Sich wirklich zwischen alle Stühle zu setzen – dieses gelang auch einem Joseph Beuys nur recht selten. Als er aber am 25. Mai 1982 den Song "Wir wollen Sonne statt Reagan“"in der ARD-Fernsehsendung "Bananas" zum Besten gab, da waren wirklich beinahe alle entsetzt: Die hehre Kunstwelt traute ihren Augen und Ohren angesichts dieser für Beuys scheinbar so untypisch-banalen Ästhetik nicht, und auch die Musikwelt fühlte sich alles andere als Ernst genommen.
Kein Wunder, denn Joseph Beuys stellte sich an diesem denkwürdigen TV-Abend nicht nur in eine Reihe mit Status Quo, Kim Wilde und Vanessa, sondern unterbot deren Auftritt in beinahe jeder Hinsicht souverän. Die da zu hörende Musik nämlich war nicht mehr als ein biederer Poprock und seinen Text dazu sprach Beuys mehr als dass er ihn wirklich sang - und dieser Text, ach. Sein "Musikerkollege" Wolfgang Niedecken von BAP bekrittelte dessen Wortspiel nicht ganz zu Unrecht als "bodenlos" platt. Zu schlechter Letzt schleuderte der Aktionskünstler am Ende seines 2.40 Minuten kurzen Auftritts sein Mikro noch in die Luft, um es dann mit Mühe wieder aufzufangen.
Dennoch sei hier einmal ein genauerer und unvoreingenommener Blick auf Beuys Pop-Abenteuer gewagt: Mit seiner Single "Sonne statt Reagan", erschienen übrigens bei EMI Electrola, nahm Beuys nicht nur den Crossover von Kunst und Rock, von high and low vorweg, der dann in den 1990er-Jahren nicht zuletzt im Fahrwasser der relationalen Ästhetik für Furore sorgte. Er nahm zudem diesen Crossover im Gegensatz zu dem Crossover der 90er tatsächlich ernst – soll heißen: low meinte bei ihm auch low.
Low war nicht gleichbedeutend mit schlecht und billig
Beuys nämlich begab sich, wenn auch ein wenig unbeholfen, so doch konsequent und unbeirrt in die "Niederungen" des Popbusiness. Er bediente sich also bewusst nicht bei elaborierter populärer Musik, etwa der Marke Pet Shop Boys, für die zum Beispiel Wolfgang Tillmans ein Video drehte und sein Crossover in den sicheren Gefilden des avancierten Elektropop absicherte. So erreichte Tillmans dann aber kaum mehr als ein junges Publikum, das sowieso schon an Kunst interessiert war.
Mit dem "Schlagerfuzzi" Roland Kaiser aber, um ein prominentes Beispiel aus der BRD-Geschichte zu nennen, arbeiteten damals kein Künstler zusammen. Ganz anders Beuys: Für ihn war low eben nicht gleichbedeutend mit schlecht und billig, sondern wurde von ihm als eine gleichsam "basisdemokratische" Strategie geschätzt, mit der er seinen im Beuys-Jahr 2021 unausweichlichen Ausspruch "Jeder ist ein Künstler" in die Tat umzusetzen versuchte. Und mit der er seinem nun "erweiterten" Publikum "Kultur für Alle" anbot, wie es damals sein Weggefährte Hilmar Hoffmann griffig formulierte, um sein politisches Anliegen an so viele Menschen wie möglich zu unterbreiten.
In diesem Sinne war Joseph Beuys, bekanntlich gut befreundet mit dem Pop-Künstler Andy Warhol, ein linker Pop-ulist der ersten Stunde. Und dieses durchaus im Sinne der französischen Philosophin Chantal Mouffe, die ja bekanntlich nicht nur als Antwort auf den aktuellen Rechtspopulismus einen linken Populismus fordert, der eine bunte Vielfalt kritisch Denkender anspricht, und zwar in einer Sprache, die emotional, verständlich und gleichzeitig klug "die politische Mobilisierung von Leidenschaften innerhalb des Spektrums des demokratischen Prozesses zulässt".
Heute eher "Regen statt Sonne"
Genau dieses versuchte Beuys mit seinem im Gegensatz zum Crossover der 1990er-Jahre explizit politisch ausgerichteten Popexperiment. Darum also sang er: "Dieser Reagan kommt als Mann der Rüstungsindustrie, but the people of the states don’t want it – nie! Und den wahren Frieden wird’s erst geben, wenn alle Menschen ohne Waffen leben". So gesehen ist der Text, geschrieben übrigens von dem Werbetexter Alain Thomé und dem Rockmusiker Manfred Boecker, alles andere als "bodenlos".
Last but not least: Eventuell müsste man den Text doch noch einmal überdenken. Heute würde Beuys, der ja nicht zuletzt auch Klimaaktivist und Mitbegründer der Grünen war, angesichts der sich auch in unseren Breiten mehr und mehr zuspitzenden Trockenheit vielleicht eher singen: "Wir wollen Regen statt Sonne".