"Ruhm (von althochdeutsch/mittelhochdeutsch ruom 'Ehre, Lob', (…) ist weitreichendes hohes Ansehen, das eine bedeutende Person aufgrund von herausragenden Leistungen, Eigenschaften bei der Allgemeinheit genießt." So ist es bei Wikipedia zu lesen. Aber auch ohne die Online-Enzyklopädie braucht es nicht viel, um zu erkennen, dass der Ruhm der aktuell im Düsseldorfer NRW-Forum ausgestellten Personen zumindest bei manchen eher zweifelhafter Natur ist.
"Beyond Fame. Die Kunst der Stars" lautet der Titel der Schau, die Arbeiten einer A-C-Prominenz aus unter anderem Sport, Musik und Politik unter einem Dach vereint. Angefangen bei Modezar Harald Glööckler, der sich sicherlich in seiner Disziplin der Aufmerksamkeitsökonomie einer A-Kategorie erfreut, über die Fußballerin Josephine Henning (B), bis hin zu Anna Sorokin (C), die hier als Anna Delvey firmiert und deren "herausragende Leistung" in krimineller Energie besteht.
Der überführten russisch-deutschen Hochstaplerin, die als vermeintlich reiche Erbin Geschäftsleute und Banken um Hunderttausende Dollar betrog, deswegen zu vier Jahren Haft verurteilt wurde und aktuell in New York unter Hausarrest steht, wird in Düsseldorf ein fragwürdiges Podium geboten. Ihre im Gefängnis entstandenen Zeichnungen zeigen, was Wunder, nur ein Motiv: sie selbst.
Die bunte Pflanzenwelt des Anton Hofreiter
Forum-Chef Alain Bieber will mit seiner Jubiläums-Schau – das NRW-Forum wurde vor 25 Jahren als populäre Ergänzung zum benachbarten Kunstpalast gegründet – "Einblicke hinter die Fassade der öffentlichen Personen, jenseits von Rolle und Prominenz" geben. Auch sieht er einen "Trend in Richtung Universalkünstler*in", der, unter uns, eigentlich schon seit Jahren besteht. Was einen erwartet, ist ein ziemlich willkürlich zusammengestellter Mix aus 18 Prominenten, die neben ihrer primären Profession malend, schreibend oder installierend unterwegs sind. Die meisten von ihnen haben keine Akademie besucht, sondern befassen sich autodidaktisch mit Kunst.
So etwa der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, dessen bunt-naive Pflanzenwelt aus der Alpenregion zwei Eigenschaften vermuten lassen: Seine Begeisterung für Blumen, die auf einem Botanik-Studium basieren dürfte, und seine Leidenschaft für die Hobby-Malerei. Daraus nun aber zu schließen, museumswürdige Kunst vor Augen zu haben, wäre verfehlt – es sei denn, man interpretiert es wohlwollend nach Joseph Beuys, bei dem jeder Mensch ein Künstler war.
Bei Musiker Peter Doherty sieht die Sache schon anders aus. Der Ex-Frontman der Libertines, der seine A-Prominenz einer kurzen Regentschaft der Indie-Rockwelt und einer skandalträchtigen Beziehung zu Supermodel Kate Moss zu verdanken hat, führt seit 2002 bereits ein Parallel-Dasein als bildender Künstler, mit Blut- und Kohlebildern, wilden Collagen und Installationen, die einerseits auf seine Liebe zu Schreibmaschinen, andererseits auf seine Vergangenheit als Drogenkonsument verweisen.
Doch vorbei die Zeit des Punkrocks und der Revolte, so scheint es. Bei der Preview der Düsseldorfer Ausstellung präsentiert sich der Geläuterte mit Schnauzbart, roten Socken, Gehstock, Tweed-Anzug und Blume am Revers. Auch seinen Hund, einen Bullmastiff-Mischling, hat er dabei. Mit ihm fährt Doherty, der Basquiat und George Grosz seine Vorbilder nennt, im Twingo übers normannische Land, um sich dort seine künstlerischen Inspirationen zu holen. Denn auch die Laufstege dieser Welt sind für den frisch gebackenen Familienvater passé.
Seine Ex allerdings begegnet einem nur wenige Meter weiter, im Raum von Bryan Adams. Dort hängt Kate Moss als Fotoporträt an der Wand, neben anderen Berühmtheiten wie Mick Jagger, Tina Turner oder Robbie Williams, die als wahre Stars "ein hohes Ansehen aufgrund herausragender Leistungen" genießen.
Gleich daneben die Verlierer der Gesellschaft, eine bedrückende Serie mit Obdachlosen, die der Kanadier innerhalb der Serie "Heimatlose" zwischen 2011 und 2017 in den Fokus nahm. Adams hat im NRW-Forum fast schon ein Heimspiel, denn 2013 bereits wartete das Haus mit einer großen Soloschau des fotografierenden Musikers auf.
Tennisstar wird Maler
Auch Tennisspieler Michael Stich betätigt sich schon – was die wenigsten wissen – seit über 20 Jahren als Künstler. Nach seiner Sport-Karriere, hat sich der 54-jährige Hamburger zunächst als Sammler, dann als Maler vielfach großformatiger Öl- und Acryl-Gemälde hervorgetan. Bis 2022 allerdings brauchte es, um in einer ersten Einzelausstellung in der Düsseldorfer Galerie Paffrath präsentiert zu werden.
Jetzt ist er mit seinen Gold-auf-Schwarz-Bildern Teil einer Schau, von der Alain Bieber meint, es sei "die aufregendste des Jahres". Eine weitere Entdeckung ist die Autorin und Schauspielerin Lea Draeger, seit 2015 Ensemblemitglied am Maxim Gorki Theater in Berlin. In bester Hanne Darboven-Manier erzählt sie "Papst-Geschichten", mit denen sie patriarchale Systeme und hierarchische Strukturen hinterfragt. Wandfüllende, aneinandergereihte Kugelschreiber-Zeichnungen im Postkarten-Format deuten auch auf den Missbrauch in der katholischen Kirche hin.
Neben Cro, Tim Bendzko und Samy Deluxe (mit Gemälden, beziehungsweise Graffiti) und besagter Josephine Henning, die hier positiv überrascht, fallen die Arbeiten der kanadischen Musikerin Claire Elise Boucher alias Grimes auf. Ihre Bilder sind von Nymphen, Cyborgs und Manga-Figuren bevölkert, die sie in ihren Musikvideos selbst verkörpert. Als Talent empfiehlt sich überdies Isis-Maria Niedecken, in Berlin lebende Tochter von BAP-Legende Wolfgang Niedecken. Auch wenn sie sich ihren eigenen Promi-Status noch erarbeiten muss, zeigen ihre farbenfrohen Tischbilder, dass die studierte Mode-Designerin auf dem besten Weg dahin ist.
Bekenntnis eines Exzentrikers
Zurück zu Harald Glööckler. Sein Raum ist mit schwarzen Wänden, modernen Bildern in barocken Bilderrahmen, einem Glitzer-Hirsch und Skulpturen ausgestattet. Mit bemaltem Sofa, langem Tisch und Deko-Artikeln auf dem Sideboard, fühlt man sich in das mit hoher Wahrscheinlichkeit pompöse Wohnzimmer des Meisters versetzt.
In verschiedenen Büsten präsentiert er sich mal als Sonnenkönig Louis-quatorze, als Napoleon oder innerhalb einer altmeisterlichen Pietà als Jesus Christus Superstar. Glööckler muss den Ruhm-Begriff nach seiner ursprünglichen Bedeutung laut Wikipedia angewandt haben. Denn mit "Selbstlob und kriegerischem Sich rühmen" ist der von ihm gestaltete Raum das klare Bekenntnis eines Exzentrikers, der an Selbstüberschätzung kaum zu überbieten ist.