Skulptur-Projekte-Macher

"Bei zuviel Übereinkunft stimmt was nicht"

Alle zehn Jahre blickt die internationale Kunstwelt nach Münster: Die Skulptur Projekte 2017 wollen auch dieses Mal mit den Erwartungen der Besucher brechen. Das sei heute gar nicht mehr so leicht, sagen die Kuratoren. Sie vermissen den kritischen Blick auf die Kunst

Die Skulptur Projekte Münster haben sich in den vergangenen Dekaden einen Platz unter den weltweit wichtigsten Großausstellungen ergattert. Seit 1977 verwandeln sie die Stadt alle zehn Jahre in einen Freiluft-Kunstraum. Verändert habe sich der Blick auf die Kunst, sagt Kurator Kasper König im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Anfangs hätten die Beton-Kugeln des Künstlers Claes Oldenburg am Aasee-Ufer die Bürger derart verärgert, dass sie sie ins Wasser rollen wollten - heute zieren sie Postkarten. Die fünfte Auflage kuratiert König erstmals im Team mit Britta Peters und Marianne Wagner. Ein Gespräch über das Skandalpotenzial von Skulpturen, festgefahrene Erwartungen und die politische Kraft von Kunst.

Können Sie 2017 noch mit Kunst im öffentlichen Raum provozieren wie damals?
Kasper König: 1977 und auch das Mal danach waren wir noch Skandal, dabei war es gar nicht unser Ansinnen zu provozieren, allenfalls zu überraschen. Heute feiert man die Skulptur Projekte, als wären sie der liebe Gott persönlich. Im Gegenteil, es sind die Lokalpolitiker und Stadtmarketing-Leute, die sich einen Skandal wünschen.
Marianne Wagner: Es geht uns aber nicht darum, irgendwelche Marketing-Gags zu lancieren und damit fremde Interessen zu bedienen. Wir wollen mit dieser Gruppenausstellung Dialoge in der Stadt entfachen, die irgendwo hinführen sollen.

Wenn es nicht um Provokation gehen soll, so ist es doch alle zehn Jahre der Anspruch der Skulptur Projekte gewesen, mit Erwartungen zu brechen. Wie kann das heute gelingen?
KK: Sehr schwer. Die Erwartungen haben sich so festgesetzt. Kunst wird so umarmt, alle finden das toll. Es gibt so viel Übereinkunft. Wenn sich alle einig sind, stimmt aber irgendwas nicht. Alles wird vermietet und vermarktet und das nennen wir auch noch Demokratie. Überall sind Straßenfeste, aber die sind wahnsinnig kommerzialisiert. Und die sogenannte Alternative ist so dermaßen spießig, dass es mir großes Unbehagen bereitet.

Was versuchen Sie also anders zu machen?
KK: Wir laden niemanden ein, der immer dieselbe Erkennungsmelodie spielt, wo der Betrachter beim ersten Ton weiß: "Aha, das ist Christo. Einpacken. Weiter." Bei alledem versuchen wir uns auch immer für etwas zu entscheiden, was neu ist.

Die Skulptur Projekte waren nie ein Treffen klassischer Bildhauer - was umfasst der Begriff Skulptur?
Britta Peters: Es geht nicht darum, eine Plastik neben der nächsten aufzustellen - wir sind kein Skulpturenpark. Wir haben also eine sehr weite Auslegung des Begriffs des Skulpturalen. Es gibt bei uns sehr viele Installationen, 2017 werden auch Performances hinzukommen. Skulptur hat immer viel damit zu tun, dass es keinen idealen Standpunkt für die Betrachtung gibt. Sie erfordert immer Bewegung: Durch etwas hindurch, um etwas herum, in etwas hinein. Es werden Räume geschaffen.

Populisten, Flüchtlinge, Terrorismus - die letzten Jahre sind voller großer Krisen und Umbrüche. Wie politisch sind die Skulptur Projekte?
BP: Es gibt von vielen Seiten den Anspruch, Kunst solle sich direkter und expliziter politisch äußern. Das ist zugleich auch der Wunsch, ein bisschen einfacher zu machen, worum es eigentlich geht. Die Zeit im Moment ist grauenhaft, aber ich weiß nicht, ob es die Lösung sein kann, dass eine Vielzahl von künstlerischen Formulierungen sich plötzlich einengt auf Parolen oder politischen Aktivismus.
KK: Wenn man eine illustrative, politische Punktlandung machen will, hat das oft mit Kunst nichts zu tun. An den Werken stehen ja keine Botschaften. Ich sage aber trotzdem: Unsere Ausstellung ist sehr politisch, weil sie mit öffentlichen Geldern operiert. Wir lassen uns nicht von Galerien, noch von übergeordneten Interessen finanzieren, aber wir sind natürlich Teil eines öffentlichen Betriebes.
MW: Mit den Skulptur Projekten stellen wir auch alle zehn Jahre immer wieder die Frage mit, was eigentlich Öffentlichkeit ist, wie öffentlicher Raum hergestellt wird, ob es den überhaupt noch gibt. Auch die Frage, für welche Öffentlichkeit die Skulptur Projekte überhaupt sind, ist eine politische Frage, die in jedem der Werke über die vier Jahrzehnte hinweg in irgendeiner Art angesprochen wird.

Und welche Antworten finden Künstler für das Jahr 2017?
BP: Ein großes Thema wird sein, dass durch das Internet natürlich ganz neue Möglichkeiten entstehen. Es wurde am Anfang gefeiert als neuer Ort für eine kritische Öffentlichkeit, wie beim Arabischen Frühling zum Beispiel. Gleichzeitig erleben wir im Internet eine ähnliche Privatisierung des öffentlichen Raums wie zuvor in der Stadt. Da wiederholt sich ein Einengen auf einige wenige große Global Player, die alle Informationen sammeln und lenken.
KK: Viele erlagen der Illusion, jetzt gebe es die schrankenlose Information, geradezu eine anarchische Situation außerhalb der Kontrolle. Jetzt stellt sich raus. Die Kontrolle ist größer denn je.

ZU DEN PERSONEN: Kasper König ist ein renommierter Kunstprofessor und Kurator. Der 73-Jährige hat die Skulptur Projekte miterfunden. Britta Peters ist freie Ausstellungsmacherin und Kunstkritikerin. Die 49-Jährige war in verschiedenen Kunstvereinen und öffentlichen Projekten tätig. Marianne Wagner ist Spezialistin für Performance-Kunst. Die 38-Jährige ist seit 2015 Kuratorin für Gegenwartskunst am LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster.