Billie Eilish ist kein glattgebügelter Teen-Pop-Star. Die Songs, die sie gemeinsam mit ihrem Bruder und Produzenten Finneas im heimatlichen Kinderzimmer schreibt, scheren sich nicht um konventionelle Song-Strukturen und behandeln Themen wie Liebeskummer, Selbsthass und Suizidgedanken mit einer Destruktivität, die den brutalen Optimismus der späten 2010er-Jahre durcheinanderwirbelte.
Eilish, die ihren Durchbruch 2015 im Alter von 15 Jahren feierte, ist Teil der "Generation Z". Spätestens mit ihrem Debütalbum "When we all fall asleep where do we go?" wurde sie 2019 zur Stimme einer Jugendkultur, deren offener Umgang mit psychischen Beschwerden und Vorliebe für morbide Ästhetiken bis dato kein Gehör im Mainstream-Pop gefunden hatte. Eilish thematisiert offen ihre Depressionen und ihre Tourette-Erkrankung und schützte sich mit extrem weiten Streetwear-Looks gleichsam gegen ihre eigene Dysmorphophobie und die lauernden Blicke einer sexualisierenden und bodyshamenden Celebrity-Kultur. In ihren Musikvideos, bei denen sie seit kurzem selbst Regie führt, tropft schwarze Flüssigkeit aus ihren Augen, Vogelspinnen kriechen aus ihrem Mund, und Teer verklebt ihre schwarzen Engelsflügel.
Angesichts all dessen ist es erstaunlich, wie konventionell das Fotobuch daherkommt, das die inzwischen 19-jährige Sängerin kürzlich veröffentlichte. Der Bildband entstand im Corona-Lockdown am Rande einer abgesagten Welttournee im Frühjahr 2020. In den sozialen Medien begegneten einem allerorts Kindheitsfotos, gepostet von non-essential workers, die mangels frischer Inhalte und ob der plötzlichen Langeweile in Erinnerungen schwelgten. Auch Billie durchforstete zu dieser Zeit ihr persönliches Familienarchiv und beschloss, die Bilder zu einer visuellen Geschichte ihres bisherigen Lebens aneinanderzureihen. "Es soll wie ein Fotoalbum sein, das auch von euch stammen könnte", schreibt sie im Vorwort.
Bilder einer behüteten Mittelklasse-Kindheit
Und tatsächlich zeugt die erste Buchhälfte von einer behüteten Homeschooling-Kindheit, die sich so auch in tausenden anderen US-amerikanischen Mittelklasse-Haushalten hätte abspielen können. Billie begegnet uns als Baby mit strahlend blauen Augen; als kleines Kind, das Spinnen und Schlangen liebt; stets begleitet von ihren Eltern, dem Familienhund Pepper, ihren besten Freundinnen und ihrem Bruder Finneas, dem sie sich von Beginn an tief verbunden fühlt. Wie in jeder Musik-Biografie wird dabei immer hervorgehoben, wie früh Billie die Liebe zum Musizieren entdeckte. Wir sehen sie am Klavier, mit Spielzeugmikrofon in der Hand und auf der Bühne bei einem Talentwettbewerb, wo sie im Alter von sechs Jahren "Happiness Is A Warm Gun" singt. Dazu kommen Aufnahmen wie das mit der Spiegelreflexkamera aufgenommene Porträt einer strahlenden Billie, die man sich unweigerlich gerahmt auf dem wohnzimmerlichen Kaminsims vorstellt.
Langsam wird Billie zum Teenager. Wir sehen, wie sie mit dicken Kajal-Strichen unter den Augen ein Selfie mit ihrem von einer Justin Bieber-Handyhülle geschützten iPhone schießt und im Kinderzimmerbett unter einer Wand voller Justin-Poster liegt. Zwei mit unzähligen Spezialeffekten bearbeitete Fotomontagen zeigen Billie, wie sie ihrem Idol die Hand reicht. Etwas später bleicht sich Billie ihre Haare weißblond und weigert sich, in die gleiche Uniform wie die anderen Mitglieder ihrer Chorgruppe zu schlüpfen. Mit ihrer neuen Frisur und ihrem neongelben Sweatshirt sticht sie hervor aus einem Meer an roten Anzugswesten.
Als Ausdruck der leicht unbeholfenen und zutiefst von Tumblr geprägten Jugendkultur der späten 2000er-Jahre gehören derartige Bilder zu den charmantesten Aufnahmen des Buchs. Für Nicht-Fans interessant sind sie darüber hinaus allerhöchstens als Relikte einer Heimfotografie-Ära im Umbruch zwischen Film- und Digitalkamera.
Fans als Familie und Kunden
Aber dieses "Ihr", an das Billie Eilish ihr Buch adressiert, meint ohnehin ausschließlich ihre Fans. Anders als der kürzlich von Apple veröffentlichte Dokumentarfilm "The World’s A Little Blurry" will dieses Buch keinen Meta-Blick auf Billies Werdegang werfen, keine Fragen nach den Herausforderungen junger Berühmtheit stellen, es will nicht einmal eine distinkte Ästhetik umsetzen. "Ich möchte (...) nicht alles erklären," schreibt Eilish, "ich möchte euch einen großen Stapel Fotos in die Hand drücken, die für sich selbst sprechen." Die sporadisch auftauchenden Bildunterschriften ("Echte Fans", "Musik machen am Flughafen") wirken gerade im Vergleich zu ihrem Songwriting unterkomplex. Dass Phrasen wie "echter KID-Shit" für die deutsche Ausgabe in einen ungelenken Deutsch-Englisch-Mischmasch übersetzt wurden, macht die Kommentare stellenweise schwer erträglich.
Spannend ist der Bildband jedoch in seiner Rolle als Familienalbum. Eilish erzählt ihr Leben ebenso nonchalant, wie ganz normale Teenager es untereinander tun würden – auch dann noch, als sie in Japan Takashi Murakami trifft, vor ausverkauften Stadien spielt und an ihrem 17. Geburtstag beim Videodreh mit ihrem Traumauto überrascht wird ("DER BESTE MOMENT MEINES LEEEEEEBENS"). Wer dem Gefühl, gemeinsam durchs Fotoalbum zu stöbern, noch näher kommen will, kann sich zum Buch eine exklusive Audio-Aufnahme dazukaufen, in der Eilish und ihre Mutter die einzelnen Aufnahmen kommentieren.
So wie Billie einst an Justin Bieber haben Teenager ihr Herz seit Anbeginn der Popmusik an ihre Idole verschenkt. Doch durch die verstärkt nach außen getragene Verletzlichkeit und den ständigen Einblick in den privaten Alltag anhand von sozialen Medien fühlt sich die parasoziale Beziehung zwischen Fans und Ikonen heute wechselseitiger denn je an. Besonders deutlich wird das auf den Aufnahmen von Eilishs Fans bei ihren Konzerten. Ihre Schilder sind beschriftet mit Aussagen, die man genau so auch an eine depressive Freundin richten könnte: "We need you", "We wanna see you", "We’re here to stay", "We care for you". Eilish schreibt dazu: "My sweet family." In einer Szene in "The World’s A Little Blurry" erwidert sie von der Bühne hinab die bestärkenden Worte: "You guys need to be okay, because you all are the reason I’m okay." Man glaubt es ihr aufs Wort. Es ist dem Zynismus moderner Konsumkultur geschuldet, dass die Familienmitglieder trotz allem Kunden bleiben und das Fotoalbum zur Ware wird.