In Berlin wird der Minimalismus politisch, und zwar 32 Mal hintereinander

Minimal Art ist leicht zu begreifen: Ein Betonklotz fällt vom Himmel und zerquetscht das Leben auf der Straße. Der Klotz stellt nichts außer sich selbst dar, Politik und Gesellschaft hat er verdrängt. „What you see is what you see“, erklärte der Minimal-Pionier Frank Stella 1964. Doch für viele Künstler, die sich heute dem Minimalismus verschrieben haben, gilt dieses Diktum nicht mehr. Einige von ihnen hat der Kurator Klaus Biesenbach in den Berliner Kunst-Werken zusammengestellt. Wie ihre historischen Vorläufer nehmen sie simple Formen zum Ausgangspunkt. Doch anders als Stellas Streifenbilder oder Donald Judds hermetische Boxen haben ihre Werke Inhalte – zum Teil buchstäblich: Teresa Margolles hat in ihren Betonklotz eine Totgeburt aus einem mexikanischen Krankenhaus eingelassen, die andernfalls als Abfall entsorgt worden wäre. In den Containern der Künstlergruppe Xurban_collective wurde Dieselöl über die türkisch-irakische Grenze geschmuggelt. Und der an Aids verstorbene Derek Jarman zeigt in seinem letzten Film eine blaue Leinwand,
während Stimmen aus seinem Tagebuch vorlesen. Wenn man eine ganze Ausstellung mit solchen Werken bestückt, wird allerdings deutlich, wie inflationär die Idee inzwischen ist. Auch kommt die Qualität einzelner Werke nicht zur Geltung: Wieso liegt der Stapel Blankopässe von Felix Gonzalez-Torres, dem poetischsten Vorreiter dieser Strömung, direkt neben einem eitel-peinlichen rosa Wanddreieck von Terence Koh, der das Abzeichen der homosexuellen KZ-Opfer auf die eigenen Körpermaße überträgtähnlich wie Leonardo da Vincis Goldener Schnitt? Und warum darf es sich Sarah Ortmeyer, Jahrgang 1980, so leicht machen, aus den Flaggen der Alliierten die roten Stellen herauszuschnippeln und als Symbol für den am 3. Oktober 1990 endgültig gescheiterten Kommunismus auf den Boden zu legen – in unmittelbarer Nähe des bestechend schönen Stacheldrahtkubus von Mona Hatoum? Die Tendenz „Political/Minimal“ wird nicht interessanter, wenn man 32 Varianten von ihr zeigt. Weniger ist eben mehr, auch bei Minimal Art.

 

KW – Institute for Contemporary Art, Berlin, 30. November 2008 bis 25. Januar