Volkmar Kühn ist von diesem Ort nicht mehr wegzudenken. Mit seinen Skulpturen ist der Bildhauer in vielen Städten präsent - ob in Gera, Rudolstadt, Paulinzella, Erfurt oder Berlin. Doch hier, rund um das Kloster Mildenfurth südlich von Gera hat er einen eigenen mystischen Kosmos erschaffen. Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Geschichte des Klosters und späteren Schlosses zurück. Seit den 1960er Jahren wohnt und arbeitet Kühn hier als Künstler und hat die Anlage nach und nach mit seinen Skulpturen bevölkert, setzt damit das historische Gemäuer in Bezug zu heutiger Kunst. Am Donnerstag (27. Juli) wird Kühn 75 Jahre alt.
Bei einer Radtour sei er zufällig an dem Kloster vorbeigekommen, als er nach dem Studium an der Leipziger Fachschule für Angewandte Kunst in Gera wohnte. "Da hat es hier gebebt", erinnert er sich und zeigt auf seine Brust. Er baut schließlich ein ehemaliges Stallgebäude auf dem Areal zu Atelier und Wohnung um. Manchmal stellt er sich Besuchern des Klosters verschmitzt als dessen Hausmeister vor.
Sein Sujet sind der Mensch und das Tier - mitunter auch Zwitterwesen aus beidem. Kühn setzt seine Figuren in Beziehung zueinander, schafft Szenerien, in denen er durch einzelne Gesten Spannung aufbaut. Beispielhaft steht dafür seine jüngere Bronze-Arbeit mit dem Titel "Begegnung mit ungewissem Ausgang", bei der eine Frauen- auf eine Männergruppe trifft. Während eine der Figuren die Arme ausbreitet, haben andere eine Abwehrhaltung eingenommen. Seine Figuren liegen in Klammern, sind Grenzgänger, wandeln auf schmalen Graten oder stehen als Kreuzmensch mit weit ausgereckten Armen, den Blick gen Himmel gerichtet.
Kühns Gestalten seien "sowohl Abbilder als auch Gegenbilder des Zeitgeists, dem weder individuell noch en bloc zu entkommen ist", schrieb der Lyriker Wulf Kirsten 2007. Der Kunsthistoriker und Direktor des Landesmuseums Heidecksburg, Lutz Unbehaun, schreibt im Katalog zur aktuellen Ausstellung: "Bei aller spirituellen Kraft, die man in die Arbeiten Kühns deuten kann, befindet sich jedoch der geistige Ort des Künstlers im Diesseits und mit seinen Arbeiten liegt ihm die Botschaft von Heilsversprechen fern."
Kühn ist ein sehr genauer Beobachter. Aufgewachsen ist er in Königsee am Fuße des Thüringer Waldes. "Der liebe Gott hat mir eine Grundbegabung in die Wiege gelegt und ein großes Interesse an der Natur", erzählt er. Seine Eltern hatten eine Gastwirtschaft und so habe er oft zwischen den Gästen gesessen, gezeichnet oder Touren in die umliegende Natur unternommen. Nach der Schule begann er eine Lehre als Modelleur in der Sitzendorfer Porzellanmanufaktur. Der Bildhauer Klaus Schwabe ermutigte ihn schließlich zum Studium nach Leipzig zu gehen.
"Ich war fast meine gesamte Freizeit im zoologischen Garten", erzählt Kühn. "Ich habe vor dem lebendigen Wesen gezeichnet und modelliert. Mir ging es aber gar nicht darum Kunst zu machen - ich wollte sehen, begreifen und lernen." So sind seine ersten Aufträge Tierplastiken: Eine Paviangruppe und eine Langhalsziege. "Mir ging es immer darum, ganz nah dran am Lebewesen zu sein - egal ob Mensch oder Tier." Ihm sei mitunter geraten worden, mehr zu experimentieren, in seiner Arbeit frecher zu werden. "Aber das war nie mein Ding. Mir geht es um Figuren mit Seele und Herzblut", bekennt er. "Eine abstrakte Form kann unheimlich raffiniert sein, aber sie schafft selten Betroffenheit. Das aber kann figurative Kunst."
Kühns Skulpturen haben einen hohen Wiedererkennungswert. Die von ihm geschaffenen Figuren mit überlangen Gliedmaßen wirken meist androgyn, verharren in sich gekehrt. "Er ist immer im Figürlichen geblieben ohne stilistische Brüche", konstatiert Kunsthistoriker Unbehaun. "Dabei hat er stets seinen Stiefel für sich gemacht, unbeeindruckt vom sozialistischen Realismus."
Noch bis Monatsende (30. Juli) wird auf der Heidecksburg in Rudolstadt die umfassende Schau "Skulpturale Bildwelten" mit Arbeiten Kühns gezeigt. Nach seinem 75. Geburtstag gestaltet der Künstler eine Ausstellung, die ab 5. August im Kloster Mildenfurth zu sehen ist.