Sophie Reuter, Ihr Anliegen für Ihre Serie war es, ein Gegenbild zur gängigen Reportagefotografie über die Besetzung des Hambacher Forstes zu schaffen, der einem Braunkohle-Tagebau der Firma RWE weichen sollte. Was störte Sie an der fotografischen Berichterstattung zu dem Thema?
Meistens waren es Positionen, die sich auf die Räumung und den Konflikt zwischen den Aktivisten und der Polizei konzentriert haben. Mein Ansatz war von Anfang an eher, die Besetzung zu zeigen. Wie dort gemeinsam gelebt wird. Ich wollte das Ganze eher von innen beleuchten. Außerdem wollte ich künstlerische Fotografien schaffen und ausstellen – um so auch Menschen anzusprechen, die sich vorher vielleicht gar nicht mit dem Thema beschäftigt haben.
Sie zeigen Camp-Bewohnerinnen und -Bewohner in intimen Porträts, beim Lesen im Bett und versunken in Gedanken. Wie ist es Ihnen gelungen, den Menschen so nahe zu kommen?
Ab Anfang 2018 war ich regelmäßig vor Ort, habe immer wieder über mehrere Wochen dort gelebt und aktiv am Alltag teilgenommen – gelernt zu klettern, zu bauen. So habe ich eine engere Beziehung aufgebaut. Ich war sowohl als Fotografin als auch als Aktivistin vor Ort. Das war teilweise auch ein Zwiespalt – ich habe bei etwas mitgemacht und dachte währenddessen: Das würde ich jetzt eigentlich gern fotografieren. Das ist schwierig, wenn man so tief in einer Gemeinschaft drin ist. Ich hatte meine Kamera meistens dabei und habe entweder intuitiv in bestimmten Situationen gedacht - "okay, jetzt fotografiere ich" - oder mir Personen ausgesucht, sie um ein Foto gebeten und sie dann an einem bestimmten Ort platziert.
Immer wieder sind Personen mit Instrumenten zu sehen. Welche Rolle spielten Musik und das gemeinsame Musizieren für die Campgemeinschaft?
Musik bringt Menschen zusammen. Zudem war sie gerade während der Räumung ein wichtiger Aspekt, um einfach mal abzuschalten und auf andere Gedanken zu kommen. Es gab während der Räumung auch Gesang und Sprechchöre von den Personen am Boden, die den Personen oben signalisierten: Wir sind hier und wir unterstützen euch. Im Wald, wo es nur sehr begrenzt Strom gibt, war Musik außerdem eines der Dinge, die mir am meisten gefehlt haben. Da bist du dann akustisch auf deine Mitmenschen angewiesen.
Sie sprechen von "oben" und "unten". Auf Ihren Bildern erkennt man, dass sich ein Großteil des Camplebens in den Baumkronen abspielt: Wie im Klettergarten führen gespannte Seile von einem Wipfel zum nächsten, in den Ästen hängen Baumhäuser, Zelte und Badewannen. Woher rührte die Entscheidung, sich weit über dem Waldboden anzusiedeln?
Für alle Konstruktionen über 2,50 Meter muss es spezielle Kletter-Einheiten der Polizei geben, die nicht über unsere Leitern klettern dürfen, sondern spezielle Gerätschaften nutzen müssen. Das erschwert den Einsatz, erhöht die Kosten. Bei einer Räumung geht es darum, dass so viel Zeit wie möglich gewonnen wird. Je höher gebaut wird, desto mehr Zeit lässt sich herausholen.
Gegenstände wie Ordner und Walkie-Talkies lassen die Kommunikationsstrukturen des Camps erahnen. Können Sie etwas darüber erzählen, wie Informationen geteilt und archiviert wurden?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe lange gebraucht, um darin Einblick zu bekommen. Letztendlich ist es eine anarchistische Besetzung und es wird versucht, so hierarchiefrei wie möglich miteinander zu leben. Das bedeutet, dass alle den gleichen Wissensstand haben sollten, was jedoch bei einer so riesigen Gemeinschaft schwer und zudem aus Schutzgründen nicht immer möglich ist. Jede Besetzung strukturiert sich selbst, manche haben regelmäßige Treffen und Plena, manche lehnen das eher ab. Es gibt Infotafeln, vieles wird aber auch verbal weitergetragen und bei Polizeieinsätzen wird sich vor allem mit Walkie-Talkies verständigt.
Wie viele Leute lebten denn im Camp?
Mit der Räumung wurden es immer mehr, aber das ist generell schwierig zu sagen. Es gibt Menschen, die dort schon seit Jahren leben und andere, die regelmäßig für Wochen oder Monate kommen, aber noch einen eigenen Wohnsitz haben. Andere sind während der Räumung gekommen, teilweise aber nach einem Tag schon wieder gegangen, weil sie gemerkt haben, dass das Ganze nichts für sie ist. Es ist also schwierig zu sagen, wie viele Leute es genau waren, aber während der Räumung waren es auf jeden Fall über 100.
Ihre Bilder zeigen viele vermummte Figuren, auf einem Foto sieht man, wie eine Person sich die Fingerkuppen mit einer Sicherheitsnadel einritzt – eine Methode, um den eigenen Fingerabdruck unkenntlich zu machen. Wie wurde im Camp mit Identitätsverschleierung umgegangen und wie bist du selbst auf den Wunsch nach Anonymität eingegangen?
Anonymität ist sehr wichtig. Du nimmst einen Wald-Namen an, den viele auch regelmäßig ändern. Viele sind vermummt, manche dauerhaft – es kann gut sein, dass du Freunde hast, deren Gesicht du noch nie gesehen hast. Das Fotografieren war schwierig: in jeder Besetzung stehen Schilder, dass Fotos verboten sind, die Menschen wollen nicht abgelichtet werden. Du musst jedes Mal, wenn Menschen im Bild sind, jede Person einzeln fragen. Selbst vermummte Menschen wollen teilweise nicht fotografiert werden – in einer Situation durfte ich nicht mal den Hund einer Person fotografieren. Am Anfang haben Leute den Raum verlassen, wenn ich mit einer Kamera reingekommen bin. Deshalb war es auch so wichtig, Teil der Gemeinschaft zu werden. Ich bin ganz offen mit der Situation umgegangen, habe die Menschen beiseite genommen, mit ihnen geredet, angeboten, sie von hinten abzulichten und ihnen die Bilder am Ende nochmal gezeigt.
Die Polizei taucht in deinen Bildern als uniforme Einheit auf, ihre Gesichter bleiben meist hinter Helmen verborgen. Wie haben Sie ihr Aufeinandertreffen mit den Kampierenden erlebt?
Das Verhältnis zwischen Polizei und Aktivisten ist schwierig. Die meisten sehen die Polizei als Exekutive eines Staates, den sie ablehnen. Im Hambacher Wald war sie zudem der Handlanger von RWE – es waren zwei anonyme, sich unkenntlich machende Seiten, die sich gegenüberstanden. Die meisten Aktivisten hatten traumatische Erlebnisse mit der Polizei und haben jahrelang Repressionen erfahren, deshalb ist das Verhältnis angespannt. Trotzdem gab es auch Momente, in denen mit Polizisten gesprochen und versucht wurde, sie vom Anliegen zu überzeugen.
Sie konterkarieren Aufnahmen der Protestgemeinschaft immer wieder mit Bildern überwältigend großer Schaufelradbagger und unheilvoll über dem Geschehen schwebender Polizeihubschrauber. Ist der Hambacher Wald für Sie ein Ort der Hoffnung?
Auf jeden Fall. Momentan sieht die Situation nicht so gut aus. In den Medien wird gesagt, dass der Wald gerettet ist, aber nach den Plänen von RWE ist er das überhaupt nicht. Letztendlich ist es trotzdem ein Ort, an dem es um viel mehr geht. Viele Menschen wurden dort politisiert und zum Aktivismus bewegt. Es ist immer wieder ein inspirierender Ort, an dem du viel lernen kannst und aus dem so viel positives entstanden ist. Gerade während der Räumung 2018 wurden so viele Menschen mobilisiert und sind für mehr Klimagerechtigkeit auf die Straße gegangen. Dadurch ist der Wald auch zu einem Symbolträger der Klimabewegung geworden. Für mich ist der Wald ein Ort des Widerstands, der Mut macht, weil er zeigt, dass wir etwas bewegen können, wenn wir nur aktiv werden. Der Wald gibt mir Kraft, weiterzumachen.
Mittlerweile ist die Besetzung wieder aufgebaut. Stehen Sie nach wie vor in Kontakt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern?
Ich war zuletzt im November dort und werde auch dieses Jahr wieder hinfahren. Ich stehe mit vielen in Kontakt, aus dem Projekt sind viele Freundschaften entstanden. Ich bin gespannt, wie sich die Situation weiterentwickelt, aber ich denke, die Menschen dort werden noch länger bleiben und weiter für ihre Forderungen kämpfen.