Es ist nur ein Gedicht eines Satirikers und Fernsehmoderators. Doch Jan Böhmermann löste damit 2016 nicht nur einen diplomatischen Eklat aus, sondern auch diverse Gerichtsverfahren. Und das Prozessieren hat noch kein Ende. Im Mittelpunkt der nächsten juristischen Auseinandersetzung geht es nicht mehr um den eigentlichen Text, der sich gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan richtete. Es geht um die kritische Bewertung des Gedichts durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die von "bewusst verletzend" sprach.
Geklagt hat Böhmermann nun gegen Merkel, um ihr diese Worte gerichtlich untersagen lassen. Statt Kritik hatte er damals Unterstützung des Staates für die Freiheit von Kunst und Satire erwartet. Das will er vom Berliner Verwaltungsgericht bestätigt haben. Am 16. April wird das Urteil erwartet.
Um die aktuelle Klage zu verstehen, muss man bis in den März 2016 zurückblicken. In einem Lied hatte sich zuvor das Satire-Magazin "extra 3" (NDR) über Erdogan lustig gemacht - und diplomatische Verstimmungen verursacht. Böhmermann geht noch weiter. In der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" liest er ein Gedicht über Erdogan vor. Inhaltlich dreht es sich um abartige sexuelle Praktiken mit Tieren und Kindern, ergänzt mit weiteren Beschimpfungen des Präsidenten und einzelnen politisch-kritischen Bemerkungen.
Der Vortragsstil und die Häufung der primitiven Beschimpfungen lassen den satirischen Charakter der Zeilen leicht erkennen. Zwischendurch muss Böhmermann selber lachen. Er wollte, wie er sagt, mit den grobschlächtigen Reimen den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik verdeutlichen.
Erdogan schäumt. In Deutschland beginnt eine wochenlange Debatte und die Türkei verlangt rechtliche Schritte. Die Bundesregierung macht den Weg für ein Strafverfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes frei. Merkel nennt das Gedicht "bewusst verletzend", wie ihr Sprecher offiziell mitteilt.
Böhmermann taucht erstmal ab und steht zeitweise unter Polizeischutz. Später resümiert er allerdings: "Wenn ein Trottel wie ich mit einem Witz - und sei er noch so geschmacklos - die Bundesregierung ins Schwitzen bringen kann, hat das ja etwas sehr Demokratisches."
Die Ermittlungen wegen Beleidigung werden im Herbst 2016 eingestellt. 2017 beschließt der Bundestag sogar, den sogenannten Majestätsbeleidigungs-Paragrafen 103 aus dem Strafgesetzbuch ganz abzuschaffen. Das Hamburger Landgericht verbietet Böhmermann 2017 allerdings, bestimmte "ehrverletzende" Verse des Gedichts zu wiederholen. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) bestätigt das später. Böhmermanns Anwalt kündigte umgehend an, Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) in einlegen zu wollen. Notfalls gehe man bis vor das Bundesverfassungsgericht.
In der Debatte vermisst Böhmermann besonders Unterstützung von Merkel für sich und die Satirefreiheit. "Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um die Meinungsfreiheit geht", sagt er der "Zeit". "Stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht." Überhaupt redet Böhmermann bisweilen sehr ernst über das ganze Thema - die übliche Dauerironie seines Berufsstandes streift er oft ab.
Merkel gibt dann knapp drei Wochen nach ihrer ersten Kritik einen Missgriff zu. Sie ärgere sich selber über ihre Worte "bewusst verletzend", sagt sie. Weil der Eindruck entstanden sei, dass ihre "persönliche Bewertung zu irgendetwas" eine Rolle spiele. "Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler."
Böhmermann reicht das nicht aus. Seine aktuelle Klage richtet sich explizit gegen das Kanzleramt und Merkels damalige erste Kritik. Er will nun der Kanzlerin per Gericht untersagen lassen, die Worte öffentlich zu wiederholen. Wird dieser Hauptantrag abgewiesen, will er in einem zweiten Antrag feststellen lassen, dass die Einschätzung Merkels rechtswidrig gewesen sei. So erklärt es ein Gerichtssprecher.
Weder Böhmermann noch sein Manager und seine Anwälte und auch Merkels Sprecher wollten am Dienstag zu dem Fall etwas sagen. Zu hören war nur, es gehe bei der Klage auch um die Neutralitätspflicht des Staates und den Schutz für Presse- und Kunstfreiheit.
Ein Regierungssprecher teilte mit: "Wir bitten um Verständnis, dass sich die Bundesregierung zu anhängigen Verfahren nicht äußert." Nur eins war klar: Merkel wird am 16. April nicht persönlich vor Gericht erscheinen. Das Bundeskanzleramt wird durch einen Anwalt vertreten.