Mittlerweile geht das ja wieder: In einer modernistischen Betonmaschine der Ruhr-Universität Bochum die Schönheit zu sehen. Auf dem zentralen Platz des Campus, neben dem muschelförmigen Audimax, befindet sich eine Art rechteckiges, in den Boden eingelassenes Amphitheater aus Treppen, perfekt geometrisch gegliedert durch die markanten Bodenplatten. Der "Forumsbrunnen" ist ein Treffpunkt, ein guter Hangout, und gleichzeitig ein zentrales Element zur Strukturierung des weitläufigen Platzes – und eine Skulptur des 1925 in Wittenberg geborenen Architekten und Bildhauers Erich Reusch.
Für Reusch war bereits in den 60er-Jahren eine Skulptur kein Solitär, sondern ein Element, um den Raum zu gliedern: Was heute "site specific" heißt, entwickelte er in seinen innovativen Überlegungen über die Beziehungen von Objekt und Umgebung. Reusch dezentralisierte die Skulptur, indem er mehrere abstrakte Formen in Beziehung setzte, und er holte die Skulptur vom Sockel und nahm damit Konzepte wie die Bodenplatten des amerikanischen Minimalisten Carl Andre vorweg. Sein "Forumsbrunnen" krempelt auch das Prinzip des Brunnens um: Nicht die repräsentative Fontäne ist gemeint, sondern das Wasser lief unten durch die Fugen der Anlage. In Bochum versagte allerdings die Technik bald, der Brunnen ist trocken – anders als bei einem anderen Brunnen in der Bochumer Innenstadt, der schlicht aus mehreren runden Bodenplatten besteht, über die das Wasser läuft.
Absolut heutig und frisch
Sie sind oft kaum als Kunstwerke sichtbar, diese architektonischen Eingriffe Reuschs, der von 1975 bis 1990 den Lehrstuhl für "Integration Bildende Kunst und Architektur" an der Düsseldorfer Kunstakademie innehatte – und seine Skulpturen im öffentlichen Raum, oft abstrakte Formen aus gerostetem Stahl im internationalen Stil Richard Serras oder Eduardo Chillidas, gehören heute so dermaßen zum Bild der bundesrepublikanischen Moderne, dass man ein zweites Mal hinschauen muss, um die formalen Finessen neu wahrzunehmen.
Perfekt in seiner Zurückhaltung ist seine Neugestaltung des Ehrenmals für die Attentäter des 20. Juli 1944 im Bendlerblock in Berlin 1978/1979. Ungewöhnlicher erscheinen heute seine Experimente mit Elektrostatik: Ende der 1960er-Jahre baute Reusch elektrostatisch aufgeladene Glasvitrinen, die Graphitstaub enthielten. Wenn der Besucher die Glaswände berührt, bewegt sich der Staub – so etwas hätte auch Olafur Eliasson einfallen können. Interaktivität, Partizipation, als Konzept findet sich das alles bereits bei Reusch.
Bis in die 90er-Jahre hinein schuf Reusch große Außenskulpturen, längst nicht mehr nur im minimalistischen Beton und Stahl gehalten, sondern in leuchtenden Farben. Und seine abstrakten Gemälde wirken in ihrer eklektisch wilden Mischung aus geometrischen Formen, Drippings und gestischem Farbauftrag absolut heutig und frisch.
Seit einigen Monaten arbeitete die Stiftung Situation Kunst mit Erich Reusch gemeinsam an einer Retrospektive, die im kommenden Sommer im Bochumer Museum unter Tage stattfinden soll. Der Künstler wird die Ausstellung nicht mehr mit einrichten können: Wie die Stiftung mitteilte, ist Erich Reusch am Sonntag im Alter von 94 Jahren gestorben.