt ein Buch an, in dem sie eine unbekannte Seite von sich enthüllen wollte. Moderator Griffin und sein Talkgast Woody Allen gehen witzelnd darüber hinweg. Nach kurzer Plauderei über die üblichen Äußerlichkeiten wird die Besucherin hinauskomplimentiert. Das Buch hat Hedy Lamarr nie geschrieben.


Die 1914 in Wien geborene Schauspielerin entfachte mit Nacktszenen in Gustav Machatys Spielfilm "Ekstase" (1933) einen Skandal. Ab 1938 reüssierte sie in Hollywood, doch schon "Samson und Delilah" von Cecil B. DeMille war nicht nur ihr größter, sondern auch ihr letzter Erfolg. Ihr Ruhm als "most beautiful girl in the world" war größer als die Qualität ihrer Filme.

Aber es gibt eben die Undercover-Geschichte der unterforderten Traumfabrik-Arbeiterin, die eine Erfinderin war. Alexandra Dean hakt genauer nach und überzeugt durch manche Präzisierung im ingenieurstechnischen Bereich. Die Animationen der Illustratorin Jennifer Hom machen auch Laien begreiflich, wie die Frequenzsprungtechnik und ihre Anwendungen funktionieren. Allerdings führt der feministische Furor, mit dem Dean zu Werk geht, mitunter zu einer Art visuellen Schnappatmung. Es wirkt hektisch, wenn die Filmemacherin nahezu jede inhaltliche Aussage und jeden O-Ton-Schnipsel mit einem passenden (Archivfilm-)Bild oder Diagramm unterfüttert. Dabei ist der Film formal wenig erfinderisch, Dean setzt auf einen Mix aus Filmclips, Archivmaterial und Talking Heads. Wobei sich die Gründe for eine Mitwirkung von Prominenten wie Diane Kruger oder Mel Brooks kaum erschließt. Interessanter sind die Perspektiven der Familienmitglieder; Lamarr war siebenmal verheiratet, hatte zwei leibliche Kinder und einen Adoptivsohn. Ihre Lebensgeschichte würde als Filmskript vermutlich abgelehnt: zu absurd.

1933, im Jahr des "Ekstase"-Skandals, heiratete die Tochter wohlhabender Juden den Wiener Waffenfabrkanten Fritz Mandl, der trotz seiner jüdischen Herkunft Geschäfte mit Nazi-Deutschland machte und vergeblich versuchte, sämtliche "Ekstase"-Kopien aufzukaufen. 1937 entkommt sie dem goldenen Käfig in den Kleidern eines Dienstmädchens über Paris nach London und bucht mit ihrem letzten Geld eine Passage auf einem Luxusliner nach New York. Ihr Kalkül, mit dem an Bord befindlichen Hollywood-Studioboss Louis B. Mayer bekannt zu werden, ging auf: Bei der Ankunft in der USA hatte sie einen Vertrag mit MGM in der Tasche und einen neuen Namen. Als Hedy Lamarr verschwieg sie in Hollywood ihre jüdische Herkunft. Ihr Erfindertalent war ebenso wenig gefragt. Stattdessen schickte sie Mayer auf Kriegsanleihen-Tour. 

Korrektur für das Bild der "Sexbombe"

Im Gegensatz zu Ingrid Bergman oder Katharine Hepburn ist Hedy Lamarr aber nicht als große Aktrice in die Filmgeschichte eingegangen. Vielleicht mangelte es ihr an Schauspieltalent, vielleicht wurde sie aber einfach auch nur unterschätzt und dementsprechend wenig gefördert. Wie die anderen Materialien sind auch die Filmausschnitte wenig mehr als ein Schmiermittel für die rasende Doku-Maschinerie. Es mag rechtliche Gründe geben, dass Lamarrs Filme nur kurz zitiert werden. Bedauerlich ist das Stückwerk auf jeden Fall, insbesondere angesichts von Machatys wunderbar lyrischem Ehedrama "Ekstase", von dem man gerne eine längere Passage gesehen hätte.

Rund 20 Filme später versuchte sich die Schauspielerin in den späten 1940er-Jahren als Filmproduzentin, scheitert jedoch in diesem Metier. Auch das ist eine Lamarr-Episode, von der man wenig wusste – eine von vielen Facetten, aus denen das schillernde Porträt einer "genialen Göttin" aufscheint. Lamarrs letzte Jahre sind von Medikamentensucht und missglückten Schönheitsoperationen überschattet. "Gedanken sind wichtiger als Aussehen", hatte sie behauptet, sich am Ende aber doch an Äußerlichkeiten geklammert. Wie sie selbst sagte, war sie "eine ganz einfache, komplizierte Frau". Denn selbst noch auf dem OP-Tisch meldete sich der Star noch mit innovativen Ideen in eigener Sache zu Wort. Andere Altstars verlangten später Beauty-Korrekturen à la Lamarr.

Jetzt ist es an der Zeit, das irrige Bild der "Sexbombe" zu korrigieren.