Am Ende von "Munch" bekommt man in einer Einblendung die Info, der Künstler habe mehr als 30.000 Werke geschaffen. Endlich, denkt man, denn viel mehr an biografischen Fakten sickert durch das avantgardistisch-flüchtige Szenengewebe nicht durch. Selbst der für Munch traumatische Tod seiner älteren Schwester wird nur angedeutet. Dafür herrscht an Zeitsprüngen kein Mangel. Der norwegische Regisseur und Autor Henrik Martin Dahlsbakken konzentriert sich auf vier Episoden, die er zusammen mit vier Mitsreitern geschrieben hat. Gespielt werden die unterschiedlich alten Künstlerversionen von vier verschiedenen Schauspielern.
Der junge Edvard Munch verliebt sich mit 21 Jahren in die verheiratete Milly. Es ist Sommer, die Farben leuchten im Scope-Format, die Kamera streift mit dem Einzelgänger und Vollwaisen durchs hohe Gras. Zukunft hat die unglückliche Beziehung nicht. Mit 30 reist er nach Berlin, trinkt exzessiv und kritzelt eine erste Version seiner Ikone "Der Schrei" auf den Boden seines Ateliers. Auf Einladung des Vereins Berliner Künstler stellt er erstmals aus. Es ist die Schau, die wegen ihrer frühzeitigen Schließung als "Der Fall Munch" in die Kunstgeschichte einging.
Dass dies alles in der Gegenwart des heutigen Kreuzberg geschieht und man dem Stammgast von Technopartys in verfallene Fabriken folgt, verwundert nicht weiter. Denn Dahlsbakken lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass Munch seiner eigenen Zeit weit voraus war. Kein Wunder also, dass das unverstandene Genie 15 Jahre später in einer Nervenklinik landet. Das Bild wechselt nun zu Schwarz-Weiß im 4:3-Format, das die Enge seiner düsteren Stimmung spiegelt.
Lückenhaftes Lebensmosaik
In der finalen Episode spielt eine Frau den inzwischen arrivierten Großkünstler. 1943 halten deutsche Truppen Oslo besetzt. Der 80-Jährige bekommt in seinem mit Bildern vollgestopften Haus Besuch von einem Nazi-Offizier, den es offenbar nicht stört, dass unzählige Werke des Malers im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt wurden. Er wittert ein Geschäft und zeigt sich unbeeindruckt. Ob er nicht ins bildhauerische Fach wechseln wolle, fragt er den Greis. Ein Schlag ins Gesicht, der den empfindsamen Munch in Rage bringt.
Wieder gerät die Perspektive durcheinander und die Bilder fallen buchstäblich aus dem Rahmen, wenn sich jump cuts auf die Spur von Bewusstseinsaussetzern machen. Dahlsbakken erkennt die sich wiederholenden Erfahrungen von Ablehnung als Ursache für Munchs Wahnsinn. Wie groß der Anteil der gesellschaftlichen Strömungen der Zeit an dem inneren Elend dieser verletzten Seele ist, interessiert ihn aber leider nicht sonderlich.
Weshalb man auch vergeblich auf Momente wartet, in denen der Bruch des Außenseiters mit der Tradition sichtbar wird. Selbst seine Kunst fristet ein Schattendasein und taucht in dem Leidensepos, das ohne Auszüge aus den Tagebüchern oder Äußerungen seiner Kritiker auskommt, kaum auf. Trotzdem ist das Stimmungs-Wirrwarr sehenswert: als unkonventionelles, lückenhaftes Lebensmosaik, das sich niemals erschöpfend schließen lässt.